Auratisierungsprosa und Überbietungsgesten

Christian Demand im Gespräch mit Christine Watty |
Die Sprache der Kunstwelt wirkt oft wie eine Fremdsprache, unverständlich und rätselhaft. "Sie auratisiert Werke", sagt der Kunstkritiker Christian Demand und sieht sie als eine Form des Marketings. Doch durch den inflationären Gebrauch von "Bedeutungsgesten" sei sie "wenig zielführend und sehr häufig albern".
Christine Watty: So, und jetzt zunächst mal ein paar Kulturtipps der ganz besonderen Art, Empfehlungen für die Berlin Art Week, die heute startet. Wir haben dazu mal das Programm durchgeblättert:

"Gerade in der Mehrdeutigkeit der aus dem musealen Erklärungssystem herausgelösten Artefakte können bestehende Wert- und Bedeutungssysteme erkannt und untersucht werden."

"Die Ausstellung geht von einem gemeinsamen Grundverständnis von Malerei aus, nachdem der Entstehungsprozess der Werke als ein durchweg konzeptueller Vorgang zu begreifen ist, der auch formale und inhaltliche Synergien zwischen den Arbeiten entstehen lässt."

"Abstraktion und Figürlichkeit, Utopie und Alltag, Präzision und Unvollendetheit, Narration und Materialität, Kitsch und Geometrie, Strategie und Zufall – die hier entstehenden Spannungsverhältnisse werden jeweils auf unterschiedliche Weise verhandelt."

"Sie geht dabei von unterschiedlichen Realitäten, Bildräumen und Betrachtungsstandpunkten zwischen Repräsentation und abstrakter Form aus."

"Der malerische Prozess lässt sich beim fertigen Gemälde an der organischen Struktur erschließen."

"Durch die Transformation von Wirklichkeit anhand unterschiedlicher künstlerischer Verfahren steht das klare Ziel im Vordergrund, sich aus einer kunstgeschichtlichen Tradition seit der Renaissance heraus mit Zeitgenossenschaft auseinanderzusetzen."

Watty: Jetzt haben Sie wahrscheinlich eher wenig verstanden. Das liegt an diesem "Best of" aus Ankündigungstexten für ganz verschiedene Veranstaltungen, Ausstellungen der Berlin Art Week, um die es hier ging. Die Berlin Art Week, die startet heute, und unsere Kollegin Marina Schweizer hat sich dazu einfach das Programm vorgenommen und all diese schönen Sätze und Worte darin gefunden. Warum das sehr gut klingt, aber erst mal ratlos zurücklässt, das erörtern wir jetzt mit dem Autor, Kunsthistoriker, Kunstkritiker Christian Demand. Schönen guten Morgen!

Christian Demand: Guten Morgen!

Watty: Es scheint also, als sei die Sprache der Kunstwelt tatsächlich eine Art der Fremdsprache. In der Zeitschrift "Merkur", dem Kulturmagazin, das Sie herausgeben, beschrieben es die Soziologin Alix Rule und der Künstler David Levine als "International Art English". Und Charakteristik dieser Sprache ist, sie ist exklusiv, im wahrsten Sinne des Wortes, sie schließt aus, zumindest diejenigen, die einen konkreten Sinn darin suchen. Ist diese Sprache der Kunstwelt gar kein Verständigungsmittel?

""Es ist auch eine Art Marketingsprache""

Demand: Sie ist auch ein Verständigungsmittel. Zuerst mal ist sie ein symbolischer Akt. Sie auratisiert Werke, Konzeptionen, Positionen, die selten auf ersten Augenschein zeigen, warum sie bedeutsam sind. Insofern ist es auch eine Art Marketingsprache, was ganz und gar nicht irgendwie ehrenrührig ist. Und es ist auch gar kein wirklich extrem neues Phänomen.

Wenn man sich anschaut, wie etwa ein Winckelmann die Statuen der Antike besungen hat, dann war das ebenfalls eine Auratisierungsprosa, die in erster Linie dazu diente, Begeisterung, Emphase zu bewirken oder auszudrücken und den Dingen, die man besang, eine besondere Aura zu verleihen.

Also, das ist ein altes Phänomen, das Problem, das sich irgendwann zusätzlich ergeben hat: Zur Zeit Winckelmanns war man noch der Ansicht, man wisse, was Kunst sei und das war ein relativ abzählbares, formales und gestalterisches und auch thematisches Repertoire, mit dem sich Künstler auseinandergesetzt haben. Das hat sich extrem verändert, spätestens mit Anfang des 19. Jahrhunderts. Und jetzt gab es die zusätzliche Position, es gab also nicht mehr ein Kunst oder eine gemeinsam geteilte Vorstellung darüber, was Kunst ist, sondern es gab jetzt sehr viele Dissidenten.

