Aus den Feuilletons

Befremdlicher Rat der Polizei

04:16 Minuten
Gestellte Aufnahme zum Thema Mobbing in sozialen Netzwerken. Neben dem "Gefällt mir" Button sind die Worte "Du Opfer" zu sehen.
Hass im Netz: Die "Taz" berichtet über einen Fall, in dem die Polizei kein gutes Bild abgibt. © imago-images / photothek / Thomas Trutschel
Von Tobias Wenzel |
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Die Adresse der Comedy-Autorin Jasmina Kuhnke wurde im Netz veröffentlicht, schreibt die "Taz" – zeitgleich mit dem Aufruf, sie "zu massakrieren". Statt Kuhnke unter Schutz zu stellen, habe die Polizei ihr geraten, sich von Twitter abzumelden.
Ist ein Grundrecht auf Wahrheit sinnvoll? Was ist Doxing? Und was hat das mit der Stasi zu tun? Fragen über Fragen in den Feuilletons vom Dienstag.

Die "größte Aufarbeitungseinrichtung der Welt", so Hubertus Knabe in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG, wird am 17. Juni "Geschichte sein". Der Historiker meint die Stasi-Unterlagen-Behörde. Die Dokumente werden nämlich in das Bundesarchiv überführt. Die wohl wichtigsten Unterlagen, "Millionen von der Stasi eigenhändig zerrissene Dokumente", würden allerdings weiter in über 15.000 Säcken verstauben.

Die Kosten der Stasi-Unterlagen-Behörde

Knabe hat einen guten Einblick in die Stasi-Unterlagen-Behörde. Denn bevor er Direktor der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen wurde, war Knabe Mitarbeiter der Behörde, die nach ihrem damaligen Leiter und dem späteren Bundespräsidenten Joachim Gauck benannt war. Deshalb kann Hubertus Knabe vom 2. Januar 1992 berichten, als zum ersten Mal ehemalige Dissidenten ihre Stasi-Akten einsahen.
"Irgendwann stand der Schriftsteller Hans Joachim Schädlich auf und verkündete mit bleichem Gesicht, dass sein vermeintlich oppositioneller Bruder unter dem Decknamen 'Schäfer' für die Stasi gearbeitet habe", erinnert sich Knabe in seinem Nachruf auf die Stasi-Unterlagen-Behörde. Die habe bisher mehr als drei Milliarden Euro gekostet.

Bedrohung durch Doxing

Vielleicht könnte man dann mit einem Teil des bald eingesparten Geldes die Mittel für Polizeischutz aufstocken und sie dann auch einsetzen, wenn Schutz wirklich gebraucht wird. Zum Beispiel von Jasmina Kuhnke. Die Schwarze Comedy-Autorin schreibt bei Twitter über Rassismus, Antifaschismus und Feminismus. Im Februar, berichtet Carolina Schwarz nun in der TAZ, sei Kuhnke rassistisch "gedoxt" worden.
Ge-was? "Doxing", von englisch "dox" für 'Dokumente', meint, dass jemand Daten zu einer Person zusammenträgt und sie in böser Absicht im Internet veröffentlicht. Im Fall von Jasmina Kuhnke ihre Adresse und außerdem ein Video von ihrem Haus. Gleichzeitig, so Carolina Schwarz, sei dazu aufgerufen worden, "Jasmina zu massakrieren". Anstatt ernsthaft zu erwägen, Kuhnke und ihre Familie unter Schutz zu stellen, habe ihr die Polizei geraten, sich von Twitter abzumelden.
"Sie sagen damit: Wenn du still bist, passiert dir nichts", wird die Comedy-Autorin in dem TAZ-Artikel zitiert. "Doch das ist nicht die Lebensrealität von Diskriminierten." Kuhnke ist deshalb mit ihrer Familie umgezogen, um sich wieder sicher zu fühlen.

Eingangssperre statt Ausgangssperre

Artikel 21 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verbietet Diskriminierungen etwa aufgrund der Hautfarbe oder des Geschlechts. Der Strafverteidiger und Bestsellerautor Ferdinand von Schirach will diese Charta nun um sechs Grundrechte erweitern, wie er in seinem neuen Buch "Jeder Mensch" darlegt. Johan Schloemann von der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG ist da skeptisch. Die EU interessiere leider kaum noch jemanden, "außer ein paar engagierte Eliten".
Auch verstört Schloemann von Schirachs Artikel 4: "Wahrheit. Jeder Mensch hat das Recht, dass Äußerungen von Amtsträgern der Wahrheit entsprechen." Schloemanns Kommentar dazu: "Wie bitte? Man versteht ja das europäische Trump-Trauma. Aber wenn zum Beispiel Armin Laschet sagt: 'NRW setzt die Notbremse konsequent durch' – sollen wir dann vor einen europäischen Wahrheitsgerichtshof ziehen?"
Meinetwegen, solange die Gerichtsverhandlung draußen stattfindet, würde wohl Hans Zippert sagen. Denn der Satiriker hat sich für die WELT zu Herzen genommen, dass laut führenden Aerosolforschern die Gefahr, sich mit dem Coronavirus anzustecken, nicht draußen, sondern drinnen lauert.
"Vordringlich wäre also keine Ausgangs-, sondern eine Eingangsperre", folgert Zippert. "Die Menschen müssen raus, aber dürfen nach 21 Uhr nicht mehr rein."
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