Aus den Feuilletons

Der Chef als Auslaufmodell

04:09 Minuten
Jens Spahn, Armin Laschet und Friedrich Merz sitzen an einem Tisch vor und hinter CDU-Parteilogos.
Alphatiere und Chefs unter sich: Jens Spahn, Armin Laschet und Friedrich Merz. Aber brauchen wir die überhaupt? © Federico Gambarini/dpa
Von Ulrike Timm · 25.02.2020
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Wer braucht schon Chefs? Dieser Frage widmet sich die „taz“ angesichts der aktuellen Suche nach einem neuen CDU-Vorsitzenden. Letztlich laufe es ohne Chef auch nicht schlechter, lesen wir dort. Außerdem machten die Namenlosen ohnehin die ganze Arbeit.
"Kein Abschluss – Weinsteins Verurteilung ist nur ein erster Schritt" titelt die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG. Verena Lueken hofft auf Folgen, vor allem auch jenseits des Filmgeschäfts:
"Dass Harvey Weinstein nun vermutlich für geraume Zeit ins Gefängnis muss, macht Hoffnung, dass auch in weniger publikumswirksamen Branchen sexuelle Gewalt angemessen geahndet wird. Dass sie als Macht- und Demütigungsinstrument endlich ausdient. Darum muss es gehen. Alle Menschen zu schützen, die keinen wiedererkennbaren Namen haben, im Hotelgewerbe, in der Gastronomie, der Landwirtschaft."
Und weiter: "Es muss klargemacht werden, dass jetzt, nachdem nun sogar ein einst mächtiger Mann wie Weinstein verurteilt wurde, auch sie ihre Vorgesetzten, ihre Bosse, ihre Vorarbeiter anzeigen können und damit vor Gericht eine Chance haben", lesen wir in der FAZ.
Allein, der Halbsatz "Es muss klargemacht werden ..." macht auch klar, dass da noch ein langer Weg zu gehen ist.

"Namenlose Unterlinge" machen die Arbeit

Harter Schnitt und Blick zur TAZ, wo diese Überschrift sicher viele frohlocken lässt: "Glücklich ohne Chefs. Wer braucht schon Vorsitzende? Parteien vielleicht. Dabei läuft es doch auch ohne ganz gut, zumindest läuft es nicht viel schlechter."
Die TAZ bezieht sich zum Beispiel darauf, dass die SPD Hamburg ihre beiden großen Vorsitzenden im Wahlkampf gar nicht erst auftreten ließ. Und die CDU? Wo sich mit der Union Laschet/Spahn gerade ein Team oder Duo gegen den Solisten Merz formiert?
"Da können sich die Jungs aus NRW mal so richtig aussprechen. Blöd für alle, dass wohl einer von denen am Ende doch den Chef machen muss", stellt Daniel Kretschmar trocken fest. Und dann wendet die TAZ ihre Gar-nicht-nur-Glosse hin zu uns Normalmenschen, die wir ja auch oft ganz "glücklich ohne Chefs" wären: "Gemacht wird die Arbeit von namenlosen Unterlingen, für deren Erfolge (sehr gerne) und Fehler (nicht so gerne) jemand Verantwortung übernehmen muss", heißt es weiter.
Aber auch den Unterlingen werden die Leviten gelesen: "Diese Angst, für sich selbst zu sprechen, dieses Gefühl der Unzulänglichkeit, die unbedingt durch Vertretung in höheren Sphären ausgeglichen werden muss, ist dabei eine unnötige Selbsterniedrigung. Niemand braucht Chefs. Spielentscheidend ist doch immer das eigene Tun, die Bereitschaft, selber Verantwortung zu übernehmen. Keine Appelle an irgendwen 'da oben', sondern Organisation und Eigeninitiative, für die solche Chefs eher ein Hindernis sind", schreibt die TAZ.
Okay, da klinken sich Unterlinge gern aus. Und deshalb gibt es ... eben!
Nebenbei können wir ja noch zuschauen, ob und wie die CDU das hinkriegt.

Einer der poetischsten Texte der Welt

Der TAGESSPIEGEL führt ein Gespräch mit dem Filmregisseur Burhan Qurbani, dessen Eltern vor 40 Jahren mit zwei Koffern nach Deutschland kamen. "Sie haben viel mitgebracht, was nicht in diesen Koffern war. Spuren ihrer Kultur, ihrer Gedanken, ihrer Geschichte. Auf verdünnte Weise ist das in mir drin und ich gebe es an diese Kultur weiter, indem ich es in meine Filme einflechte."
Auf der Berlinale zeigt Qurbani jetzt seine im heutigen Berlin spielende Version von Döblins Roman "Berlin Alexanderplatz". Und bezeichnet sich im Gespräch mit dem TAGESSPIEGEL als "totalen Verfassungspatrioten", das Grundgesetz nennt der Regisseur einen der "schönsten, poetischsten, klügsten juristischen Texte der Welt".
Wenn Sie zusätzliche Ermutigung für die jetzt beginnende Fastenzeit brauchen, stärken wir Sie mit zwei Titelzeilen aus SÜDDEUTSCHER ZEITUNG und FAZ: "Auf dem Dreirad durch das Nichts" – hier gilt's zwar eigentlich den Gedichten von Keith Waldrop, aber das taugt bestimmt auch für die tägliche Lebensbewältigung. Und die FAZ bespricht zwar die Detektivserie "Dunkelstadt", scheint dabei aber auch den katergeplagten Jecken zuzurufen: "Lieber im Vollrausch einschlafen, als mit Vollbart aufwachen."
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