Aus den Feuilletons

Beim generischen Maskulinum hört der Spaß auf

04:23 Minuten
Ein Verkehrsschild mit der Aufschrift "Bewohner mit Parkausweis frei" wurde mit einem Aufkleber gegendert.
Man kann ruhig mit der Sprache experimentieren, aber Finger weg vom generischen Maskulinum! – findet der Germanist Horst Haider Munske. © imago / Ralph Peters
Von Arno Orzessek · 04.07.2021
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Geschlechtergerechte Sprache sei nicht pauschal abzulehnen, meint der Germanist Horst Haider Munske in der "Welt". Doch Veränderungen der Grammatik bedrohten die Einheit der deutschen Sprache, sofern sie verordnet würden, warnt er.
Liebe Grüne, bestimmt fühlen Sie sich bei der Lektüre der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG in der Regel wohler, als wenn Ihnen etwa die Tageszeitung DIE WELT in die Finger gerät, aber: Achtung! Der aktuelle Feuilletonaufmacher der SZ dürfte Ihnen aufstoßen.
Vor dem Hintergrund, dass das geltende Transsexuellengesetz reformbedürftig ist, spießt Susan Vahabzadeh folgenden Satz aus dem grünen Grundsatzprogramm auf: "Alle Menschen haben ausschließlich selbst das Recht, ihr Geschlecht zu definieren." Vahabzadeh kann dieser Forderung nichts abgewinnen:
"Sie sieht vor, dass sich jeder und jede einfach als das eintragen darf, was er oder sie sein möchte, ohne Rückfragen. Mit der CDU wird das schwierig, aber in jeder anderen Konstellation bekämen die Grünen ihr Selbstbestimmungsgesetz vielleicht endlich durch. Aber ist es deswegen wirklich mehrheitsfähig? Es würde faktisch die Verknüpfung von Biologie und Geschlecht aufheben.
Es ist falsch, Geschlechtswechsel unnötig zu erschweren, aber die einzige Alternative kann nicht darin bestehen, die Zuordnung zu einem Geschlecht wie das Ankreuzen eines Menüwunschs zu gestalten, jährlich veränderbar."

Frausein ist eine biologische Tatsache

In der Praxis, vermutet Vahabzadeh, würde sich das Gesetz frauenfeindlich auswirken, unter anderem, weil es keine belastbaren Statistiken über die Minderbezahlung von Frauen mehr gäbe. Im Übrigen beharrt Vahabzadeh mit Simone de Beauvoir darauf, dass der Körper "ein Zugriff auf die Welt" ist:
"Frauen sind nicht nur Menschen mit spezifischen Reproduktionsorganen, sondern an diese knüpfen sich auch brüchigere Knochen und ein anders verlaufender Herzinfarkt als bei Männern. In der medizinischen Forschung sind sie nicht die Norm.
Dass ihre Erfassung erschwert wird, hätte gerade noch gefehlt. Man kann nicht aufs Standesamt gehen und zu seinem neuen Geschlechtseintrag den weiblichen Herzinfarkt dazu buchen. Der Körper wird immer noch auf viele Medikamente anders reagieren als der männliche. Frausein ist eine biologische Tatsache."

Gendern? Ja, aber ...

Dass die WELT unterdessen titelt: "Wo Gendern wirklich Unfug ist", passt sicher ins WELT-Bild der Grünen. Dabei schlägt der Germanist Horst Haider Munske auffällig sanfte Töne an und konzediert: "'Geschlechtergerechte Sprache' ist nicht pauschal abzulehnen. Es gibt Bereiche, in denen wir problemlos damit experimentieren können."
Munske findet es okay, wenn am deutschen Wortschatz herumgegendert wird. Wenn es aber um die Grammatik geht, den "Kern des Sprachsystems" – und dazu zählt das schwer umkämpfte 'generische Maskulinum' –, winkt Munske ab:
"Alle Versuche, die Grammatik 'geschlechtergerecht' zu machen, stoßen deshalb auf heftigen Widerstand in der Sprachgemeinschaft, weil sie dem Grundprinzip grammatischer Kontinuität widersprechen. Wenn solche Regeln amtlich, per Gesetz oder Dekret eingeführt würden, zum Beispiel in der Sprache der Behörden, dann bedroht dies die Einheit der deutschen Sprache."

Schizophrene Terroristen sind vor allem eins: krank

Bleiben wir beim Kontroversen. In der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG denkt der Psychiater Manfred Lütz über die Attentäter von Hanau, Frankfurt und Würzburg nach, die alle an Schizophrenie litten:
"Debatten über Rechtsextremismus, mangelnde Integration und Islamismus, die jede für sich sinnvoll sind, führen offensichtlich nicht weiter. Nötig wäre vielmehr eine Debatte über Berechtigung und Grenzen des 'Rechts auf Krankheit' und über das Recht der Gesellschaft auf Sicherheit.
Gewiss, die Öffentlichkeit sträubt sich spontan dagegen, brutale Täter als Kranke bemitleiden zu sollen, denn dann kann man sie nicht mehr als Mörder hassen oder als Rechtsextreme oder Islamisten verachten. Wenn aber die psychische Erkrankung den Menschen völlig in ihren Bann schlägt, dann kann wirksame Prävention nur in wirksamer Behandlung der Krankheit bestehen."
Okay, das wars für heute. Nur eins noch: Lesen Sie den Artikel "Gute Literatur hat kein Verhältnis zur Moral" in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG! Der Schriftsteller, Philosoph und Bachmann-Juror Philipp Tingler zieht dort wunderbar über gleichförmig-weichgespülte Mainstreamkritik her. So, das wars jetzt aber wirklich. Schöne Woche und Tschüss!
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