"Ein Leben jenseits des falschen Respekts"

Nicole Zepter im Gespräch mit Frank Meyer · 15.08.2013
Wenn ihr unsere Kunst nicht versteht, seid ihr doof - diese Haltung hätten Museen ihren Besuchern gegenüber, kritisiert die Autorin Nicole Zepter in ihrem Buch "Kunst hassen". Deshalb traue sich kaum noch jemand eine eigene Meinung zu - weder Publikum noch Kritiker. Dabei seien die Museen verantwortlich für das fehlende Gefühl für Kunst.
Frank Meyer: Der bildenden Kunst scheint es prächtig zu gehen. Es gab noch nie so viele Ausstellungen, Künstler und Kunstwerke wie heute. Der Kunstmarkt brummt, vor den Blockbuster-Ausstellungen stehen sich die Leute die Beine in den Bauch, und in diese Hochzeit der Kunst, da platzt jetzt Nicole Zepter mit einem Buch, in dem sie ihren Hass auf die Kunst erklärt und begründet. Nicole Zepter ist die Chefredakteurin des Magazins "The Germans", sie hat Philosophie und Kunstgeschichte studiert, und jetzt ist sie hier bei uns im Studio. Seien Sie willkommen!

Nicole Zepter: Hallo, grüß Sie!

Meyer: Lassen Sie uns mal teilhaben an Ihrem Hass. Über welches Kunstwerk haben Sie sich denn so geärgert, dass der Hass in Ihnen aufgestiegen ist?

Zepter: Hass ist ja schon eine Wertschätzung an sich. Also, das meiste war so belanglos, dass ich mich daran nicht erinnere, also, es war einfach nur langweilig und ich habe es nicht behalten. Ich weiß, dass die Temporäre Kunsthalle hier in Berlin den quasi Anstoß zu dem Buch gegeben hat. Da bin ich wutentbrannt raus und dachte, so'n Scheiß. Warum hab ich mir das jetzt angetan? Und woran liegt das eigentlich, dass mich nichts mehr begeistert und dass ich sogar so etwas hassen kann?

Meyer: Und wenn wir auf die andere Seite schauen: So eine generelle Ablehnung ist ja erst mal relativ einfach - steht auch eine Liebe dahinter, also gibt es auch Kunstwerke, auch neue Kunstwerke, die sie begeistern?

Zepter: Ja, natürlich. Also Liebe und Hass hängen ja ganz nahe beieinander, und ich hab' in Dänemark im Louisiana Museum die "Singing Cloud" von der indischen Künstlerin Shilpa Gupta gesehen, war unglaublich begeistert, musste sogar etwas weinen, also eine klare emotionale Reaktion, und natürlich gibt es auch eine Menge junger Kunst, die ich sehr, sehr mag.

"Es gibt so einen vorauseilenden Gehorsam."
Meyer: Jetzt ist eine Grundthese Ihres Buches, mit der Sie auch Ihren Hassausbruch begründen, das ist eigentlich nicht erlaubt heute im Kunstbetrieb. Man darf nicht hassen, oder, wenn man ein weniger starkes Wort nimmt, man darf nicht ablehnen, man darf nicht grundsätzlich kritisieren. Woran machen Sie das fest, dass das praktisch verboten ist?

Zepter: Ja genau. Also, es gibt ein paar Punkte: In der Recherche hatte ich zum Beispiel absichtlich so Gruppen besucht, habe so Führungen mitgemacht und habe absichtlich Kunstwerke – nicht beschimpft, aber habe absichtlich gesagt, das finde ich jetzt total scheiße, und das verstehe ich nicht, und habe einfach gemerkt, dass dieser falsche Respekt in der Gruppe ist, dass niemand sich traut, etwas zu sagen, und dass die Kuratoren wirklich zu 99 Prozent der Fälle sich sofort persönlich angegriffen gefühlt haben.

Also es gibt so einen vorauseilenden Gehorsam. Und ich habe mich gefragt, woran liegt das eigentlich, woran liegt es, dass die Besucher nicht partizipieren, dass die so still und stumm, meistens noch mit ihren Kopfhörern durch die Räume gehen, die immer gleich aussehen, und – was ist hier eigentlich los?

Meyer: Sie dehnen diese Kritik aber, diese Kritik, man darf nicht kritisieren, auch aus auf die professionelle Kunstkritik. Da muss ich sagen, also hier in unserer Sendung "Fazit" zum Beispiel werden Ausstellungen durchaus kritisiert und wird auch über misslungene Ausstellungen gesprochen. Das lassen Sie dann extra aus oder sehen Sie das nicht?