Und diese Dissidenten haben eine eigene Auratisierungsprosa entwickelt. Also, sie mussten das Gegenmarketing zum normalen Kunstbetrieb betreiben. Und wie das oft so geht, inzwischen ist das also ein sehr, sehr – jeder, der mal auf einer Großausstellung war, ob Documenta oder irgendwas anderes, hat gesehen - man fühlt sich manchmal wie in einem riesengroßen Warenhaus. Es sind die unterschiedlichsten Dinge unterschiedlichster Qualität, eines interessiert einen, das andere nicht. Eines leuchtet ein, das andere ist komplett fremdartig.

Und all die armen Menschen, die dahinterstecken und das verkaufen müssen, wenn sie nicht schon von großem Erfolg zehren können, sind in der schrecklichen Situation, in meistens sehr kurzen Aufmerksamkeitsspannen dem Publikum, den Käufern, den Kritikern et cetera erklären zu müssen, was macht ausgerechnet das Bedeutsame an diesem Werk aus. Ja, und sie versuchen es in der Regel mit Beeindruckungsgesten.

Watty: Aber macht man sich dann das mit dieser Sprache nicht auch etwas einfach? Weil es ist natürlich wahrscheinlich dann auch irgendwann, wenn man genauer guckt, so eine Art Setzkasten, aus dem man sich diese Teile nimmt, um dann das Unerklärliche der Kunst einfach in Worte zu fassen, um dann nach Marketing zu klingen und groß und gut zu klingen. Also kann diese Sprache wirklich etwas, also kann sie etwas beschreiben, etwas erklären, oder ist sie wirklich nur ein Abbild einer Situation in der Kunstwelt?

""Ein ziemlich hohles System""

Demand: Na ja, das Unglückliche ist, dass in der Regel eigentlich nur dampfgeplaudert wird. Das ist leider so. Es heißt nicht, dass es nicht auch herausragende Beispiele gäbe, damit umzugehen. Aber es ist auch eine Kunst, über Kunst zu schreiben, die auch nicht jeder beherrscht. Es gibt tatsächlich – das hat so was Setzkastenartiges. Es gibt inzwischen, ich hab vor Kurzem eine Seite im Internet, bin ich auf die aufmerksam gemacht worden, da kann man sich Künstlerviten auf Englisch in diesem Fall, weil es eben, der Kunstbetrieb, die Betriebssprache ja meist Englisch ist, kann man sich Künstlerviten machen lassen.

Man gibt sehr wenig Dinge ein, seinen Namen, den Geburtsort, Wirkungsort, und dann muss man in einem Raster von etwa zwölf unterschiedlichen Dingen wie: Arbeiten Sie eher mit Material, Skulptur, Neue Medien, Konzepte et cetera? Klickt man an, und es sind ganz, ganz wenige Variablen, es sind sechs oder sieben Informationen, die diese Maschine bekommt. Nachher bekommt man einen Text von ungefähr 1000 Zeichen oder 1500 Zeichen, der ganz genauso klingt, auf jeden passt, im Grunde genommen hat man das Gefühl "ah, mhm, oh"!

Ich hab es mit mir selbst probiert, der ich keine Kunst mache, und hab einfach "konzeptuell" eingegeben, weil ich dachte, wer über Kunst schreibt, der darf konzeptuelle Kunst für sich in Anspruch nehmen. Es war ein ganz, ganz bündiger und schlüssiger Text. Das ist allerdings auch ein gewisser Hinweis darauf, dass es ein ziemlich hohles System inzwischen ist.

Watty: Jetzt weiß ich den Namen dieser Website leider nicht, aber die kenne ich auch, die ist tatsächlich ziemlich genial und ziemlich erhellend. Dieser Diskurs über dieses "International Art English", der läuft jetzt schon den Sommer über und es gab auch schon Künstlerantworten darauf. Die Künstlerinnen Hito Steyerl und Martha Rosler, die ließen verlauten – ich zitiere jetzt aus einem Artikel der "Süddeutschen Zeitung" –, "dass das schwülstige Geschwafel von Kunstpressetexten in der Regel mit dem bescheidenen Status derer kontrastiert, die es verfassen, nämlich überarbeiteten und unterbezahlten Assistenten und Praktikanten". Das ist natürlich auch wiederum eine zynische, überspitzte Sicht auf diese Lage. Aber das heißt, die Künstler selbst wollen auch nicht, dass man so über sie spricht, mit den Bestandteilen aus Setzkästen und hohlen Phrasen.

Demand: Nein, das stimmt nicht. Ich verfasse selbst keine Künstlertexte, hab aber mal vor Jahren Seminare geleitet zu diesem Thema und hab dort mit Kunststudenten zusammengearbeitet. Die bringen ihre Selbstdarstellungen mit, meistens ging es darum, dass sie für ein Stipendium etwas einreichen. Es waren ja also noch angehende, vor ihrer Karriere stehende Künstler, und wenn man dann hört, was die von sich geben, dann ist das ganz genau dieses Gewäsch, nur noch sehr viel schlechter.

Und es stimmt natürlich nicht, dass nur überarbeitete Praktikanten da sind. Das sind auch Leute, die mitten im Betrieb stehen, die genau den selben Senf absondern.

