Aus den Feuilletons

Abschied von Kulturmissionar Siebeck

Der Gastronomiekritiker und Koch Wolfram Siebeck, aufgenommen in seinem Wohnsitz im Schloss Mahlberg.
Der Gastronomiekritiker und Koch Wolfram Siebeck (1928-2016) © dpa/picture alliance/Patrick Seeger
Von Arno Orzessek · 08.07.2016
Die Feuilletons erinnern an den verstorbenen Restaurant-Kritiker und Kochbuch-Autor Wolfram Siebeck: Er habe den Deutschen schlicht gutes Essen erklärt, stellt die "Welt" fest. Von einem "ernsthaften" Hedonisten schreibt die "Taz".
Liebe Hobby-Köche!
Wir könnten jetzt lang und breit aus den Nachrufen auf den umstrittenen Restaurant-Kritiker und Kochbuch-Autor Wolfram Siebeck zitieren, der mit 87 Jahren gestorben ist.
In der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG etwa nennt ihn Gottfried Knapp, erkennbar um Distanz bemüht, einen "Kulturmissionar".
"Selten war jemand in seinem Hedonismus so ernsthaft, strikt und deshalb auch irgendwie deutsch."
"Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass Wolfram Siebeck den Deutschen erklärt hat, was gutes Essen ist."
Da wir selbst aus seinen Büchern einst so viel gelernt haben, dass uns sein Tod traurig macht, wollen wir uns verabschieden, indem wir unser Siebeck-Lieblingsrezept weiterempfehlen: nudellose Wirsing-Lachs-Lasagne.
Und die, aufgepasst, geht so:
Legen Sie einige entgratete, blanchierte und gut abgetrocknete Wirsingblätter leicht gesalzen und gepfeffert aufeinander und darüber eine dünne Scheibe frischen Lachs, den Sie mit Curry, Ingwer, Knoblauch und Limettensaft würzen; die zweite Etage gleicht der ersten, oben drauf kommt noch einmal Wirsing; schneiden Sie endlich aus dem Fladen einen hübschen Quader und dämpfen ihn in Eisenkraut-Dampf.
Leicht und frisch schmeckt's! Pointiert und sehr aromatisch! Die Abschnitte gibt's dann übrigens in Butter gebraten zum Frühstück.
Wolfram Siebeck wünschen wir indessen, dass er in den feinsten Jenseits-Restaurants weitertafeln darf. –
Vom Paris-Liebhaber Siebeck leitet sich's natürlich leicht über zu dem Artikel "Allez les bleus!" in der WELT.

Führungsanspruch der Franzosen

Wenn Sie nun fürchten, wir würden Sie mit dem schmerzlich-überflüssigen 0:2 der Löw-Elf gegen Frankreich behelligen – so ist es nicht.
Der WELT geht es um mehr als nur den französischen Anspruch auf den EM-Titel. Wolf Lepenies berichtet:
"Kaum war im Vereinigten Königreich die Entscheidung für den Brexit gefallen, erklärte Bruno Le Maire, der 2017 französischer Präsident werden will: 'Jetzt muss die Führung auf dem Kontinent wieder an Frankreich übergehen.' Er machte sich damit zum Sprachrohr eines großen Teils der französischen Öffentlichkeit. Zwanzig 'Eurokritiker' haben gerade einen Aufruf publiziert, in dem sie eine Neuverhandlung der europäischen Verträge und eine veränderte Ausrichtung der EU fordern – unter Führung Frankreichs."
So Wolf Lepenies in der WELT.

Das Volk als Fata Morgana

In der Jacques Schneider unter dem eindeutigen Titel "Die große Hure Zeitgeist" vor der direkten Demokratie warnt, die Europa den Brexit beschert hat.
Rhetorischer Höhepunkt des Schneider-Artikels ist die Anrufung des Volkes:
"Oh Volk, du bist nicht Väterchen allwissend. Schlimmer noch: Du bist und bleibst eine Fata Morgana. Dich gibt es gar nicht, wie es manche dir vorgaukeln. Du bist nur ein Konstrukt, mit dem die politische Theorie ihre Geschlossenheit erreicht. ... Es gibt kein Volk außerhalb der Verfassung. Nur als 'konstituiertes Volk' ist das Volk politisch relevant, ja politisch vorhanden. ...Das Volk in seiner Gesamtheit kann keine vielschichtigen Entscheidungen treffen. Es lebt ganz in der Gegenwart und ist zur Vorausschau nicht in der Lage."
So der WELT-Autor Schuster im erregten Dialog mit dem Volk, das es angeblich nicht gibt.

Bilderflut des banalen Alltags

Apropos "Hure Zeitgeist"!
Die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG fleht: "Verschont uns mit euren Bildern!"
Claudia Mäder wettert gegen die Bild-Gewitter, die sekündlich in ihrem Whatsapp-Chat niedergehen und den banalen Alltag irgendwelcher mitteilungssüchtigen Leute illustrieren.
"Dem Absender mag das bildliche Zeigen das Gefühl geben, direkte Einblicke in sein ureigenes Leben zu bieten, Nähe zu schaffen, ja letztlich die Lücke zu schließen, die zwischen ihm und der Welt klafft. Allein, dieser Abgrund, über dem jede Kommunikation immer schwebt, ist nicht zu überwinden, und ihn mit Bilder zuschütten zu wollen, ist mehr als naiv."
Unsere Zustimmung hat sie – die NZZ-Autorin Claudia Mäder. -
Was das weitere Wochenende angeht, liebe Hörer, verabschieden wir uns mit den Worten, die in der SZ Überschrift wurden. Sie lauten: "Genießt es!"
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