Wohnungsmangel in Bayern

Die Jagd nach einer Bleibe im Freistaat

Wohnsiedlung in Nürnberg
Allein in Nürnberg haben sich 8500 Wohungssuchende beim Wohnungsamt angemeldet. © imago/imagebroker
Von Bettina Weiz · 14.08.2018
Wohnungen sollen gut gelegen, geräumig und natürlich auch bezahlbar sein. Doch günstiger Wohnraum ist nicht nur in München, sondern auch in anderen bayerischen Metropolen wie Nürnberg oder Ingolstadt Mangelware.
Nürnberg, Wohnungsamt. Im Wartesaal stehen zwischen den 26 braungrauen Plastikstühlen ein paar Yucca-Palmen und ein Gummibaum. Aber das heitert die Stimmung kaum auf. Ständig kommen Leute, um sich neu wohnungssuchend zu melden. Wolfgang Hess, ein Hüne von Mann mit kurzärmligem Hemd zwischen Reihen von Aktenordnern und zwei Bildschirmen, hat ihre Statistik auf dem Tisch liegen.
"Es wurden immer mehr im Lauf der Jahre. Von 2006 bis jetzt 2017 ist es eigentlich ein kontinuierlicher Anstieg. Aktuell haben wir 8500 Wohnungssuchende vorgemerkt."
Vermittelt wurden im letzten Jahr 1100 Wohnungen. Nicht mal ein Siebtel dessen, was gefragt ist.
"Also damit muss man sich bei uns abfinden, wenn man den Job bei uns macht, dass man immer Mangel verwaltet und also den wenigsten Leuten helfen oder nicht vielen helfen kann."
Mit Wolfgang Hess zusammen arbeiten elf Leute an den Wohnungsvermittlungen. Das heißt konkret: jeder Mitarbeiter vermittelt im Jahr zehn Wohnungen, weniger als eine pro Monat. Die Verwaltung des Mangels ist eine aufwändige Beschäftigung.
Für alle Beteiligten. Thaya Kannan kennt das gut. Die kleine, kräftige Frau mit der großen Brille und dem langen Pferdeschwanz hat schon oft vorgesprochen. Seit über anderthalb Jahren, sagt sie.
Wer hier eine Wohnung vermittelt bekommen will, muss nachweisen, dass er wenig verdient, als Einzelner höchstens 14.000 Euro im Jahr, Paare 22.000, plus 5000 Euro pro Kind. Thaya Kannan ist mit ihrem Mann vor zwanzig Jahren aus Sri Lanka nach Deutschland geflüchtet. Er schiebt Schichten in einer Druckerei. Sie hat über ein Jahrzehnt lang Treppen geputzt. Nun hat sie eine neue Arbeit angefangen – als Hilfskraft im Schnellrestaurant.
"Lobby, Küche, alles..."
Bei der heutigen Vorsprache stellt sich heraus: eine Lohnabrechnung der neuen Arbeitsstelle fehlt noch für die Vormerkung.
Wohnungslos ist sie allerdings nicht. Die Familie hat eine Bleibe, ungekündigt.
"Aber Dreizimmerwohnung, 71 Quadratmeter, evangelische Siedlung. Aber jetzt ich habe einen Jungen, ein Mädchen, Dreizimmerwohnung nix gehen. In einem Zimmer mehr. Aber klein in der Küche auch, Bad sind auch bisschen klein, aber ist schwierig."
Auf dem freien Markt suchen sie zwar, beteuert Thaya Kannan, hält das aber für aussichtslos.
"Ja, aber sehr teuer. Sehr teuer."

