Aus den Feuilletons

Alte Männer und gefährliche Abschiede

Der Dirigent Nikolaus Harnoncourt
Der Dirigent Nikolaus Harnoncourt © Ernst Wukits/AFP
Von Hans von Trotha · 07.12.2015
Das Alter ist Thema in den Feuilletons. Die "Welt" wünscht dem 86-jährigen Nikolaus Harnoncourt, dass sein Abschied vom Dirigentenamt weniger tragisch sei als der anderer Kollegen. Die "Berliner Zeitung" würdigt einen umstrittenen Alten.
"A country for old men."
Ist es Zufall, dass gleich nach Nikolaus alte Männer zum Top-Thema avancieren? Einer hatte zu Nikolaus auch noch Namens- und Geburtstag: Nikolaus Harnoncourt ist 86 geworden. Die WELT druckt das Faksimile eines berührenden handschriftlichen Briefs ab, der dem Programmheft seines letzten Konzerts beilag:
"Liebes Publikum, meine körperlichen Kräfte gebieten eine Absage meiner weiteren Pläne. Da kommen große Gedanken hoch: zwischen uns am Podium und Ihnen im Saal hat sich eine ungewöhnlich tiefe Beziehung aufgebaut – wir sind eine glückliche Entdeckungsgemeinschaft geworden! Da wird wohl Vieles bleiben. Der diesjährige Zyklus wird noch in meinem Sinne durchgeführt, bleiben Sie ihm treu! Ihr Nikolaus Harnoncourt."
Manuel Brug darf ihm in der WELT antworten:
"Natürlich haben alle sehen können, dass selbst Nikolaus der Große, der sich durch so viel Widrigkeiten und Hindernisse gekämpft hat, der mutig und unbeirrbar seinen Weg gegangen ist, nicht gegen das Alter gefeit ist. Doch Sie haben ihm lange getrotzt."
Direkt daneben schwadroniert Frederic Schwilden weniger charmant über Alte:
"Gibt es mehr Tragik als das Leben eines alten Mannes? Selbst Staatsmänner werden gegen Ende ihrer Karriere nur noch wie Zootiere oder Kuriositäten behandelt. Helmut Kohl wird auf die Buchmesse geschoben, Helmut Schmidt aus der 'Zeit'-Redaktion zum großen RTL-II Wettrauchen."

Werbung alter Männer für Supermärkte und Pornoseiten

Anlass für Schwildens Glosse scheint zu sein, dass ihm zwei Werbespots untergekommen sind, in denen alte Männer vorkommen, einer wirbt für eine Supermarktkette, der andere für eine Pornoseite. Schwildens Fazit lautet:
"Wir brauchen mehr alte Männer, weil nur sie das Innerste in unserem Herzen berühren können. Weil wir sie brauchen, um traurig zu sein. Sie sind wie ausgestorbene Tiere, die uns daran erinnern, wie schön es früher einmal war."
Na ja. Gewürdigt wird außerdem ein umstrittener Alter. Georg Etscheit schreibt in der BERLINER ZEITUNG:
"Der Regisseur und Autor Hans Jürgen Syberberg war lange Zeit einer der originellsten, aber auch umstrittensten deutschen Filmkünstler. Und auch zu seinem 80. Geburtstag bleibt er ein Ärgernis – zumindest in den Augen einiger Bewohner von Nossendorf, einem kleinen Ort in Mecklenburg-Vorpommern. Dort wurde Syberberg am 8.Dezember 1935 als Sohn eines Gutsherrn geboren; dorthin kehrte er vor 15 Jahren zurück. In Nossendorf, so berichtet Syberberg, gebe es eine alte, leer stehende Schule: 'ideal geeignet, um dort Flüchtlinge unterzubringen'. Doch Syberbergs Vorschlag stieß seinen Worten zufolge auf wenig Gegenliebe. Es gebe zwar keine explizit rechte Szene in Nossendorf, 'aber leider eine sehr massive, widerstandsfähige Altlast aus früheren Zeiten', so Syberberg: Menschen, die sich gegen alles Neue, Andere sträubten."
Das bestätigt in der SÜDDEUTSCHEN für den ganzen Osten ein Jüngerer. Michael Bittner, geboren 1980 in Görlitz, stellt fest:
"Viele Ostdeutsche begegnen Fremden selten oder überhaupt nur in der 'Bild'. Dadurch aber fehlt ihnen die Möglichkeit, Vorurteile durch alltägliche Begegnungen abzubauen."

Zugespitzte Pointe zum Alter

Doch noch einmal zurück zu Syberberg: Einen "Versöhner der Mythen" nennt ihn Lorenz Jäger in der FAZ und erinnert:
"Syberbergs Ruhm im Ausland wuchs im gleichen Maße wie der scheele Blick auf sein Schaffen in Deutschland."
Seine Distanzierungsbewegung verbrämt der FAZ-Laudator philosophisch:
"Noch kürzlich bekannte Jürgen Habermas, Michel Foucaults Schwärmen für Werner Herzog und Syberberg habe er nicht nachvollziehen können – 'Ich', so Habermas, 'neige zu Kluge und Schlöndorff'."
So dezent setzen Alte Spitzen gegen Alte, während selbst der sich in Verehrung ergehende Manuel Brug in seinem WELT-Beitrag das mit dem Alter um der Pointe Willen ganz schön zuspitzt:
"Als Rafael Frühbeck de Burgos 2014 seinen Dirigierabschied öffentlich machte, war er ein paar Tage später tot. Lorin Maazel, der seine Stelle als Chefdirigent der Münchner Philharmoniker kurz darauf aufgab, hatte danach keine drei Wochen mehr zu leben. Lieber Nikolaus Harnoncourt, Ihre Schrift deutet nach wie vor auf Kraft und Energie, auf Ihren wie stets hellwachen Geist hin. Deshalb hofft die ganze Musikwelt sehnlichst, dass Sie uns in irgendeiner Weise erhalten bleiben."
Und die ganze Feuilleton-Welt freut sich über Respekt, auch gegenüber den Alten.
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