Audis Einfluss in Ingolstadt

Autostadt sucht neuen Kurs

23:22 Minuten
Fabrikneue Audi-Autos auf Güterzügen am Hauptbahnhof in Ingolstadt.
Verbrennungsmotoren auf dem Abstellgleis? Ingolstadt investiert mit dem Automobilhersteller Audi in einen Forschungscampus für Elektromobilität. © pictue alliance / dpa / Daniel Kalker
Von Michael Watzke · 25.02.2020
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Mit Audi ging es aufwärts für den Standort Ingolstadt. Doch nun sorgen Diesel-Krise und Absatzrückgang des Autobauers für Nervosität in einer der reichsten Kommunen Deutschlands. Stadt und Unternehmen sind seit Jahrzehnten eng verflochten.
Großer Bahnhof in Ingolstadt. Der Autobauer Audi eröffnet einen eigenen Zughalt. "Ingolstadt Audi" steht auf dem frisch enthüllten, blauen Bahnhofsschild. Und weil hier Oberbayern ist, segnet ein katholischer Pfarrer das Schild mit Weihwasser:
"Wir danken Dir für diesen Audi-Bahnhalt Ingolstadt, der durch die Planung und den Einsatz vieler errichtet wurde."
Die Planung ist schon Jahrzehnte alt. Aber erst Ende 2019 kann Audi-Produktionschef Peter Kössler zusammen mit Ingolstadts Oberbürgermeister Christian Lösel das rote Band durchschneiden: "Ich glaube, es ist ein wunderbarer Moment heute für die Bürger in Ingolstadt und für die Audi-Mitarbeiter, die jetzt direkt mit der Bahn ins Werk fahren können", sagt Kössler.

Zwischen Stadt und Autobauer passt kein Blatt

Ingolstadt Audi. Audi und Ingolstadt. Die beiden gehören untrennbar zusammen. Je nach Sichtweise wie Ying und Yang oder wie Pech und Schwefel. Eine Umfrage in der Ingolstädter Fußgängerzone:
"Ich würde sagen, Audi dominiert die Stadt und bestimmt, wie sie ist." / "Die Stadt ist Audi. Die Leute denken nur in Audi-Begriffen und -Dimensionen." / "Ich befürchte, dass Ingolstadt zu stark von Audi abhängt und sich alles um Audi dreht." / "Ohne Audi wäre Ingolstadt nicht zu dem geworden, was es heute ist."
Wer vor dem alten Rathaus Ingolstadts steht, dem fällt Audi gleich mehrfach ins Auge: Neben dem Rathaus hat die Audi-Betriebskrankenkasse eine große Filiale. Daneben ein Plakat mit den neuesten Audi-Kulturveranstaltungen. In der Zielanzeige des vorbeifahrenden Busses leuchtet "Audi-Forum". Gefühlt 80 Prozent aller Autos haben vier Ringe auf der Kühlerhaube.

Für die Gemeinde ist der Partner Fluch und Segen

"Ingolstadt lebt gut mit Audi zusammen. Allerdings ist Audi gleichzeitig Fluch und Segen für unsere Heimatstadt", sagt Oberbürgermeister Lösel von der CSU. Wobei der Fluch manchmal zum Segen wird. Und der Segen zum Fluch. Bisweilen wissen die Schanzer, wie sich die Ingolstädter wegen der mittelalterlichen Stadtbefestigung nennen, nicht mal so genau, ob etwas Fluch oder Segen ist.
Beispiel Fußgängerzone: Neben dem Bronzedenkmal der Ingolstädter Schriftstellerin Marieluise Fleisser steht eine Ladenbesitzerin. Sie blickt fast genauso grimmig drein wie die Statue: "Viele sagen: Ingolstadt ist tot. Das kann ich nur unterschreiben", sagt sie. "Es ist traurig."
Das größte Problem: Audi zieht alle Fachkräfte ab. Sogar im Handwerk. Manche nennen den Autobauer gar den größten Bäcker Ingolstadts. Am Geld liegt es sicher nicht: Ingolstadt schwimmt dank Audi in Gewerbesteuereinnahmen. "Geld ist da", meint die Ladenbesitzerin, "aber es kommt nicht da an, wo es ankommen sollte. Man bräuchte vielleicht mal einen politischen Wechsel in der Stadt."
In drei Wochen wählt Ingolstadt einen neuen Stadtrat – und damit auch den Oberbürgermeister. Schärfster Konkurrent des CSU-Amtsinhabers ist Christian Scharpf von der SPD. Er sieht Audis Rolle in Ingolstadt positiv: "Audi engagiert sich stark, auch in der Kulturförderung. Ich finde, wir haben mit Audi ein gutes und faires Unternehmen in der Region."