Dreizimmerwohnungen sind oft zu klein

In dem Moment bugsiert eine Frau den Wagen mit ihrem kleinsten Kind in den Wartesaal, vorbei am Wachmann, der zusieht. Sie meint, dass sie wegen ihrer Hautfarbe auf dem freien Markt keine Wohnung bekomme. Sie kam vor 17 Jahren aus Nigeria. Auch sie lebt davon, den Schmutz anderer Leute wegzuputzen. Große Familien sind ein Teil seiner Klientel, sagt Wolfgang Hess vom Wohnungsamt. Fast die Hälfte der Vorgemerkten aber lebe alleine. Er bräuchte also vor allem kleine Zweizimmer- und große Vierzimmer-Wohnungen, sagt er. Im Angebot seien stattdessen viele Dreizimmer-Wohnungen. So vieles passt nicht zusammen auf dem Wohnungsmarkt. Oft sind vor vielen Jahren Familien in große Wohnungen gezogen. Nun sind die Kinder aus dem Haus, und eine einzige Person lebt auf dem vielen Platz. Das Wohnungsamt hat schon Programme aufgelegt und Umzugsbeihilfe gezahlt, damit solche Leute in kleine Wohnungen ziehen. Aber:
"Das hat sich eigentlich nicht bewährt, weil der Aufwand hat überhaupt nicht zum Ertrag gestanden. Und meistens waren es letztlich Mitnahmeeffekte von Leuten, die eh umgezogen wären."
Zwei von drei Vorgemerkten bekommen Geld vom Staat, sagt Wolfgang Hess, also Grundsicherung im Alter oder vor allem Arbeitslosengeld II.
"Man muss allerdings auch sagen, dass viele unserer Wohnungssuchenden sehr unflexibel sind."

Sie wollen zum Beispiel nur in einem bestimmten Viertel wohnen oder möchten keine Treppen steigen. Häufig kommen zu Wolfgang Hess auch Leute, denen die Zwangsräumung droht, weil sie Mietschulden haben.
"Weil sie den Job verloren haben, das kann aber auch daran liegen, dass man einfach seine Miete für irgendwas anderes verbraucht, häufig sind es natürlich auch Leute, die überschuldet sind und dann irgendwann das Ganze über ihren Kopf wächst und dann auch nicht mehr in der Lage sind, ihre Miete aufzubringen. Oder Mahnungen vom Vermieter werden dann halt einfach weggeschmissen."
Aber da könnte man doch etwas tun, meint Heidi Ott: Haushaltspläne aufstellen, Geld zusammenkratzen, den Leuten beibringen, wie sie mit Briefen umgehen. Heidi Ott, ein kleines Energiebündel mit langen, schwarzen, offenen Haaren und gewinnendem Lächeln, ist bei der Diakonie. Zuvor hat sie jahrelang bei der Stadtmission Nürnberg gearbeitet.
"Ich hab' einen Fall miterlebt bei der Stadtmission N, dort war jemand, war von Wohnungslosigkeit bedroht, er hatte zwei Monatsmieten Mietschulden, er sollte ausziehen, Zwangsräumung war schon am Vorbereiten, und wir haben dann nochmal überprüft mit ihm, hat er alle Ansprüche ausgeschöpft, und das Glück war: Er hatte letztendlich vom Jobcenter noch 'ne Nachzahlung, die auch überwiesen wurde, die Wohnung konnte bezahlt werden, er hat die Wohnung behalten und ist letztendlich von Obdachlosigkeit verschont worden."
Wohnraum für mich: Ein Frau freut sich, dass sie den Zuschlag bekommen hat.
Wohnraum für mich: Ein Frau freut sich, dass sie den Zuschlag bekommen hat.© imago/Westend61
So wenige Sozialwohnungen in Deutschland wie heute gab es seit Jahrzehnten nicht. Nach den Skandalen um die gewerkschaftseigene Wohnungsbaugesellschaft "Neue Heimat"* in den 80er Jahren baut der Staat selbst keine mehr, gibt dafür nur günstige Kredite an Bauträger. Doch wenn nach 10 oder 20 Jahren die Kredite zurückgezahlt werden, fällt auch die Sozialbindung weg. Und wenn heute eine Firma neue Wohnungen bauen will, leiht sie sich das Geld bei den niedrigen Zinsen oft lieber auf dem Markt als beim Staat und muss hinterher auch keine billigen Mieten anbieten. "Mindestens auf dem heutigen Niveau" will die GroKo in Berlin laut Koalitionsvertrag, den sozialen Wohnungsbau verstetigen. In den Jahren 2020 und 2021 will sie mindestens zwei Milliarden Euro dafür bereitstellen. Heidi Ott hat all diese Zahlen auf ihrem Schreibtisch in der Diakonie Nürnberg liegen. Die Referentin für Wohnungslosenhilfe und Schuldnerberatung schüttelt vehement den Kopf.
"Ein Tropfen auf den heißen Stein, aber langfristig gesehen bedarf es viel mehr. Sozialwohnungsbau muss auch staatlich entsprechend funktionieren, weil nur auf dem freien Markt, haben wir ja gesehen, dass er nicht funktioniert."

