Aus den Feuilletons

Ahnungslose Amis?

Sie sehen Frauen und Männer mit Helmen, einige halten Schilder hoch, auf einem steht "Trump gräbt nach Kohle".
US-Präsidentschaftskandidat Donald Trump hat Millionen Anhänger, aber warum? © imago / ZUMA Press
Von Burkhard Müller-Ullrich · 21.10.2016
Wie konnte einer wie der US-Präsidentschaftskandidat Donald Trump überhaupt so weit kommen? Es gibt Studien, die die vermeintliche Ahnungslosigkeit der Amerikaner in Staatsbürgerkunde als Antwort nahelegen. Aber wie steht es denn um das Wissen der deutschen Wähler?
Gut gelaunt und entspannt begannen wir die Feuilletonlektüre, und zwar beim SPIEGEL, der immerhin den Schatten einer Chance versprach, den Leser nicht nur mit Frankfurter-Buchmesse-Berichten zu quälen, weil doch das Wochenmagazin noch ein paar Tage übers Wochenende hinaus haltbar sein muß.
Gut gelaunt und entspannt also – wie die vom SPIEGEL so genannte "Hollywoodschauspielerin" Natalie Portman, mit der Martin Doerry ein Interview geführt hat, in dessen Vorspann er allen Ernstes darauf hinweist, dass sie gut gelaunt und entspannt zu selbigem erschienen sei. Portman hat gerade zum ersten Mal Regie geführt und einen Roman von Amos Oz verfilmt, ein anspruchsvolles Werk, in dem es um die Frühzeit des Staates Israel geht. Angesichts des schwierigen Stoffes und der Tatsache, dass Natalie Portman, die selbst die Hauptrolle spielt, nur israelische Akteure engagiert hat, stellt der SPIEGEL-Reporter allen Ernstes die ungläubige Frage:
Das heißt also, es geht ihnen bei diesem Projekt nicht ums Geld. Leider hat die Hollywoodschauspielerin versäumt, Doerry zu fragen, ob es ihm bei diesem Interview wohl auch um irgend etwas anderes als ums Geld gehe. Die Frage ist so unterirdisch, dass wir, obwohl es uns bei der Presseschau natürlich ebenfalls ums Geld geht, den SPIEGEL weggelegt und hastig zur FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG gegriffen haben, weil sie mit Blick auf ihre Konkurrentin, die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG, von einer bei näherem Betrachten in sich zusammen fallenden Sensation berichtet. Dort, in der SZ, hatte Duisburger Stadtbibliotheksdirektor Jan-Pieter Barbian gerade einen Quellenfund gepriesen, der es erlaube, die Geschichte der Arisierung des S. Fischer Verlags im Jahr 1936 lückenlos zu rekonstruieren. In der Tat gibt es bisher eine markante Erkenntnislücke bezüglich der genauen Umstände, die es ermöglichten, dass der damalige Verlagschef Gottfried Berman Fischer einen Teil des Unternehmens an seinen dem Nazitum eher fernstehenden Mitarbeiter Peter Suhrkamp verkaufen und mit einem anderen Firmenteil ins Exil ziehen konnte.

Die wahre Geschichte des S. Fischer Verlags?

Barbian behauptete in der SZ, das habe an Suhrkamps guten Beziehungen zum Präsidenten der Reichsschrifttumskammer, dem Dichter Hanns Johst, gelegen, mit dem er weitläufig verwandt war. Aber Tilmann Lahme, der selbst an einer S.-Fischer-Verlagsgeschichte arbeitet, hält dem in der FAZ entgegen:
Das alles haben andere bereits vorgetragen, und man könnte noch Gustaf Gründgens und Arno Breker und viele weitere ergänzen. Doch "zeigt" es jetzt nach Barbian die angeblich neue Akte. Wie sie das tut, erfahren wir nicht, denn kein Zitat und kein Dokument belegt diese Ausführungen, die in ihrer Zuspitzung vollkommen fehlgehen.
Laut Lahme ist es nämlich viel wahrscheinlicher anzunehmen, daß Goebbels mit der sanften Arisierung dieses renommierten Verlags gezielt Propaganda machen wollte; 1936 war schließlich das Jahr der Olympischen Spiele. Man gab sich zivil und konnte keine negative Begleitmusik durch prominente jüdische Autoren in der Weltöffentlichkeit gebrauchen.

Trumps Erfolg als Rätsel

Wie es mit Geschichtskenntnissen ganz allgemein in unseren westlichen Demokratien bestellt ist, darüber macht sich Hannes Stein in der WELT ein paar Gedanken, und zwar ausgehend von der Frage: Wie konnte Donald Trump auch nur in die Nähe des Weißen Hauses gelangen? Und warum hat ein linker Sozialdemokrat wie Bernie Sanders, der von den Revolutionen in Kuba und Nicaragua schwärmt, als hätte es dort nie stalinistischen Terror gegeben, in den Vorwahlen so viele Stimmen abgesahnt, vor allem bei jungen Leuten? Eine Antwort ist: Viele Amerikaner wissen es nicht besser, weil sie es gar nicht besser wissen können.
Stein referiert Studien, die eine atemberaubende Ahnungslosigkeit in "civic studies", also Staatsbürgerkunde, dokumentieren. Bloß, bevor wir uns darüber erheben: bei uns wissen 40 Prozent der Jugendlichen nicht, was der prinzipielle Unterschied zwischen Demokratie und Diktatur ist. Rund die Hälfte der Deutschen weiß außerdem nicht, was am 13. August 1961 geschah.
Aber wir wollen ja gut gelaunt und entspannt bleiben, deswegen Schluss mit Schule.
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