Attentat auf Rudi Dutschke vor 50 Jahren

Drei Schüsse am Kurfürstendamm

Passanten schauen auf die Schuhe von Rudi Dutschke, die noch am Tatort liegen. Dutschke wurde am 11. April 1968 vor der Geschäftsstelle des SDS am Kurfürstendamm niedergeschossen und lebensgefährlich verletzt.
Rudi Dutschke überlebt das Attentat schwer verletzt. Er stirbt am 24.12.1979 an den Spätfolgen. © picture-alliance / dpa / Chris Hoffmann
Von Wolf-Sören Treusch · 10.04.2018
Kurfürstendamm 142: Hier schießt am 11. April 1968 der Neonazi Josef Bachmann Rudi Dutschke nieder. Auch wenn heute eine Gedenktafel an das Attentat erinnert - nur wenigen Anwohnern und Touristen ist der geschichtsträchtige Ort bewusst.
Eine belebte Kreuzung am Berliner Kurfürstendamm. Drogerie und Supermarkt, Apotheke und Optiker: Die Einkaufsmöglichkeiten sind vielfältig. Im Haus mit der Nummer 142 Bäckerei und Geldautomat. Vor 50 Jahren hatte der Sozialistische Studentenbund hier sein Büro. Das Gebäude ist mittlerweile abgerissen und durch ein neues ersetzt. Dort holte dessen damaliger Anführer Rudi Dutschke ein paar Unterlagen, es war der 11. April 1968. Als er wieder zurück auf der Straße war, feuerte ein junger Mann drei Schüsse auf ihn ab und verletzte ihn lebensgefährlich.
"War lange vor meiner Zeit, da habe ich noch in der Buddelkiste gesessen."
"Das konnte ich nicht begreifen. Warum, was da immer abgelaufen ist, das weiß ich nicht. Aber ich fand es nicht gut."
Zwei Frauen um die 60, die gerade heftig miteinander tratschten, sind überrascht, dass sie dem Ort des Attentats auf Rudi Dutschke so nahe sind. Fünf Meter neben ihnen erinnert eine steinerne Gedenktafel, die in den Bürgersteig eingelassen ist, an den damaligen Studentenführer.
Eine Gedenktafel erinnert am Kurfürstendamm an das Attentat auf Rudi Dutschke.
Eine Gedenktafel erinnert am Kurfürstendamm an das Attentat auf Rudi Dutschke.© Wolf-Sören Treusch
"Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen, ich nehme das zum ersten Mal heute wahr. Ich wohne zwar nicht hier, aber ich bin öfter mal hier, und nehme das bewusst jetzt also zum ersten Mal wahr, wo Sie jetzt das auch zeigten. Also 68er? Da fällt mir immer unser Herr Fischer ein, unser ehemaliger Außenminister: Erst hat er Steine geschmissen, und dann hat er in Dahlem in der Villa gewohnt."
"Ich finde es bloß schlecht, dass das nie irgendwie mal beachtet wird. Da die Gedenktafel."
"Touristen ab und zu, die schauen sich das mal an."

Der Traum von der Weltrevolution

"Die Revolutionierung der Revolutionäre ist die entscheidende Voraussetzung für die Revolutionierung der Massen. Es lebe die Weltrevolution und die daraus entstehende freie Gesellschaft der ganzen Welt und nicht nur eines Dorfes."
Rückblick: mit kämpferischen Aussagen wie dieser auf dem Internationalen Vietnam-Kongress im Februar 1968 in West-Berlin wird Rudi Dutschke zur Symbolfigur der Außerparlamentarischen Opposition, kurz APO. Dutschke kritisiert nicht nur den Vietnamkrieg der USA, er greift auch die verkrusteten Gesellschaftsstrukturen in der Bundesrepublik an.
"Was ist autoritäre Erziehung anderes als eine permanente Form der Gewaltanwendung?"
Vor allem aber: Er provoziert. Und zieht damit den Hass des politischen Gegners auf sich. "Vergast Dutschke" pinselt jemand an den Flur des Hauses, in dem der Studentenführer wohnt. "Volksfeind Nummer 1 – Dutschke" steht auf einem selbst gemalten Plakat auf einer Großkundgebung der APO-Gegner im Anschluss an den Vietnam-Kongress. Ein Radioreporter bekommt die feindliche Stimmung direkt mit.

"Umlegen muss man die!"

"Der Ruf ‚Dutschke raus’, der bereits vorher des Öfteren erklang, wurde immer lauter und lauter. Ein Mann im blauen Mantel, der wohl meinte, dort vorne seien Gegendemonstranten, äußerte: ‚Umlegen muss man die, einfach umlegen’. Auf meine Frage, ob er das im Ernst meine, antwortete er: ‚Da hilft nur umlegen, sage ich’. Ein älterer Mann zu seiner Begleiterin: ‚Das sollten sie mal uns Frontsoldaten überlassen, kurzen Prozess, und wir hätten aufgeräumt’."