Zepter: Nein, es geht ja nicht darum, dass ich generell sage, alles ist scheiße oder alles ist zu kritisieren. Aber ich nehme mir schon raus zu sagen, der Ist-Zustand ist sehr unbefriedigend. Der Ist-Zustand in der Kunstkritik ist unbefriedigend. Ich lese auch in den großen Feuilletons immer weniger Besprechungen, die, wie Sie das gerade beschrieben haben, auch kritisch sind. Und vor allen Dingen innerhalb der Museen, durch die Sprache, durch die Art und Weise, wie Kunst präsentiert wird, habe ich nicht das Gefühl, zu einem Diskurs eingeladen zu werden.

Meyer: Wenn wir der These erst mal folgen, zu sagen, Kritik wird immer weniger – woran liegt das?

Zepter: Also fangen wir mal an bei den Besuchern, die überhaupt nicht kritisieren. Also ich hab Besucherumfragen gemacht – die fühlen sich nicht befähigt zu kritisieren. Das finde ich ganz schlimm. Also, es ist eine - quasi, wie so eine schwebende Autorität, die durch bestimmte Punkte auch manifestiert wird, die es dem Besucher nicht erlaubt, zu kritisieren, frei zu sprechen, obwohl Kunst ja so frei ist und eine große Erwartungshaltung auch in sich birgt.

"Der Bildungsanspruch ruft diesen falschen Respekt hervor"
Meyer: Aber ist das heute nicht auch wirklich schwierig? Also, es gab die alten Zeiten, da gab es das Kriterium des Schönen oder des moralisch Guten, an die man sich gehalten hat, aber das ist lange, lange vorbei. Heute gibt es diese Kriterien eigentlich nicht mehr. Also woran sollen sich die Besucher halten, woran halten Sie sich, wenn Sie sagen, ein Kunstwerk ist gut oder schlecht?

Zepter: Genau. Da ist so ein bisschen der Umkehrschluss: Warum habe ich ein komisches Gefühl, wenn ich sage, es ist gut oder schlecht? Darum geht es ja. Es geht um dieses komische Gefühl, dass irgendjemand mir sagt, das darfst du nicht. Und das ist ja so in dem Moment, wo ich dann im Museum die Erfahrung gemacht habe. Und das war die Grundfrage, wer macht das eigentlich?

Und das sind verschiedene Punkte, die ich auch in dem Buch anspreche. Es ist zum einen die überhöhte Sprache. Da sind Künstler immer Genies, sie sind immer einzigartig, sie sind immer bedeutend. Komischerweise sind das aber alle. Und das wird auch immer wieder in den Pressetexten so vorangetrieben. Das ist die Art und Weise der Inszenierung. Als ich in die Neue Nationalgalerie gegangen bin, sagte Udo Kittelmann im Audioguide, hier wird nichts weniger als eine Reflexion über Kunst, Geschichte, Politik et cetera und Freude und Inspiration geliefert – Wow!

Meyer: Das ist der Direktor der Berliner Nationalgalerie, Udo Kittelmann.

Zepter: Genau. Und so viel Anspruch muss ja auch erfüllt werden, und da steckt etwas dahinter. Und dieser Bildungsanspruch, der so da durchschimmert, das ist das ist das, was diesen falschen Respekt hervorruft. Das heißt, ein Besucher, der das nicht versteht, ist doof. Und im Umkehrschluss, wenn ich die Kunst verstehe, bin ich intelligent. Das ist aber nicht richtig. Intelligenz hat damit nichts zu tun. Intelligenz hat nichts – oder Bildung hat nichts mit Intelligenz zu tun, sagen wir es mal so rum. Bildung hat etwas mit Zugang zu tun, und die Möglichkeit, dass ich mir Zugang verschaffen kann. Und die, finde ich, ist in den zumindest deutschen Museen nicht ausreichend gegeben.

Meyer: Und Sie meinen, die Museen inszenieren sich erfolgreich so, dass sie allen, die da hinkommen, suggerieren, wenn ihr das, was wir zeigen, nicht versteht, seid ihr doof und könnt nicht mitreden über Kunst?