Diesel-Skandal schürt Angst um Arbeitsplätze

Allerdings eines, das nach dem selbstverschuldeten Diesel-Skandal in der Krise steckt. Gerade erst hat der Autobauer verkündet, eine weitere Produktionsschicht zu streichen. Das betrifft 1250 Audianer. Viele sind verunsichert.
"Es ist traurig, was momentan da läuft", sagt eine Passantin. "Weil die Kleinen jetzt büßen müssen, was die Großen angerichtet haben. Zulieferer und auch die Bandmitarbeiter, die müssen jetzt für das büßen, was die Manager sich geleistet haben."
Solche Sätze hört man in Ingolstadt derzeit häufig. Aber OB-Kandidat Scharpf ist das zu kritisch:
"Ich würde nicht so pessimistisch sein. Was wir jetzt bei Audi sehen, ist – würde ich sagen - eine Delle. Wir haben mittlerweile über 40.000 Beschäftigte. Die normale Beschäftigungszahl davor bei Audi war immer um die 35.000. Da bewegt es sich jetzt wieder hin. Ich habe nicht die Angst, dass Ingolstadt zu einem zweiten Detroit wird."
Detroit, die amerikanische Motor City, die nach dem Niedergang der US-Automobilproduktion verarmte und teilweise verfiel. Im Vergleich dazu sind Ingolstadts Sorgen Luxusprobleme. Vor allem, weil es vielversprechende Zukunftspläne gibt. Einer davon wird auf einer riesigen Brachfläche voller Altlasten umgesetzt.

Altöl belastet Wasser und Erde

Verantwortlich für die Planung und Realisierung des Standorts ist Thomas Vogel, der Geschäftsführer der "IN-Campus GmbH". Er steht auf einem Baucontainer und blickt auf die wahrscheinlich größte Waschanlage Europas. Aber hier, am Ufer der Donau, werden keine Autos gewaschen, sondern Erde und Grundwasser. Noch stinkt es nach Öl:
"Man sieht, wenn man hier aufgräbt, aufschwimmende Ölreste auf dem Grundwasser. Das wird beseitigt", erklärt Vogel. "Wir nehmen die Erde, waschen sie auf der Baustelle und bringen den gereinigten Boden gezielt wieder ein, sodass wir eine gereinigte und von Altlasten befreite Fläche zur Verfügung stellen."
Für die Altlasten ist weder Audi noch die Automobilproduktion verantwortlich, sondern der andere große Industriezweig, der Ingolstadt prägt: Bayernoil. Eine Erdölraffinerie, deren Türme und Rohre die Silhouette der Stadt jahrzehntelang überragten. Jetzt sind sie abgerissen. Audi will hier einen modernen und umweltfreundlichen Forschungscampus errichten.
"Wir bauen nicht auf der grünen Wiese einen neuen Industriestandort auf, sondern revitalisieren die Brachfläche eines ehemaligen Industriestandortes", sagt Vogel. "Somit ist das natürlich ein Aspekt Richtung Nachhaltigkeit und Umweltschutz."

