Aus den Feuilletons

Boris Johnsons Vater und der französische Pass

04:16 Minuten
Boris Johnsons Vater trägt ein T-Shirt mit dem Aufdruck "Remain in the EU".
Stanley Johnson ist nicht immer einer Meinung mit seinem Sohn, dem Premier von Großbritannien. © picture alliance / dpa | Facundo Arrizabalaga
Von Paul Stänner · 01.01.2021
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Der Brexit ist vollzogen – und Boris Johnsons Vater ist laut der "Welt" dabei, die französische Staatsbürgerschaft anzunehmen. Er sei gegen den Austritt aus der Europäischen Union gewesen und wolle sich weiter ungehindert im Schengen-Raum bewegen können.
Das alte Jahr ist vergangen, das neue hat begonnen. Der Übergang verlief in der Totale etwas ruhiger als sonst, im Einzelfall aber mit den üblichen Exzessen. Wie jemand es schafft, sich einen Jahreswechselböller zu basteln, mit dem er gleich ein Loch in die Hauswand haut – dies noch vor Sylvester – oder sich gar den Kopf wegsprengt – dies direkt an Sylvester –, mag für Philosophen, die sich gern vorausschauend mit den Chancen und Risiken der Evolution beschäftigen, ein farbiges Thema sein, das man lustvoll diskutieren kann. Wir schauen noch einmal kurz zurück.
In den vergangenen Jahren bis zum Zungenbrechen diskutiert wurden die Chancen und Risiken des Brexits, der nun endlich vollzogen wurde. Die Brexiteers in London jubeln. Der Vater des Premierministers, dies vermeldet die WELT, ist in einem Akt nationaler und familiärer Treulosigkeit dabei, sich einen französischen Pass zu besorgen, denn: "Schengen ist eine feine Sache, splendid isolation hingegen eher doof." Unklar bleibt, ob das die Meinung von Johnson père ist oder die des Kommentators der WELT. Es zieht die WELT die politische Lehre: "Wer an die Größe und Bedeutung der eigenen Nation glaubt, sollte auch an Europa glauben."

"Viele Stunden schlechtes Fernsehen"

Die SÜDDEUTSCHE würde gern über den neuen Kriminalroman von Joanne K. Rowling schreiben, muss aber zwingend auflisten, was an persönlichen Anwürfen gegen die Autorin aufgefahren wurde und wird, weil diese angeblich transgender-feindlich sei. Gefahr droht nun auch von diesem Roman, denn der Böse in der Geschichte ist ein Serienmörder, der sich tarnungshalber als Frau verkleidet. "Um es vorwegzunehmen: Der Schlachter von Essex ist kein Trans-Charakter und wird auch nie als solcher interpretiert", schreibt die SZ. Was sind das für Zeiten, in denen solche Vorwegverlautbarungen geliefert werden müssen, um über ein Buch schreiben zu dürfen, das im Übrigen als ein "solider, vielleicht ein bisschen zu langer Unterhaltungsroman" gewertet wird.
Die ARD hat sich in ein Großprojekt gewagt, indem es Ferdinand von Schirach verfilmt hat. "Feinde – Gegen die Zeit" ist ein formales Experiment, weil die Geschichte einer Entführung nacheinander aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt wird. Die Grundfrage dabei lautet, ob es erlaubt oder nicht erlaubt sei, Folter anzuwenden, um ein Leben zu retten. "Viele Stunden schlechtes Fernsehen", urteilt die FAZ. Sie glaubt: "Feinde" will Zuschauer beeindrucken, die bislang weder mit dem kantschen Imperativ noch dem Volksmundspruch "Was du nicht willst, das man dir tu’, das füg auch keinem anderen zu" in Berührung gekommen sind. "Die Zahl dürfte wohl verschwindend gering sein", erwartet die FAZ und sieht im Ergebnis "viel Wind, viel Aufwand, unterkomplex konstruierte, forcierte Gegensätzlichkeit".

Was Kinder nach der Pandemie machen wollen

Die literarische WELT erinnert zum 100. Geburtstag an den "Denker, Dramatiker, Diabetiker" Friedrich Dürrenmatt, den offenbar immer noch in Tausenderauflagen nachgedruckten Autor, und lobt ihn, weil er dem Schweizer Literaturarchiv nicht allein Papier, sondern auch die Weine seiner Sammlung hinterlassen hat. Empfohlen wird "für jeden Fan sein ehemaliger Wohnort in der Westschweiz", denn dort besichtige man "ein ganzes Künstler-Universum". Das kann man natürlich erst nach Corona machen.
Was man dann noch machen kann, hat die TAZ Kinder gefragt. Sam, sechs Jahre alt, möchte in den Zoo und "den schwarzen Jaguar besuchen, der auch Panther genannt wird". Neela, sieben, möchte eine Übernachtungsparty mit einer Badewanne voll Wackelpudding. Mikko, 13, möchte nach Polen fahren und ordentliche Böller kaufen, und der hellsichtige Tomke, 14 Jahre alt, meint, dass er – bis Corona wirklich mal vorbei ist – bestimmt schon 16 ist oder 17. Und dann will er in eine Kneipe. Auch diese Wünsche wären Stoff für Philosophen, die sich gern vorausschauend mit den Chancen und Risiken der Evolution beschäftigen.
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