Die Nachbarn wollen kein Hochhaus

München-Ramersdorf. Arbeiter hämmern an einer Ausfallstraße gerade in einem Rohbau. Sie kommen aus Serbien, Kroatien und Bosnien. Wohnungen im reichen München sind für sie unerreichbar. Die Männer hausen statt dessen in Containern nebenan. Auf der Baustelle erscheint Gerda Peter. Businesskleidung, schwarze Brille, die halblangen Haare perfekt frisiert. Sie führt die Geschäfte der Gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaft GWG, der Bauherrin hier. In ganz München soll die GWG in den nächsten fünf Jahren knapp 4000 günstige Wohnungen bauen. Kein leichtes Unterfangen.
"Woran hakt es insgesamt? Es geht darum, Flächen zu entwickeln, daran wird mit Hochdruck gearbeitet in der Stadt München. Und dann ist im Moment auch eine Schwierigkeit, Firmen zu bekommen, um überhaupt bauen zu können. Weil eine ganz extrem hohe Auslastung am Bausektor für den Wohnungsbau vorhanden ist."
Mit "Flächen entwickeln" meint Gerda Peter: Platz zum Bauen finden im vollen München. Kasernengrundstücke etwa oder Grünflächen. In Ramersdorf hat die GWG alte günstige Wohnungen abreißen lassen, um Platz für neue zu schaffen. Die Blocks, die nun entstehen, reichen bis zur dritten Etage. Warum nicht höher – bei dem Wohnungsbedarf?
"Ja, Sie sehen mich jetzt lachen, also es war hier so, dass natürlich überlegt wurde, höher zu bauen, auch einen Hochpunkt zu bauen, der dann korrespondiert mit dem gegenüberliegenden Gebäude, ja, ein Siebengeschosser. Und hier war es aber so, dass die Nachbarschaft große Bedenken hatte."
Es gab Bürgerversammlungen, Workshops, etliche Treffen und viel Aufregung. Der Verein 'Schutzgemeinschaft Ramersdorf' trat auf mit Bettina Rubow als erster Vorsitzender.
"Dieses Tengelmann-Gebäude war das, was keiner wollte, diesen Siebenstöcker, der wirklich schaurig ist, Sie denken, das darf nicht wahr sein, der sieht hässlicher aus als das Parkhaus von gegenüber. Also er ist wirklich sowas von missglückt, auch von der Ausführung her schlecht."

Bettina Rubow selbst wohnt in einem Ziegelhaus mit spitzem Dach und gepflegtem Garten in der Siedlung nebenan. Zwei Klingeln, auf beiden steht "Rubow". "Kaffeemühle" nennt man solche Häuschen aus den 30er Jahren, und die Schutzgemeinschaft Ramersdorf setzt sich dafür ein, dass sie erhalten bleiben. Überhaupt, dass die ganze Gegend möglichst konserviert wird.
"Wenn man neu baut, müsste man auch angesichts des Klimawandels, wenn man schon Flachdächer baut, begrünt, man müsste eigentlich insgesamt sehr, sehr grün bauen. Es geht nicht darum, alles zuzuknallen mit Beton, weil dann - das ist einfach nicht angenehm zu wohnen."
Gerda Peter von der Gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaft dagegen sagt:
"Wir legen auch bei unseren Neubauten großen Wert auf gut gestaltete Freiflächen, damit unsere Mieter eine gute Aufenthaltsqualität im Freien haben."
Platz bleibt dafür allerdings kaum.
"Jaja doch, das wird noch ein schöner Grünstreifen entlang der Bad Schachener Straße."
Wohnungsbau in München: Dämmplatten werden über eine Baustelle gehoben.
Wohnungsbau in München: Dämmplatten werden über eine Baustelle gehoben.© picture alliance / SvenSimon

Alles identisch: Die GWG setzt auf Minimalismus

Auf der Bad Schachener Straße brettern auf vier Spuren die Autos. Die Stadtautobahn Mittlerer Ring ist in Sichtweite, im Untergrund rattert die U-Bahn. Deshalb muss die GWG bei ihren neuen Häusern auch in Erschütterungs- und Schallschutz investieren. Bis zu zehn Prozent teurer werden die Blocks deshalb, sagt Gerda Peter, und auch die vielen Versammlungen mit aufgebrachten Bürgern kosten die GWG Zeit, also Geld.

