Aus den Feuilletons

Alles wie immer - 140 Millionen später

05:51 Minuten
Die Neue Nationalgalerie am Kulturforum in der Dämmerung beleuchtet.
"Jetzt sieht eigentlich alles wieder aus wie immer. 140 Millionen Euro später", schreibt Nana Demand Bahlmann in der NZZ zur Sanierung der Nationalgalerie. © picture alliance / dpa-Zentralbild / Jens Kalaene
Von Tobias Wenzel · 01.05.2021
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Die Sanierung der Neuen Nationalgalerie ist abgeschlossen. Der ikonische Mies van der Rohe-Bau funkelt wie eh und je in Berlin. Dass eine solche Sanierung viel Geld kostet, erklärt Niklas Maak in der FAZ mit Verweis auf einen alten Ferrari.
"Ich höre von vielen jüngeren Leuten, sie möchten Journalist werden, weil sie etwas verändern wollen", sagte "Tagesschau"-Sprecher Constantin Schreiber, der regelmäßig mit Schülern diskutiert, im Gespräch mit der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG. Journalisten sollten aber "die Welt beschreiben, wie sie ist, und nicht, wie sie sein sollte".
Wie soll die Welt sein? Und wie ist sie jetzt? Diese Fragen sind in den Feuilletons dieser Woche aufgekommen. Und ist die Welt womöglich ganz anders, als sie erscheint, etwa weil wir zum Schwarzweißdenken neigen?

140 Millionen Euro für eine unsichtbare Sanierung

"Jetzt sieht eigentlich alles wieder aus wie immer. 140 Millionen Euro später", schrieb Nana Demand Bahlmann in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG über ihren Eindruck von der abgeschlossenen Sanierung der Neuen Nationalgalerie in Berlin durch David Chipperfield.
Wem da beim Lesen das Herz stolperte, den beruhigte Niklas Maak ein wenig mit seinem Artikel für die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG: "Das Licht, das aus dem Bau in die Nacht fällt, strahlt heller als bisher." Immerhin, dachten wohl einige Leser, aber die paar neuen Lampen allein haben doch hoffentlich nicht 140 Millionen gekostet?
Maak erklärte die Kosten für das von Ludwig Mies van der Rohe entworfene Museum so: "Der Mies-Bau wurde gewissermaßen wie ein seltener alter Ferrari in seine Einzelteile zerlegt und wieder originalgetreu zusammengebaut."

Wer entscheidet über den Ausnahmezustand?

Um Schein und Sein kreiste auch das Gespräch, das DIE ZEIT mit Juli Zeh, Thea Dorn und Daniel Kehlmann zum Umgang mit der Pandemie führte. "Das Fatale an dem Ausnahmezustand ist, dass er auf den ersten Blick extrem effektiv, wenn nicht sogar unverzichtbar scheint. Aber das ist ein Trugschluss", sagte Zeh.
Als Menschen hätten wir nämlich "immer die Freiheit, zu entscheiden, ob wir ein Großproblem als Ausnahmefall" betrachten wollten oder nur als eine von mehreren "Verwerfungen".

Indiens desaströse Corona-Politik

Ob wohl auch Inder die Freiheit haben, die derzeitige Corona-Lage in ihrem Land mit einem anderen Wort als "Ausnahmezustand" zu beschreiben? "Menschen sterben in Krankenhausfluren, auf Straßen und in ihren Häusern. Den Krematorien in Delhi ist das Brennholz ausgegangen", berichtet Arundhati Roy in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN SONNTAGSZEITUNG. Die Bestsellerautorin wirft der indischen Regierung gar "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" vor.
Die "mythengläubige Regierung", erläuterte der Indologe Axel Michaels in der FAZ, trage eine Mitschuld daran, dass geschätzte zwanzig Millionen Menschen wieder das Kumbh-Mela-Fest begehen und im Ganges baden, um Unsterblichkeit zu erlangen. Eine "erhöhte Sterblichkeit" bekämen sie in Wirklichkeit.
"Der neue Premierminister von Uttar Pradesh*, Tirath Singh Rawat, sagte noch am 9. März, dass es keine Behinderungen für Pilger geben und die Göttin Ganga (der personifizierte Fluss) über Covid-19 triumphieren werde", schrieb Michaels. Vermutlich hat die Göttin doch nicht triumphiert, weil sie selbst an Covid-19 gestorben ist.

Listenführer-und-Literaturbetriebsbeamtenmodus

"Die 93. Oscarverleihung bildete zum ersten Mal tatsächlich die Vielfalt der Gesellschaft ab", schrieb Jenni Zylka im Untertitel zu ihrem Artikel für die TAZ. Allerdings betonte sie die Herkunft der nichtweißen Preisträger so sehr, dass man das ungute Gefühl bekommen konnte, etwa die aus China stammende US-amerikanische Regisseurin Chloé Zhao sei nicht für ihren herausragenden Film "Nomadland" ausgezeichnet worden, sondern für ihre Herkunft. Ob Zylka wohl eine Strichliste zur Hautfarbe geführt hat?
Den "Listenführer-und-Literaturbetriebsbeamtenmodus" kritisierte Mara Delius in der WELT unter der Überschrift "Schwarz-Weiß-Denken". Das warf sie den Unterzeichnern einer Petition vor, die kritisiert hatten, dass nur Bücher von weißen Autorinnen und Autoren auf der Shortlist zum Preis der Leipziger Buchmesse stehen. Literaturjurys, entgegnete Delius, sollten herausarbeiten und auszeichnen, was Literatur im besten Fall sei: "Kunst. Nicht mehr oder weniger abgebildete Wirklichkeit."

Vorwürfe gegen Gorki-Intendantin Shermin Langhoff

Das Gorki-Theater leide darunter, dass der Intendantin die abgebildete Wirklichkeit wichtiger sei als die Kunst, haben einige Kritiker Shermin Langhoff vorgeworfen. Nun aber stehen ganz andere Vorwürfe gegen die Intendantin im Raum: "Machtmissbrauch", körperliche Übergriffe und das Schaffen eines "Klimas der Angst". Das haben fünfzehn jetzige und ehemalige Mitarbeiter des Theaters, die anonym bleiben wollen, Elisa von Hof vom SPIEGEL zu Protokoll gegeben. Ausgerechnet am Gorki-Theater!
Oder wie es Rüdiger Schaper im TAGESSPIEGEL vom Sonntag formuliert: "Auf der Bühne wird gegen das Unrecht der Welt gekämpft, während sich hinter den Kulissen Tyrannei ausbreitet und die Intendantin Coaching braucht."

Verzweifelte Post von Abiturienten

Zum Schluss noch einmal zu deutschen Schülern: zu Abiturienten aus Nordrhein-Westfalen. Die haben auf Twitter und Co. Autoren kontaktiert, deren Texte Grundlage von Prüfungsaufgaben waren, berichtete Moritz Baumstieger in der SZ. "Junge, benutz doch Wörter, die es im Wörterbuch gibt, du H0nd!", schrieb ein Abiturient dem US-amerikanischen Journalisten Farhad Manjoo.
Auch ein Auszug aus einem Buch des Soziologen Oliver Nachtwey war Teil der Abiturprüfung. Ein Schüler hat, so Helena Raspe in der FAS, Nachtwey folgende Nachricht geschickt: "Bitte bring nie wieder nen Buch raus!"
* Tirath Singh Rawat ist Regierungschef von Uttarakhand
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