Vor allem die Springer-Presse heizt die Atmosphäre an. BILD veröffentlicht auf der Titelseite Fotos, auf denen Rudi Dutschke mit einem weißen Kreuz markiert ist. Am Nachmittag des 11. April 1968, dem Gründonnerstag vor Ostern, verlässt Dutschke das SDS-Büro am Kurfürstendamm. In der nahe gelegenen Apotheke will er ein Medikament für seinen kranken Sohn besorgen. Auf der Straße wartet der Gelegenheitsarbeiter und Neonazi Josef Bachmann auf ihn. "Du dreckiges Kommunistenschwein" schreit er, zieht eine Pistole und feuert drei Schüsse ab. Bachmann rennt weg, wird kurz darauf aber von der Polizei gefasst.
Studentenführer Rudi Dutsche steht während eines Vortrags in der Aula der Halenpaghenschule in Buxtehude am 06.03.1968 an einem Rednerpult und spricht
Als bekanntester Kopf der Studentenbewegung wird Rudi Dutschke für viele zum Hassobjekt.© dpa / Rolf Kruse
"Es sind die beiden Schuhe von Rudi Dutschke noch auf der Straße, es sind die Blutflecken zu sehen, sorgsam von Kreidestrichen umrahmt, außerdem liegt das Fahrrad noch genau in der Stellung, in der Rudi Dutschke dann auf den Bürgersteig stürzte, nachdem er von den drei Schüssen getroffen wurde. Es ist, … wirklich …, es ist einfach schrecklich zu sehen."

Dutschke überlebt das Attentat schwer verletzt

Rudi Dutschke überlebt schwer verletzt. Den Ärzten gelingt es, die drei Kugeln aus Kopf und Schulter zu entfernen. Die Meldung vom Attentat geht wie ein Lauffeuer durch die Republik.
"Als mich diese Nachricht ereilte, war ich völlig fassungslos."
Hans-Christian Ströbele, später lange Jahre für die Grünen im Bundestag, war damals der Anwalt Rudi Dutschkes.
"Für uns stand fest, dass dieses Attentat auf die Hetze gegen die Außerparlamentarische Opposition und gegen Rudi Dutschke insbesondere zurückzuführen war, die wir jeden Tag erleben mussten."
Am selben Abend ziehen deshalb Tausende von Studenten vor das Springer-Verlagshaus in West-Berlin und blockieren die Auslieferung der Zeitungen.
"Wir waren so aufgebracht, dass wir sagten: Man muss dem Springer-Verlag das Handwerk legen, man muss die Produktion dieser Art von Meinungsmache unterbinden."
"Es ist jetzt 23.35 Uhr: die Situation hier in Kreuzberg vor dem Axel-Springer-Verlagshaus hat sich derart zugespitzt, dass ein Wagen im Unterstellpark, in dem die kleinen Lieferwagen des Ullstein-Verlages stehen, in Brand gesteckt wurde. Die Feuerwehr ist jetzt mit einigen Löschzügen angerückt und versucht, den Brand zu löschen. Es hat Verletzte gegeben während der letzten Stunden. Verletzte durch Steinwürfe, denn immer wieder prasselten die Steine gegen die Fassade und gegen die Fenster."

Fünf Tage Kundgebungen und Krawalle

Im Laufe der Nacht, der Bericht des Reporters deutet es an, eskaliert die Lage. Weitere Firmenwagen des Springer-Konzerns werden umgestürzt und angezündet. Später wird bekannt, dass ein Spitzel des Verfassungsschutzes die Demonstranten dazu angestiftet hatte. In zahlreichen anderen Großstädten kommt es ebenfalls zu Protestkundgebungen und Krawallen. Der "Marsch auf Springer" ist der Auftakt zu den schwersten Straßenunruhen, die die Bundesrepublik bis dahin erlebt hat. Fünf Tage dauern sie an. Es zeigt, welch hohe Symbolkraft Rudi Dutschke für die Geschichte der Außerparlamentarischen Opposition hatte und bis heute hat.
"Der Mann ist in Anführungszeichen auch noch heute eine Ikone, die weiter lebt."
Jürgen Karwelat ist im Vorstand der Berliner Geschichtswerkstatt, ein gemeinnütziger Verein, der seit nunmehr 37 Jahren Forschungs- und Ausstellungsprojekte zur Geschichte Berlins organisiert. Ihn beeindruckt an Rudi Dutschke vor allem seine Authentizität: er sei einfach glaubwürdig gewesen.

