Aus den Feuilletons

Ausgezeichneter Starrkopf

04:22 Minuten
Peter Handke nach der Nobelpreis-Verleihung am 10.Oktober 2019 in einem Garten in Chaville in Frankreich.
Peter Handke gibt auch Deutschland eine Mitschuld am Balkankrieg der 90er-Jahre. © imago/Mehdi Chebil
Von Arno Orzessek |
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Im Interview mit der "Zeit" erklärt Literaturnobelpreisträger Peter Handke seine Fürsprache für Serbien und den Unterschied zwischen Journalismus und Literatur. Dass diese ungleiche Ziele haben, bezweifelt der "Tagesspiegel".
Die Wochenzeitung DIE ZEIT führt ein Interview mit Peter Handke. Also mit dem diesjährigen Literaturnobelpreisträger, dem wegen seiner pro-serbischen Texte rund um die Jugoslawien-Kriege Ende des 20. Jahrhunderts von vielen Kritikern die Preiswürdigkeit heftig abgesprochen wird.
Ab sofort, so viel können wir ohne prophetische Gaben prophezeien, werden nun jene Passagen des ZEIT-Interviews die Runde machen, die den Serbien-Komplex betreffen. Was ein bisschen schade ist.

Gegensatz Literatur und Journalismus

Denn drumherum führen Peter Handke und Ulrich Greiner ein launiges Altmänner-Gespräch, in dem es etwa um so singuläre Bücher wie Adalbert Stifters "Witiko" und William Faulkners "Licht im August" geht. Dabei allerdings bereitet Handke die Verteidigung seiner damaligen Fürsprache für Serbien vor – und zwar so:
"Die literarische Sprache ist die natürliche, sie ist die Sprache des Menschen, des Gefühls, der Vernunft, sie ist die ursprünglichste, nachhaltigste Sprache. Die Sprache des Journalismus ist eine künstliche, beigebrachte, schulische. Literatur ist nichts Künstliches, sie ist die Mitte der Welt. Stattdessen tut man so, als wäre der Schriftsteller nicht ganz hell im Kopf, weil er Schriftsteller ist."
Einige Absätze später behauptet Handke dann: "Kein Wort von dem, was ich über Jugoslawien geschrieben habe, ist denunzierbar, kein einziges. Das ist Literatur."

Vorwürfe gegen Deutschland

Tja, erinnert diese Argumentation nicht irgendwie an das Am-eigenen-Schopf-aus-dem-Sumpf-Ziehen des Baron von Münchhausen? Im Weiteren gibt Handke übrigens den zornigen Ankläger:
"Wie konnte Deutschland Kroatien, Slowenien und Bosnien-Herzegowina anerkennen, wenn auf dem Gebiet mehr als ein Drittel orthodoxe und muslimische Serben lebten? So entstand ein Bruderkrieg, und es gibt keine schlimmeren Kriege als Bruderkriege. Wie viele Serben haben in Kroatien, in der Krajina gelebt! Und die sollten plötzlich im eigenen Land ein minderwertiges Volk sein? Das musste Krieg geben. Warum sagt man nicht endlich, dass der Westen daran schuld ist?"
Peter Handke im ZEIT-Interview, das uns ziemlich anregt.
Und nicht anders der Berliner TAGESSPIEGEL, in dem Gerrit Bartels kommentiert:
"Es ist ein ziemlicher Starrsinn, der Handke auszeichnet, politisch sowieso, aber auch hinsichtlich seiner Sichtweise des Journalismus, etwa dass das 'journalistische Interesse' ein 'angereistes und auch ein Machtinteresse' sei. Auf den Gedanken, dass er seinerzeit bei seinen Reisen in Serbien genau dieselben Interessen verfolgt hat, kommt er nicht. Nimmt er nicht, um Handke-mäßig zu fragen, die Literatur in eine Art Zwangshaft?"
... grübelt Gerrit Bartels, der am Ende anmerkt: "Lustig immerhin ist, als Handke in der ZEIT von seinen Befürchtungen kurz vor der Literaturnobelpreisvergabe spricht: 'Ich hatte befürchtet, sie geben den Preis an jemanden, den ich für ein Arschloch halte.'"

Irritation durch ein Slangwort

Groß die Runde macht bereits das, was Roger Hallam, Mitbegründer der Klima-Bewegung Extinction Rebellion, über den Holocaust gesagt hat. Unter der Überschrift "Just another anti-semite" (etwa: "nur ein weiterer Anti-Semit") erläutert die TAGESZEITUNG, Hallam habe den Holocaust zu einem "weiteren Scheiß in der Menschheitsgeschichte" relativiert.
Dass das so stimmt, bezweifelt wiederum in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG Paul Ingendaay.
"Die überall kursierende deutsche Übersetzung der Aussage Hallams lautet, 'der Holocaust sei‚ nur ein weiterer Scheiß in der Geschichte der Menschheit'; der Vergleich mit dem skandalösen Wort vom 'Vogelschiss' des AfD-Chefs Alexander Gauland liegt daher nahe. Doch diese Übersetzung ist unvollständig, also in diesem Zusammenhang falsch. Das Slangwort 'fuckery' bedeutet nämlich neben 'Bordell', 'Blödsinn' und dem Geschlechtsakt auch eine 'moralisch falsche oder ungerechte Tat', und nimmt man den Begriff in der letzten Bedeutung, ergeben die Äußerungen einen Sinn, den man zumindest befragen kann."
Übrigens findet Paul Ingendaay die Aussage von Roger Hallam trotzdem falsch.
Aber lesen Sie selbst! Wir verabschieden uns mit einer Lebensweisheit, die der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG als Überschrift dient:
"Wer weiss, wer er ist, ist nie erwachsen geworden."
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