Zepter: Ganz genau, das ist quasi die Anklage, die ich in dem Buch mache und die ich auch durch meine Erzählungen und Recherchen belege. Und da gibt es zum Beispiel einen Satz im Prolog, wenn der Shop das Interessanteste am Museum ist, dann muss es nicht an der mangelnden Intelligenz der Besucher liegen, sondern vielleicht an der mangelnden Intelligenz des Kurators. Also vielleicht ist einfach die Ausstellung nicht gut genug. Aber komischerweise traut sich das niemand zu sagen.

"Das Buch ist eigentlich ein Emanzipationsbuch"
Meyer: Ich würde gern noch mal auf diese Frage der Maßstäbe zurückkommen. Denn wenn man sagt, es gibt eben Maßstäbe wie das Gute, das Schöne nicht mehr für die Kunst - was sind dann die anderen Maßstäbe? Zum Beispiel, wenn man sagt, es ist die Frage, ergreift mich etwas, bewegt mich etwas. Da ist ja immer auch die Frage, ergreift es meinen Nachbarn, warum sollte den ergreifen, was mich ergreift. Also was machen Sie da zum Maßstab? Sich selbst?

Zepter: Nein, ganz und gar nicht. Das wäre ja dann falsch verstanden. Ich mache – oder das Buch hat den Anspruch – es ist eigentlich ein Emanzipationsbuch. Es hat den Anspruch, die Urteilskraft des Einzelnen zu stärken. Es hat den Anspruch, dem Besucher zu sagen, und auch dem Galeristen und auch dem Künstler, du musst das nicht gut finden, du kannst dich in den Diskurs begeben, du kannst quasi anfangen, dir eine Meinung darüber zu bilden und sie auch kundzutun. Das ist ja das Problem, dass das die meisten nicht tun.

Meyer: Ein ganz wichtiger Begriff, Sie haben den auch schon mit angesprochen, ist der Begriff des Elitären. Sie sehen das Elitäre einmal so im klassischen bürgerlichen Kunsttempel, wie wir ihn aus der Vergangenheit kennen, die eben bis heute reicht. Andererseits auch im modernen White-Cube-Bau, in dem die Kunst möglichst nüchtern präsentiert wird. Sagen Sie das noch mal genauer: Was ist für Sie das Elitäre daran, wie da Kunst vermittelt wird?

Zepter: Das Elitäre ergibt sich aus dem Zusammenspiel. Also es ist das, was ich gesagt hatte, Überhöhung der Sprache, es ist einfach ein unglaublicher – manchmal ein Quatsch-Vokabular in diesen Geschichten drin. Es ist eine Hierarchie, die natürlich auch über diesen sakralen Bau funktioniert. Aber das ist – im Einzelnen ist das alles vielleicht nicht so schlimm – im Zusammenspiel. Und es ist dieser Bildungsanspruch, der da durchschimmert. Der immer wieder sagt, bereite dich bloß vor, nämlich, wenn du das nicht kapierst, dann kannst du gleich wieder gehen.

Meyer: Aber wäre ein Museum ohne Bildungsanspruch – was bleibt dann übrig? Dann bleibt nur der Unterhaltungsanspruch übrig?

Zepter: Nein, ganz und gar nicht – das ist es ja jetzt. Also ich würde fast wirklich zuspitzen und sagen, dass wir jetzt nur noch Kunst konsumieren, dass wir das Gefühl zur Kunst gänzlich verloren haben, weil wir uns gar nicht mehr trauen, uns mit ihr auseinanderzusetzen.

Meyer: Und wie müsste dann ein Museum, ein Haus für die Kunst aussehen, in dem so was möglich wird? Was müsste da anders sein?

Zepter: Die Frage kann ich alleine nicht beantworten. Ich reg' ja mit dem Buch hoffentlich zu einer Diskussion an. Ich glaube, dass meine Lösung nur eine Lösung ist. In dem Buch wird letztlich die These formuliert, Kunst zu hassen. Das ist letztlich die Möglichkeit, wieder ein Gefühl zur Kunst herzustellen, genauso wie die Liebe. Und wenn wir das erreicht haben, wenn jemand im Museum sagen kann, das finde ich abgrundtief schlecht, weil … - und auch in die Diskussion kommt,oder: das finde ich total klasse, dann gibt es wieder ein Leben jenseits des falschen Respekts.

Meyer: "Kunst hassen. Eine enttäuschte Liebe", so heißt das Buch von Nicole Zepter. Das wird erscheinen in wenigen Tagen, am 23. August im Tropen-Verlag wird dieses Buch herauskommen. Ich danke Ihnen für das Gespräch!

Zepter: Vielen Dank!

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