Aus den Feuilletons

Das Auto als Mordwaffe

04:21 Minuten
Ein Mann liegt auf einer zweigeteilten Straße, über ihn ist eine Straßenbegrenzung gezogen. Er sieht wie überfahren aus.
Das Auto ist zwar des Deutschen liebstes Kind, kann aber auch zum Mordinstrument werden, schreibt die "FAZ" © imago images / Westend61
Von Tobias Wenzel · 27.11.2019
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Fahrzeuge sind „ein Tötungs- oder Mordinstrument“, schreibt die „FAZ“ und spricht sich für eine Beschränkung beim Autokauf aus. Diese könnte etwa analog zu einem Waffenschein sein. In „Zeit“ und „NZZ“ geht es auch um Fahrzeuge, allerdings mit nur zwei Rädern.
Fahrrad, Auto, Fahrrad: Das und in dieser Reihenfolge gibt’s in dieser Kulturpresseschau.
DIE ZEIT druckt das Foto eines Soldaten ab, der auf einem Fahrrad an einem brennenden Haus vorbeifährt. Mit der einen Hand hält er den Lenker, mit der anderen formt er das Victory-Zeichen. In der Bildunterschrift heißt es: "Ein serbischer Soldat 1991 in der nach monatelangen Bombardements zerstörten kroatischen Stadt Vukovar".
Darunter wiederum der Text des serbischen Schriftstellers Bora Ćosić. Der fragt: "Warum verklärt Peter Handke Serbien?". In knapp zwei Wochen wird Handke in Stockholm den Literaturnobelpreis entgegennehmen. Deshalb handket es gerade schon wieder in den Feuilletons. Ćosić sagt, er selbst werde wegen seiner Meinung von Serben als "Verräter" bezeichnet und fühle sich in Berlin, wo er lebt, einsam:
"Es ist wie auf einer Insel, auf der ich, leider aus dem geistigen Abseits, mit gewichtigen Argumenten von berühmten Personen zugeballert werde, die einst das Massaker von Srebrenica geleugnet haben, so wie die jungen Männer, die in schwarzen Stiefeln durch Europa stapfen, den Holocaust leugnen", schreibt er.
Er habe zuhause aber eine Zeugin: seine Putzfrau, die fast alle männlichen Mitglieder ihrer muslimischen Familie beim Massaker von Srebrenica verloren habe.
"Da fällt es schwer, wie Handke 'Gerechtigkeit' für mein Land zu fordern, wenn man ernsthaft Gerechtigkeit will. In diesem fortgesetzten Verurteilen glaube ich letztlich lieber meiner Putzfrau Habiba und den Gräbern ihrer Familie als jenem Liebling der Weltöffentlichkeit, der seine völlig verdrehten Ansichten mit sich herumschleppt."

Autos als Mordwaffe

"Der Deutschen liebstes Kind ein Mörder beziehungsweise eine Mordwaffe?", fragt Edo Reents in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG (Bezahlangebot) und meint das Auto. Denn Raser sind wegen Mordes verurteilt worden.
"Ohne Eifer ist festzuhalten, dass das Fahrzeug jetzt zumindest von Gerichten als das betrachtet wird, was es immer schon war: ein Tötungs- oder ein Mordinstrument - genauso wie ein Gewehr, ein Messer, Gift oder ein schwerer Gegenstand."
Reents weiß natürlich und schreibt das auch, dass die meisten Verkehrstoten nicht Opfer von Autofahrern sind, die Menschen gezielt umbringen wollten.
"Vor Gericht ist dabei aber weniger die sogenannte Heimtücke oder ein niedriger Beweggrund ausschlaggebend als vielmehr der Gebrauch eines 'gemeingefährlichen Mittels', eines Kraftfahrzeugs also."
Langfristig könne sich so der gesellschaftliche Blick auf das Auto ändern, vermutet Reents und fragt gewagt:
"Wird es hier, analog zu Amerika, das sich über den Schusswaffengebrauch regelmäßig die Haare rauft, ohne dass sich etwas änderte, dann bald Diskussionen geben: Autofahren als deutscher Freiheitsmythos? Warum lässt man es immer noch zu, dass jeder Bürger so leicht an ein Auto kommt? Was muss denn noch alles passieren?"

Festgefahrene Diskurse aufbrechen

Nach so viel Auto zum Schluss noch etwas Fahrrad: "Auf dem Fahrrad gestern fiel mir das Wort 'Erschließungsdisziplin' ein", schreibt die Philosophin Donata Schoeller in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG (Printausgabe). Sie hofft, mit "menschlichen Erschließungskompetenzen" zum Beispiel "festgefahrene Diskurse" aufzubrechen.
Das klingt sehr theoretisch, ist aber eine handfeste Kritik an den Geisteswissenschaften im Allgemeinen und der Philosophie im Besonderen, wo Menschen Ideen meist nur noch "nach-denken" oder sich hinter ihnen verschanzen. Selbstkritisch schreibt Schoeller:
"Wir müssen feststellen, dass gerade unsere langjährige Forschungspraxis einer freien Nachdenklichkeit und einem überraschenden, weiterführenden Austausch im Weg steht. Der philosophische Profi scheint sich die eigene Unfreiheit mühsam zu erarbeiten!"
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