"Wenn man sich seine Reden heute anhört, stellt man fest, das ist ja eine sehr gestelzte, abgehobene Sprache, die er spricht, mit vielen langen Sätzen, die man manchmal gar nicht versteht. Aber was man versteht, ist, dass er hinter dieser Sache steht und dass er auch vermittelt: ‚Es muss sich was ändern, es muss Demokratie kommen’, dafür steht er, dass er eine Überzeugung hatte, die er ja dann auch anderen vermitteln konnte."
Jürgen Karwelat wohnt um die Ecke vom Kurfürstendamm, dem Ort, an dem auf Rudi Dutschke damals geschossen wurde. Er schaut öfter mal bei der Gedenktafel vorbei, sagt er, stellt eine Blume dorthin. Morgen, am 50. Jahrestag des Attentats, wird das Gedenken etwas größer ausfallen. Die Berliner Geschichtswerkstatt will an Rudi Dutschke, aber auch an die Aufbruchsbewegung jener Zeit erinnern.
Feuerwehrleute löschen die Wartungshalle für Kraftfahrzeuge des Springer-Verlages. Eine Welle von Protestdemonstrationen hat das Attentat auf den Berliner SDS-Ideologen Rudi Dutschke ausgelöst.
Das Attentat auf Dutschke löste eine Welle von Protesten aus. Besonders ins Visier geriet der Springer-Verlag.© picture alliance / Konrad Giehr

Eine der wichtigsten Personen der deutschen Geschichte

"Wir als Gesellschaft brauchen Anker, wir brauchen Menschen, mit denen wir uns identifizieren können, und ich denke, Rudi Dutschke ist eine der wichtigen Personen der deutschen Geschichte der Nachkriegszeit, und zwar in positiver Hinsicht, weil sich mit ihm ne positive Öffnung der Gesellschaft verbindet. Autoritäten in Frage stellen, fragen überhaupt, sich streiten, dass Streiten was Positives sein kann, wenn es anschließend dann gelöst wird, das verbinde ich alles mit Rudi Dutschke und mit dieser Bewegung damals, die ich weniger als Studenten-, schon eher fast als Kulturrevolution bezeichnen würde."
Zurück am Kurfürstendamm. Eine junge Frau steht mit ihrem Fahrrad direkt neben der Gedenktafel für Rudi Dutschke. Sie wartet auf ihren Freund, der gerade im Supermarkt etwas zu essen kauft. Danach wollen die beiden zum Wannsee. Natürlich kennt sie Rudi Dutschke, sagt sie. Wer sich für linke Politik interessiert, weiß, wer das war. Aber dass sie nun genau an dem Ort steht, an dem auf Rudi Dutschke geschossen wurde, überrascht sie dann doch. "Anti-Autoritarismus", das Aufbegehren gegen die Obrigkeiten, auch gegen die eigenen Eltern, das verbindet sie am stärksten mit der 68er-Bewegung.

"Ja, ich würde sagen, dass es die Gesellschaft sehr geprägt hat so. Liberalisiert so, aber so die Radikalität der Ideen ist nicht mehr so. Also ich glaube, vielleicht so der Kern dessen, was die Leute wollten, wird halt nicht befolgt, aber so ein bisschen die Gesellschaft, die bürgerliche Gesellschaft liberalisiert hat es schon, würde ich sagen."
Aus der Apotheke kommt eine junge Angestellte neugierig auf die Straße. Obwohl sie fast jeden Tag ihr Auto hier parkt, sagt sie, habe sie sich die Steintafel im Bürgersteig noch nie angeschaut. Nachdenklich liest sie sich den Text durch. Und erfährt zum ersten Mal vom Attentat auf Rudi Dutschke.
An der Rückseite einer Bushaltestelle ist eine Infotafel über Rudi Dutschke angebracht.
An der Rückseite einer Bushaltestelle ist eine Infotafel über Rudi Dutschke angebracht.© imago/Jürgen Ritter

"Jetzt weiß ich, wer Rudi Dutschke ist."

"Sehr traurig, und traurig, dass man darüber so wenig Bescheid weiß. Ich kenne den Menschen gar nicht. Ist für mich sehr traurig, weil: Ich bin sehr interessiert an Geschichte und gerade, wenn es um politische Verfolgung und sonstiges ist, aber ich kenne den leider nicht."
Auch den Text der Informationstafel, die wenige Meter weiter im vergangenen Jahr an der Rückseite der Bushaltestelle angebracht wurde, liest sie sich nun zum ersten Mal durch. Hier erfährt sie, dass der Studentenführer an Heiligabend 1979 an den Spätfolgen des Attentats starb.
"Ich danke Ihnen. Jetzt weiß ich, wer Rudi Dutschke ist."
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