Aus den Feuilletons

Das Ende einer Epoche

03:56 Minuten
Die Erde auf einer Psychiatercouch.
Sind die fetten Jahre vorbei? Von der Coronapandemie erwarten viel eine gravierende Änderung unseres Lebens. © Gary Waters / imago images / Ikon Images
Von Tobias Wenzel · 22.03.2020
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Nichts werde nach Corona mehr so sein wie zuvor, prophezeit der Soziologe Wolfgang Sofsky in der "NZZ". Der Schriftsteller Antonio Scurati teilt diese Ansicht und beschreibt in der "FAZ" das Ende der längsten und selbstvergessensten Phase des Friedens.
"Die vielen Sinnfragen oder Verschwörungstheorien kann man sich auf den Grabstein meißeln lassen", sagt Friedrich Küppersbusch in seiner Interviewkolumne für die TAZ.
"Das Wunder von Corona scheint: Bei jedem Blödsinn, der in dieser Gesellschaft passiert, landet man mit der Jokerfrage 'Wem nutzt es?' beim: Geld. Irgendwer verdient schon dran. Diesmal – sorry an alle, die die Weltherrschaft von Klorollenherstellern dahinter ahnen – diesmal ist das anders."
Alles ist so "anders" an dieser Coronavirus-Krise, dass die Feuilletons weiter darum ringen, wenigstens sprachlich und gedanklich ein wenig ihrer Herr zu werden. "Eine neue Zeit beginnt. Nach Corona wird nichts mehr sein wie zuvor", prophezeit der Soziologe Wolfgang Sofsky in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG.

Das Ende einer Epoche

Der in Mailand lebende Schriftsteller Antonio Scurati teilt diese Ansicht. Seinen Text für die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG beginnt Scurati mit einem Zitat:
"'Wie kann ich meine Frau davon überzeugen, dass ich, während ich aus dem Fenster schaue, arbeite?' – fragte sich Joseph Conrad zu Beginn des letzten Jahrhunderts. Ich hingegen frage mich: Wie kann ich meiner Tochter erklären, dass ich, während ich aus dem Fenster schaue, das Ende einer Epoche sehe? Die Epoche, in die sie hineingeboren wurde, aber von der sie nicht wissen wird, dass es das Zeitalter der längsten und selbstvergessensten Phase des Friedens und des Wohlstands war, die die Geschichte der Menschheit jemals erlebt hat."

Schon an das nächste Virus denken

Da muss man erst einmal tief durchatmen und möchte nicht, wirklich so überhaupt gar nicht lesen, was der Biologe Jared Diamond und der Virologe Nathan Wolfe in ihrem Artikel für die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG schreiben: "Wir müssen an das nächste Virus denken." Jetzt, da die Coronakrise noch am Anfang zu stehen scheint, sollen wir schon an das nächste Virus denken?
Ja, sagen die beiden Wissenschaftler. Genau das sei nämlich nach SARS versäumt worden. Denn die Übertragung sei – wie vermutlich nun auch beim Coronavirus – auf Wildtiermärkten in China passiert. Deshalb fordern Diamond und Wolfe, jeglichen Handel mit Wildtieren zu verbieten. Sonst drohe die nächste Pandemie.
Zwar habe China nun die Märkte geschlossen, auf denen Wildtiere zum Verzehr gehandelt werden. Aber der Handel mit lebenden Wildtieren sei weiter erlaubt. So nutze die traditionelle chinesische Medizin beispielsweise die Schuppen des Schuppentiers.

Babyboom als Folge der Quarantäne

Dann muss man diesen Handel eben auch verbieten lassen, denkt man als Leser. Aber so einfach ist das nicht, erklären Diamond und Wolfe in der SZ:

"Was wäre, wenn die Forschung plötzlich herausfände, dass der Handel mit Käse oder Rotwein regelmäßig Epidemien verursacht? Wie würde Frankreich auf weltweite Forderungen nach einem Verbot reagieren? Für manche Chinesen haben Wildtiere eine noch tiefere kulturelle Bedeutung als Rotwein für die Franzosen."
Bevor Sie, liebe Hörer, nun auf den Gedanken kommen, den Corona-Kummer mit zu viel Rotwein zu betäuben, zum Schluss noch rasch ein Hauch von Optimismus vom Schriftsteller und bekennenden Hypochonder Thomas Glavinic. Der schreibt in der WELT:
"Derzeit hat der ganze Kontinent Hausarrest, was garantiert Ende des Jahres zu einem markanten Anstieg der Geburtenrate führen wird. Ein Pessimist würde jetzt sagen, dass das auch notwendig sein könnte, aber ich bin keiner."
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