Aus dem Leben eines Sonderlings

11.02.2009
Fleischman ist ein sonderbarer Einzelgänger, der als Mädchen für alles in einem futuristischen Hotel in Liberec arbeitet. Eine Psychotherapeutin versucht, ihm seine chronische Angst zu nehmen, die Stadtgrenzen Liberecs zu überschreiten. Mit "Grand Hotel" liefert Jaroslav Rudis einen leichtfüßigen, lakonischen Roman mit einem ungewöhnlichen Helden.
So abgeschieden und weltfern wie der Schauplatz im Roman "Grand Hotel", so weltfremd ist auch sein Protagonist. Fleischman ist ein Sonderling, der buchstäblich in den Wolken lebt: Er arbeitet als Mädchen für alles in einem (real existierenden) futuristischen Hotel - einer kreisförmigen, 90 Meter hohen Rakete auf dem Berg Jested, hoch über der Stadt Liberec (Reichenberg) gelegen. Mehr als die Menschen in seiner Umgebung interessieren Fleischman die Wetterverhältnisse. Er studiert die Bewegungen der Wolken und misst mehrfach täglich Wetterdaten.

Aber Fleischman erzählt uns auch von seinem früheren Leben: von seiner nicht besonders glücklichen Kindheit, von seinen Eltern, die angeblich bei einem Autounfall gestorben sind; davon, wie er vom Heim zu seinem Verwandten Jegr gekommen ist, der ihn in dieses Hotel mitgenommen hat.

Eine Handvoll weiterer Figuren rundet das kammerspielartige Bild ab - allen voran der deutsche Rentner Reinhold Franz, der mit Fleischmans Hilfe die Asche seiner alten Freunde zurück in die sudetendeutsche Heimat Reichenberg bringt.

Doch nicht nur die Vergangenheit spielt eine Rolle - es ist vor allem die Gegenwart, mit der Fleischman seine Probleme hat. Er geht regelmäßig zu "Frau Doktor" - einer Psychotherapeutin, die ihm die chronische Angst davor nehmen will, die Stadtgrenzen von Liberec zu verlassen. Und Frauen sind ohnehin ein besonders heikles Thema für Fleischman: Er hat ihnen gegenüber große Komplexe und fühlt sich doch von mancher, zum Beispiel dem Zimmermädchen Ilja, magisch angezogen.

Der Plot folgt sowohl seinen Herzens-Wirrnissen als auch der Bemühung, aus diesem Ort, aus diesem Hotel herauszukommen- physisch wie auch im übertragenen Sinne. Dabei entpuppen sich scheinbare Wahrheiten - seine eigenen, aber auch die von Franz oder Jegr - als Mythen der Vergangenheit.

Fleischman ist der Ich-Erzähler dieses Romans. Seine einfache, manchmal kindlich naive, oft humorvolle Weltsicht und Sprache gibt den plauderhaften Ton vor. Die kurzen Kapitel bilden die mosaikartige Struktur, aus der sich ein Leben zusammensetzt.

Jaroslav Rudis hat nach dem Erfolg seines U-Bahn-Romans "Himmel unter Berlin" auch mit seinem zweiten Roman wieder ein leichtfüßiges, lakonisches Buch verfasst, das dank seines ungewöhnlichen Helden eine anrührende Lektüre bietet.

Rezensiert von Olga Hochweis

Jaroslav Rudis: Grand Hotel
Roman. Aus dem Tschechischen von Eva Profousová
Sammlung Luchterhand, München 2008
238 Seiten, 8 Euro
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