Aus den Feuilletons

Amanda Gorman auf Deutsch - ohne Ergriffenheit

04:23 Minuten
Porträtfoto der US-amerikanischen Lyrikerin Amanda Gorman
Die US-amerikanische Schriftstellerin Amanda Gorman trug bei Joe Bidens Amtseinführung eines ihrer Gedichte vor. Nun ist es auf Deutsch zu lesen. © picture alliance / ZUMAPRESS.com / Climate Reality Project
Von Hans von Trotha · 29.03.2021
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Mit einem Gedicht stahl Amanda Gorman dem US-Präsidenten Joe Biden die Show. Michael Braun vom "Tagesspiegel" glaubt, der Rummel werde sich mit der deutschen Übersetzung ihres Gedichtbandes nicht wiederholen.
Gerade im Radio, aber keineswegs nur, geht es oft vor allem darum, wie etwas klingt. Im Feuilleton ist davon gar nicht so oft die Rede. Jetzt aber geballt. Vor allem dank eines Gedichts, das die meisten von uns nicht hätten übersetzen dürfen.
Aber nicht nur. Das Feuilleton der FAZ würdigt außerdem eine andere, ganz reine Form des Klingens, den "Glauben als Form und Klang":
"Das künftige Magdeburger Domgeläut", berichtet Gerald Felber, "soll der Architektur der gotischen Kathedrale ebenbürtig sein". Was für ein schöner Gedanke – ein Klang, dieser erhabenen Architektur ebenbürtig. Das hinzubekommen, braucht, "vor allem Vorfeldarbeit": "statisch-akustische Gutachten, gemeinschaftliches Nachdenken über die zukünftigen Glockennamen und -sprüche, vor allem aber über ihre Verteilung im Westwerk. Die daraus entstandene Vision, technisch umgesetzt vom Magdeburger Architekturbüro Sußmann + Sußmann, ist", so die FAZ, "inzwischen sehr anschaulich auf einer eigenen Website zu betrachten, nachzulesen und als Klangsimulation auch schon 'vorzuhören'."

Kein Video-Link im Gedichtband

"Vorgehört" haben wir alle auch das Gedicht, das ab heute auf Deutsch nachzulesen ist. Ab sofort heißt "The Hill We Climb" auch "Den Hügel hinauf". Das klingt tatsächlich ganz anders.
Die Herangehensweisen an dieses Ereignis sind von Feuilleton zu Feuilleton unterschiedlich.
"Mission erfüllt", befindet Carsten Otte in der TAZ. "Die Übersetzung", meint er, "überzeugt in den meisten Punkten". Michael Braun stellt im TAGESSPIEGEL fest: "Der große Jubel über das, Zitat Oprah Winfrey 'Inbild sanfter Anmut', ist mittlerweile verhallt, die Bühne ist leer. Was Amanda Gorman da vortrug, war ein imponierendes Beispiel einer liturgisch inszenierten Spoken-Word-Poetry. Aber nur zwei Monate später, da ihr Gedicht in deutscher Übersetzung vorliegt, wird sich die kollektive Ergriffenheit wohl nicht wieder herstellen lassen."
Das liest sich bei Carsten Otte in der TAZ so: "Vielleicht wäre es hilfreich gewesen, in dem Band einen Video-Link zur Veranstaltung aufzunehmen, denn nur über den Gedichttext lässt sich schon bald nicht mehr nachvollziehen, warum der Auftritt der 22-jährigen Lyrikerin die Amtseinführung von Joe Biden überstrahlte."

Verse einer Dichterpräsidentin

In der FAZ zitiert Hubert Spiegel den Politologen Sacvan Bercovitch mit der Bemerkung, Amerika "sei wohl die einzige Nation, deren Identität vor allem auf ihrer Rhetorik beruht". "An ihren Versen soll ein ganzes Land gesunden", meint Spiegel zu Amanda Gorman.
Das deutsche Publikationsprojekt fasst er so zusammen: Das Gedicht "wird zweisprachig abgedruckt, ergänzt um einige Fußnoten eines dreiköpfigen Übersetzerinnenteams sowie eine Einführung von Oprah Winfrey, die exakt zwölf salbungsvolle Sätze umfasst. Macht 64 Seiten zum Preis von zehn Euro. Die Startauflage beträgt 50.000 Exemplare, die dritte Auflage wird gerade gedruckt. Kaffeetassen und T-Shirts mit Gormans Konterfei waren schon vorher erhältlich. Die Marketingmaschine war angeworfen, und es sieht zur Zeit nicht so aus, als sollte sie jemals wieder zum Stillstand kommen."
"Wenn ein amerikanischer Präsident Dichter wäre", meint Spiegel, "würde er Verse schreiben wie Amanda Gorman. Und wenn eine amerikanische Dichterin Präsidentin wäre, täte sie dasselbe."

Der "Trump-Slump" schlägt zu

Ganz am Rande des Feuilletons geht es auch noch um ein anderes US-amerikanisches Medienphänomen – auch da hört man gleich den arg unterschiedlichen Klang der deutschen Übersetzung. Kurt Sagatz weist im TAGESSPIEGEL auf ein erwartetes und nun ausgewertetes Phänomen hin, das Donald Trump prophezeit hatte: dass nämlich "die Nachrichtenbewertungen 'sinken würden, wenn ich nicht da wäre'", so Trump.
Und: "Er hat sich nicht geirrt", so Sagatz. "Überraschend ist vielmehr, wie groß" die sogenannte "'Trump-Beule' ausgefallen ist. Demnach ging die Online-Reichweite der dem Trump-Kritiker Jeff Bezos gehörenden Washington Post von Januar auf Februar um 26 Prozent zurück." Überraschend für uns vielleicht auch die nachgerade onomatopoetische Wortschöpfung, mit der die Amerikaner dieses Phänomen bezeichnen, und die mit "Trump-Beule" mehr als unzureichend übersetzt ist: In echt heißt es nämlich: "Trump-Slump".
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