Elektroautos auf dem Zukunftscampus

Ab 2022 will die Volkwagen-Tochter Audi hier an selbstfahrenden, batteriegetriebenen Autos forschen. Rund 1500 Menschen sollen dann auf einem Gelände der Größe von 75 Fußballfeldern arbeiten, sagt Vogel:
"Im Entstehen, in der Baugenehmigung ist ein sogenanntes Crashzentrum. Ein Sicherheitszentrum, wo wir zwei Schlittenbahnen erstellen werden für die Erforschung des Crashverhaltens von Fahrzeugen im Allgemeinen."
Das IN im Namen "IN-Campus" steht für Ingolstadt. Die Kommune mit dem Autokennzeichen "IN" ist mit knapp fünf Prozent am Projekt beteiligt, die restlichen 95 Prozent hält Audi. Die Kosten liegen irgendwo zwischen 500 Millionen Euro, wenn man Audi fragt, und einer Milliarde Euro, wenn man externen Schätzungen glaubt.
Stadt und Unternehmen arbeiten also in einem Joint-Venture zusammen. Und das, so Audi-Manager Vogel, geschehe "transparent und offen":
"Wir haben eine sehr gute Kooperation in der Sache. Wir arbeiten am gemeinsamen Ziel, das ist der Grundgedanke dieses Joint-Ventures. Zum anderen haben wir uns alle strenge Regeln auferlegt. Wir haben uns das Thema 'Compliance' auf die Fahne geschrieben."

Schmutzige Geschäfte sind noch nicht vergessen

Klingt gut. Schließlich haben sich weder Audi noch Ingolstadt in den vergangenen Jahren den Ruf erworben, besonders sauber zu wirtschaften. Der frühere Audi-Chef Rupert Stadler saß wegen der Diesel-Affäre monatelang in Untersuchungshaft und wartet auf seinen Strafprozess.
Den hat Alfred Lehmann schon hinter sich: Der frühere Oberbürgermeister von Ingolstadt hat sich im Amt bestechen lassen und illegal um hunderttausende Euro bereichert. Das Landgericht Ingolstadt verurteilte Lehmann jüngst zu zwei Jahren Haft auf Bewährung. Die Ingolstädter Justiz ist so überlastet, dass das bayerische Justizministerium schon über eine personelle Aufstockung nachdenkt.
Ist Ingolstadt eine Heimstatt von Betrug und Bestechung? Oberbürgermeister-Kandidat Scharpf von der SPD formuliert es so: "Man kennt sich untereinander. Es bilden sich nach fast einem halben Jahrhundert an der Macht Seilschaften, Bekanntschaften, gegenseitige Gefälligkeiten. Man schanzt sich Jobs zu und ist sich seiner Macht ganz sicher."
Fragt man den amtierenden Oberbürgermeister Lösel nach seinem verurteilten Vorgänger Lehmann, antwortet der 45-jährige Steuerberater: "Also, zunächst möchte ich darauf hinweisen, dass Herr Dr. Lehmann erhebliche Verdienste um unsere Heimatstadt hat. Er hat als Oberbügermeister diese Stadt vorangebracht."

Ein Stadtoberhaupt im Schatten seines Mentors

Fragt man dann konkret nach Lehmanns zweifelhaftem Umgang mit Macht und Geld, sagt Lösel über seinen politischen Ziehvater, "dass er wohl im Nachgang zu seiner Tätigkeit als OB das eine oder andere übersehen hat. Dass man bestimmte Sachen so nicht macht. Und darauf bezieht sich die Pressemeldung vom Wochenende."
In dieser Pressemeldung von vor ein paar Wochen hatte sich die Ingolstädter CSU von Lehmann distanziert, nachdem erneut Informationen über weitere dubiose Maklerzahlungen und Bauaufträge an die Öffentlichkeit drangen. Das kann die örtliche CSU kurz vor der Kommunalwahl nicht gebrauchen.
Lehmann hätte uns wenigstens warnen müssen, heißt es in der Partei. Lösel ist trotzdem recht gnädig mit seinem Vorgänger. Kein Wunder, findet Ingolstadts dienstältester Stadtrat Manfred Schuhmann von der SPD: "Man muss halt wissen: Der OB war damals Dr. Lehmann, und der Chef im Oberbürgermeisteramt war ein gewisser Dr. Lösel. Aber mehr will ich dazu nicht sagen."

