Aus den Feuilletons

Das Wesen der Klinke

04:18 Minuten
An einer Türklinke hängt zum Öffnen eine Atemschutzmaske
Auch eine Möglichkeit, die Tür zu öffnen: Einfach an der Atemschutzmaske ziehen. © imago images / Steinach
Von Hans von Trotha |
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Die „Süddeutsche“ beschäftigt sich mit der Frage, wie Türen geöffnet werden können, ohne sich anzustecken. Nach sportlichen Varianten wie Handstand philosophiert das Blatt über das Wesen der Klinke und sieht die Kulturtechnik des Anfassens verschwinden.
Was ist das Medium der Stunde? – Zugegeben, das ändert sich gerade mit jeder Feuilleton-Ausgabe. Die Literatur ist es schon nicht mehr. Eher düster fällt der Blick von Rainer Moritz in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG auf deren Zukunft aus: „Das Pfeifen fröhlicher Lieder wird in diesem dunklen Keller nichts nützen. Die Literaturszene – ohnehin oft das fünfte Rad am Wagen des Kultur- und Kunstbetriebs – erntet gegenwärtig viel Zuspruch. Doch man sollte sich nichts vormachen: Wenn eine Volkswirtschaft derart ins Wanken gerät, werden sich bald diejenigen melden, die die Subventionierung von Kultureinrichtungen – und damit auch von Autoren – schon lange für einen zu beseitigenden Irrtum halten. Und dann erst kommen die härteren Tage.“

Der erfolgreichste Podcast

Wenn also nicht das Buch, was ist dann feuilletontagesaktuell das Topmedium? Es ist – und womöglich werden Sie jetzt gleich lächeln und ein verständiges „Siehste“ nicken – der Podcast. „Podcasts“, lesen wir in der SÜDDEUTSCHEN, „passen sich gut an die veränderten Gegebenheiten an: Sie füllen das Nichts und bieten sogar ein bisschen Nähe in einer Zeit, die für viele eine einsame ist. Es ist aber auch eine, in der verlässliche Informationen wichtiger geworden sind. Bezeichnend, dass die vielleicht direkteste Quelle zu ihnen gerade auch ein Podcast ist. Das Coronavirus-Update mit Christian Drosten. Ein öffentlich-rechtliches Format, in dem ein Wissenschaftler über Wissenschaft spricht, gehört in diesem Frühjahr zu den erfolgreichsten Podcasts – zusammen mit den Spaßveranstaltungen Gemischtes Hack und Fest & Flauschig. Was dem Fernsehen noch nicht so recht gelingen will, schaffen gerade Podcasts: auch mal unterhaltsam durch die Krise zu begleiten“, deutet Aurelie von Blazekovic die Statistik und meint vor allem Fest & Flauschig von Jan Böhmermann und Olli Schulz, die derzeit genauso täglich senden wie Christian Drosten.

Die Krise hat auch gute Seiten

Überhaupt ist der Zeitpunkt gekommen, an dem immer häufiger von den guten Seiten von Corona die Rede ist. Elisabeth von Thadden stellt in der ZEIT gar fest: „Die Moderne erfindet sich gerade neu. Die Lektion der Gegenwart scheint verblüffend einfach zu sein“, schreibt sie.
„Diesen vermeidbaren Tod der Schwächsten halten moderne Gesellschaften nicht mehr aus, weil er durch rasende Überrumplung vor aller Augen ihre schönste Errungenschaft kollabieren lässt – die staatliche Vorsorge und Fürsorge für jede und jeden – es gilt der Gleichheitsgrundsatz. Von einem historischen Fortschritt darf also einmal wirklich die Rede sein“, so von Thadden. „Denn seit Jahrzehnten sinkt in der ganzen Welt die Bereitschaft, vorzeitiges Sterben zu tolerieren. Die Moderne setzt noch einmal an, anders.“
Auch im Alltag werden immer mehr Veränderungen als gute Sache angesehen. Im TAGESSPIEGEL zum Beispiel die neue Tendenz zum Gehen. „Wer geht, der denkt“, kolportiert Christiane Peitz eine gängige These und zitiert Ernst Bloch: „Gehe in dich, das ist leicht gesagt. Doch es zu tun, ist schon deshalb schwerer, weil da wenig Auslauf ist.“ – „Jetzt, auf der Straße“, beobachtet Peitz, „gehen wir uns aus dem Weg, schlagen einen Bogen. Wir sind Navigationskünstler geworden. Und sehnen uns danach, uns wieder anrempeln zu dürfen.“

Das Ende der Welt, wie wir sie kennen

Und wieder Türklinken anzufassen. Das ist Gerhard Matzigs Thema in der SÜDDEUTSCHEN. Auf Youtube, berichtet er, werden „diverse Methoden vorgeführt, wie man eine mutmaßlich virenverseuchte Türklinke umgeht – etwa im Handstand.“
Am Ende einer kleinen Architekturgeschichte der Türklinke (Zitat: „Wittgenstein hat das Wesen der Klinke gründlich durchdacht"), kommt Rudolf Steiner zu Wort, der „in der Türklinke, die zwischen innen und außen vermittelt, die zwischen offen und geschlossen den Unterschied macht, die der Hand schmeicheln kann und doch reine Mechanik darstellt ein höheres Wesen am Werk“ sah. „Und jetzt“, seufzt Matzig, „dieser tiefe Fall. Schon bald“, prophezeit er, „wird uns sowieso die KI ganz körperlos erklären, was wir denken. Bis dahin sind unsere Extremitäten so verkümmert, dass die Kulturtechnik des Anfassens als archaischer Wahnsinn der Frühzeit gilt. Aber bis es so weit ist“ – ruft Matzig gut gelaunt: „Hey Alexa, spiel doch mal den Song It’s the end of the world as we know it and I feel fine“.
Oder die neue Zeile aus dem Introsong von Fest & Flauschig Zuhause. Die lautet nämlich: „Wir waschen dir die Hand und schließen dich zu Hause ein.“
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