Aus den Feuilletons

Das Problem mit den Wünschen

04:17 Minuten
Weihnachtsgeschenke liegen unter einem geschmücktem Weihnachtsbaum.
Die Erfüllung von Wünschen könne eine zwiespältige Angelegenheit sein, schreibt die "Zeit". © picture alliance / dpa / Karl-Josef Hildenbrand
Von Hans von Trotha · 16.12.2020
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Mit dem großen Thema Wünsche beschäftigt sich die "Zeit". Wünsche seien der Motor der Menschheitsentwicklung, kann man dort lesen. Und doch sei das oft nicht genug: "Wir haben von allem zu viel und sind doch nicht glücklich."
Wünsch Dir was. Ist natürlich leichter gesagt als getan, wenn man weiß, dass alle Geschäfte zu sind. Und warum. Und doch haben wir alle nicht nur die Weihnachtswünsche auf dem Zettel, sondern große, tief sitzende Wünsche.
"Was, wenn sie wahr werden?", fragt Jens Jessen in fetten Lettern in der ZEIT – und es klingt wie eine Drohung. "Wünsche", schreibt Jessen, "sind der Motor der Menschheitsentwicklung. Aber ihre Erfüllung kann eine zwiespältige Angelegenheit sein."
Dem geht er nach, gefolgt von Thomas Assheuer mit der Fortsetzung "Über die kapitalistische Produktion des Begehrens": "Wir haben von allem zu viel und sind doch nicht glücklich", stellt der fest. "Genug ist nicht genug", steht hier fett darüber, und man fühlt sich eingeschüchtert wie ein Gläubiger in der Kirche, wenn der Bischof zum Festtag mal so richtig losdonnert. Also damals, als man zu Festtagen noch in die Kirche durfte, wenn man wollte. Assheuers Fazit lautet:
"Ohne Frage, das planetarische Massensterben am Coronavirus hat unsere Wunschfantasien aus ihrem privatistischen Schlummer gerissen und ihnen den existenziellen Ernst zurückgegeben, das verdrängte Bewusstsein vom Leben und vom Tod. Und da auch die Erde wärmer und wärmer wird und die Zivilisation über ihre Endlichkeit aufklärt, kommt nun alles auf das gemeinsame Wünschen an – darauf, kollektiv eine Welt zu erhalten, in der individuelles Wünschen überhaupt noch möglich ist."

Das TV-Programm zu Weihnachten

Sollen wir das mit dem Wünschen also erst einmal lieber lassen? Oder nur ganz klein und coronakonform wünschen, ein gutes Fernsehprogramm zu Weihnachten zum Beispiel? Das wünscht sich Steffen Grimberg in der TAZ, hat aber schon wieder aufgegeben:
"Nur alte Hüte im Ersten, Zweiten und Dritten. Können wir programminhaltlich komplett zum Schrott-Wichteln geben", meint er und dann auch noch: "Irgendwann beschlich einen die Vermutung, jemand habe Holger Stahlknecht zum ARD-Programmdirektor gemacht. Damit der sein 'Njet' zur Beitragserhöhung nochmal mit passenden Programmbeispielen untermauern konnte."

Angst, dass Wünsche nicht wahr werden

Die Wahrheit ist doch: Wir wissen alle ganz genau, was wir uns wünschen. Und was, wenn das, anders als bei Jens Jessen in der ZEIT, nicht wahr wird?
"Was ist", fragt der Kieler Internist Stefan Schreiber in der FAZ, "wenn der Heilsbringer der Impfung nicht zu einer Beherrschung der Pandemie führt". Schreiber erinnert uns: "In lange vergangenen Pandemiezeiten war das Erfolgsmodell immer der gesellschaftliche Konsens und das Leben mit der Seuche. Dieser Konsens führte zum Überleben von Kulturen und nicht der alleinige Glaube an eine einzelne technologische Lösung, die von der Aufgabe der Konsenssuche befreit."

Auf die Rückkehr des Vergnügens freuen

Dem steht dieser eine Wunsch entgegen, dem der französische Philosoph Pascal Bruckner in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG unter dem Titel "Doch, früher war es besser" Raum gibt. "Anstatt hochtrabende Pläne für die Zeit 'nach Corona' zu entwerfen, sollten wir uns an der Welt davor orientieren", meint Bruckner.
"Früher, vor rund neun Monaten, gehörten Freiheit und Sorglosigkeit ganz selbstverständlich zu unserem Alltag. Wir haben den hohen Wert dieser Güter unterschätzt. Die harte Gegenwart öffnet uns die Augen für das Glück, das wir besaßen, ohne es zu wissen; für das außergewöhnliche Leben, das wir an den normalsten Tagen führten. Anstatt Fantastereien auszubrüten und große Entwürfe zu spucken, sollten wir uns also lieber auf die Rückkehr des Vergnügens freuen und bei allen Projekten auf etwas ganz Konkretes setzen: auf das Wunder des normalen Lebens."

Erinnerung an Beethoven

Muss man mal darüber nachdenken. Vielleicht wie Reinhard J. Brembeck, der in der SÜDDEUTSCHEN an Beethoven erinnert. "Weil nichts mehr sicher ist", heißt das Stück, denn, so Brembeck: "Beethoven komponierte in einer Zeit, die den Halt verlor." Und man denkt: eine Zeit wie die unsere.
Brembeck zitiert eine Gedenkstunde zum 25. Todestag des Dichters Stéphane Mallarmé im Jahr 1923. "Dabei sollten keine Reden gehalten, sondern es sollte fünf Minuten geschwiegen werden." Fünf Minuten. Das ist lang, eine Minute länger als diese Kulturpresseschau. Brembeck nimmt es sich vor. Für Beethoven. Man kann es auch für die Pandemie und ihre Opfer tun. Oder für die Zeit danach.
"Wer weiß", schreibt Brembeck, "was das Schweigen für Ungeheuer, für Paradiese gebiert". Und was für Wünsche.
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