Bauaufträge an die Firma des Bürgermeisters

Andere sagen mehr. Etwa der Investigativjournalist Vinzenz Neumaier, der für das Recherchemagazin Correctiv arbeitet. Neumaier berichtet über die Firma, die der aktuelle OB Lösel mit dem ehemaligen OB Lehmann gemeinsam betrieb:
"Die Firma Arbor. Diese Firma hat in ein Bauprojekt eines Neuburger Bauunternehmers investiert, der ebenfalls sehr viel in Ingolstadt baut und deshalb eine durchaus enge Beziehung zur Stadt unterhält. Diese Firma wurde öffentlich. Herr Lösel hat sich öffentlich distanziert und hat seine Anteile an dieser Firma abgestoßen. Was er damals allerdings nicht gesagt hat, ist, dass die Anteile an die Schwester von Herrn Lehmann verkauft wurden."
Oberbürgermeister Lösel versichert im Interview, er habe nichts von Lehmanns Betrügereien gewusst. Und als sie bekannt wurden, habe er sofort eisern aufgeklärt: "Ich habe den gesamten Stadtkonzern sehr stark aufgeräumt. Dass wir immer wieder mit der Vergangenheit konfrontiert werden, ist nicht schön. Aber wir haben jetzt viele zusätzliche Prüfungsmechanismen eingeführt."
Zwar hat sich der Stadrat in Ingolstadt noch nicht auf schärfere Compliance-Regeln für die über 50 städtischen GmbHs einigen können. Stattdessen sagt Lösel, "dass wir allen Stadträten Handreichungen gegeben haben für die Frage, wie sie sich konkret verhalten müssen, dass sie bestimmte Geschenke nicht annehmen dürfen."

Kleine Gefälligkeiten unter Freunden

Bei Audi, Ingolstadts größtem Arbeitgeber, mische man sich nicht in die Kommunalpolitik ein, sagt "IN-Campus"-Geschäftsführer Thomas Vogel: "Wir sind personenunabhängig, das muss ich ganz klar sagen. Wir arbeiten mit Fachbehörden zusammen. Dort respektieren wir alle handelnden Personen."
Aber dass die Kommunalpolitiker vor der Oberbürgermeisterwahl versuchen, mit und bei Audi zu punkten, ist natürlich auch klar. Die CSU lud neulich zum Fototermin auf die "IN-Campus"-Baustelle, und SPD-Kandidat Scharpf kämpft für eine Fritz-Böhm-Straße:
"Der Gewerkschafter Fritz Böhm war nach dem Zweiten Weltkrieg langjähriger Audi-Betriebsratsvorsitzender und Ehrenbürger der Stadt Ingolstadt, also eine hochverdiente Persönlichkeit. Für ihn wäre eine Ehrung mittels einer Straßen- oder Platzbenennung völlig gerechtfertigt."
Zumal Böhm Sozialdemokrat war. Die Ingolstädter CSU zeigt sich kompromissbereit: Sie bietet in der Nähe des Audi-Werks eine Fritz-Böhm-Brücke an. So läuft das in Ingolstadt mit Audi und der Politik.

Außerdem in dieser Ausgabe des Länderreports:

Fürth blickt nach vorn - Neustart nach dem Verlust der größten Arbeitgeber

Die Stadt in Mittelfranken hat im ersten Jahrzehnt nach der Jahrtausendwende sehr gelitten: Der größte Arbeitgeber Grundig musste schließen, das Nürnberger AEG Hausgerätewerk ebenfalls, hinzu kam 2009 die Insolvenz des Versandhauses Quelle, das in Fürth seinen Hauptsitz hatte. Doch zehn Jahre später steht Fürth wieder ausgezeichnet da. Judith Dauwalter über eine Stadt, die sich gefangen hat.

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