"Wir haben die Grätsche, dass wir steigende Bodenpreise haben, wir haben das Thema steigende Normen, steigende Ansprüche, steigende Richtlinien, und diese Grätsche macht es immer, immer schwieriger, tatsächlich kostengünstig zu bauen."
Um beim Bau von Sozialwohnungen zu sparen, setzt die GWG jetzt auf Minimalismus: alle Fenster gleich groß, eine Medienleiste pro Wohnung, nur noch gerade Wasserrohre, alle Balkonbrüstungen identisch. Bettina Rubow von der Schutzgemeinschaft Ramersdorf fordert statt dessen wennschon Flachdach, dann begrünt. Mehr Bäume. Holzbau. Bloß kein Beton.
"Das ist das Billigste, aber sind wir jetzt ne arme Stadt? Oder ne arme Gesellschaft? Das ist doch'n Witz, oder? Sind wir doch gar nicht! Es ist ne Frage der Kreativität, und es ist keine Frage des Geldes. Das wird immer so erzählt, damit man weiter so seinen Stiefel durchziehen kann, seinen Beton-Stiefel!"
Grün rundherum. Das ist auch der Traum von Familie Müller aus Ingolstadt.
"Ein Garten, einen großen. Der ganz groß ist. Mit Blumen. Mein Haus soll gelb sein und ein rotes Dach. Mein Zimmer soll eine Wand lila und eine Wand rosa."
Nicht, dass Lilys jetzige Wohnung hässlich wäre. Sie ist sogar sehr hübsch, mit gemütlichem Kinderzimmer, Galerie und kleinem Balkon. Nur einen Garten, den hat die Fünfjährige nicht. Vom Balkon geht André Müllers Blick auf Eigenheime, auf Väter, die mit glücklichem Lächeln Babys durch Gärten tragen – und er kann nur zuschauen.
Vor einem Jahr zogen sie aus Stuttgart nach Ingolstadt, weil sich ihm da eine berufliche Chance auftat, erzählt seine Frau.
"Wir sind hergezogen, um einfach mal Zeit mit der Familie verbringen zu können. Weil wir einfach hier - mein Mann hat hier bessere Arbeitszeiten als vorher im Einzelhandel."
Aber die freie Zeit verbringen sie nun mit der Immobiliensuche.
"Also, es ist schwierig, unsere Tochter mag schon gar nicht mehr mitkommen zu den ganzen Besichtigungsterminen, ich kann es schon gar nicht mehr zählen."
"Ja, das stimmt. Wir sind jedes Wochenende unterwegs."
Ein Haus oder eine Wohnung wünschen sie sich, Hauptsache Garten. Und: was eigenes. So wie sie es in Stuttgart hatten. Da zahlten die Müllers 800 Euro Zinsen und Tilgung im Monat, mit der Aussicht, dass die Wohnung am Ende ihre eigene sein würde. Für ihre Wohnung in Ingolstadt zahlen sie jeden Monat 1400 Euro Miete – und das Geld ist dann weg. Hinter den Einfamilienhäusern, auf die die sehnsüchtigen Blicke vom Balkon fällt, erstrecken sich ein paar Felder, und dahinter wiederum erhebt sich ein großes, graues, eckiges Gebirge: die Audi-Werke. Vor allem die treiben die Immobilienpreise im Umland hoch, meint André Müller.
"Es ist wirklich ein Fluch und ein Segen zugleich, dass ein großer DAX-Konzern hier in der Stadt ist, und für uns als junge Familie mit 'nem mittelmäßigen Einkommen eigentlich fast unmöglich, irgendwo bezahlbaren eigenen Wohnraum zu bekommen. Wir arbeiten beide Vollzeit. Aber mit dem Einkommen fast unmöglich."

*) Wir haben hier eine Falschinformation korrigiert, 29.8.2018.
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