Und das Interessante fand ich damals: Ich hab ihnen versucht klarzumachen, den Damen und Herren Jungkünstlern, dass das ein sehr merkwürdiges Unterfangen ist, zu glauben, man könne alle anderen mit immer größeren Überbietungsgesten noch weiter überbieten. Das führt zu einer Inflation. Was wir vorher in der Collage sehr gut gehört haben, ist ja – eine halbe Minute folgt man dem irgendwie interessiert, und danach löschen sich diese großen Gesten aus.

Es war unglaublich schwer, die Studenten dazu zu bringen, überhaupt nur anzuerkennen, dass es womöglich nicht in ihrem Interesse sein könnte. Wenn ich sie aber dann ein Jahr später gesehen habe, wenn sie ihre erste Ausstellung gemacht haben und es war ein Text in ihrem Katalog, dann hat der genauso geklungen wie das, was wir gemeinsam in dem Seminar als entsetzlich und völlig desinformativ vorher besprochen hatten.

Watty: Okay. Das ist auch wieder ernüchternd. Christian Demand im Radiofeuilleton zum Start der "Berlin Art Week". Über die Sprache der Kunst kommen wir noch zur Kunst höchstselbst. Sie haben ja gerade schon was Kritisches gesagt in Richtung der Künstler. Sie schreiben auch viel über die Kunstkritik und vor allem weisen Sie auch darauf hin, dass die kaum noch kritisiert wird. In einem Ihrer Bücher, "Die Beschämung der Philister", sprechen Sie von einer latenten Kritikfeindlichkeit, was zur Folge hat, dass der Kunstkritiker am Ende eigentlich zum Repräsentant des gesamten Kunstmilieus quasi wird. Wie kommt das?

""Ausgesprochen schwierig, wenig zielführend und sehr häufig albern""

Demand: Na ja, ich würde vielleicht das Buch, das ich damals geschrieben hab – das Zitat ist zehn Jahre alt. Ich würde heute fast sagen, als ich es damals schrieb, hab ich die Rolle des Kunstkritikers sehr viel ernster genommen, als ich sie heute nehme. Der Kunstkritiker, das sagen auch Kunstkritiker selbst, etwa Hanno Rauterberg von der "Zeit", sind inzwischen eher Randfiguren des Betriebs. Man hat noch die Vorstellung, es gäbe da so Gatekeeper, die mit der besonderen Kenntnis und einer besonderen Urteilskraft zwischen Publikum und Kunstbetrieb vermitteln. Die sind im Grunde genommen vollkommen bedeutungslos geworden.

Insofern ist auch diese besondere Sprache, die man da benutzt, keineswegs auf die Kritiker beschränkt, sondern das ist etwas, was den gesamten Betrieb verbindet, und, ja, wie gesagt, ich glaube nicht, dass es die Dimension komplett erschöpft, dass man sagt, es handelt sich ausdrücklich und immer nur um Symbolisches. Da wird auch kommuniziert. Man kann auch auf einer zweiten Ebene so was dekodieren. Aber es ist auf jeden Fall eine Form der Kommunikation, die ausgesprochen schwierig, wenig zielführend und sehr häufig albern ist.

Watty: Was muss denn jetzt passieren, außer darauf hinzuweisen in Gesprächen wie diesem, um diese Art der Sprache und im Zweifel dann auch am Ende der Kunstkritik, das zu renovieren?

Demand: Ich glaube nicht, dass das also durch Gesten wie die unsere – wir begleiten das und es ist ja wunderbar –, ich glaube nicht, dass es dadurch sich ändert. Hören Sie sich an, wie Sportreporter Fußball kommentieren. Da kann man ebenfalls eine Sendung drüber machen und sagen, was ist denn das für ein seltsames Kauderwelsch, was könnten wir tun? Nichts kann man tun. Solche Dinge haben eine Eigendynamik, die sich nicht auflösen lässt.

Das einzige, und darauf weisen auch die Autoren dieses Artikels hin, das einzige, worauf man rechnen kann, ist, dass, wenn die Beeindruckungsgesten immer größer werden und alle nur noch die selben Posing-Texte verfassen, dass irgendwann das Gebäude zusammenbricht und man einfach schlichtweg damit keine Wirkung mehr erzielen kann.

Watty: Danke schön an Christian Demand, Autor, Kunsthistoriker, Kunstkritiker und Herausgeber der Zeitschrift "Merkur". Ganz klar und hoffentlich verständlich wird heute Abend über Kunst gesprochen, nämlich bei uns hier im Deutschlandradio Kultur. Wir berichten von der Eröffnung der Berlin Art Week, anlässlich dieser haben wir auch dieses Thema gewählt, mit einer Sondersendung in "Fazit am Abend" ab 19 Uhr, unter anderem mit unserem Kritiker Carsten Probst, der Künstlerin Mariechen Danz und der Leiterin der Messe "abc", Maike Cruse. Und ich bedanke mich aber zunächst noch mal bei Christian Demand. Schön, dass Sie heute Morgen hier waren!

Demand: Ich danke vielmals!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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