Attacke ohne Rücksichten
Muffig, verhockt und fern jeden Humors seien sie gewesen, schreibt Kai Diekmann: In seinem neu erschienenden Buch "Der große Selbstbetrug" rechnet der "Bild"-Chefredakteur mit der 68er-Generation ab und geißelt polemisch jegliche Form des Antiamerikanismus' und die neue erwachende "Ökoreligion".
Manchmal ist er einem echt sympathisch. Wenn er so richtig loslegt, mit heißem Herzen und gar nicht kühlen Kopf. Wenn er vom Leder zieht, derb, auch verletzend, aber immer ehrlich: wie Dieter Bohlen eben, der sagt, was er denkt. Geradeaus. Hart, auch gegen sich selbst.
"Meine Worte sind nicht mit der Goldwaage gewogen, meine Sätze nicht abgestimmt mit den politisch Korrekten. Es ist eine polemische Attacke ohne Rücksichten - und in dem Wissen geschrieben, dass manche Schüsse auch mich selbst treffen."
Stimmt. Reichlich. Doch, manchmal hat er auch einfach Recht. Etwa, wenn er hart umkämpfte Errungenschaften der Frauenbewegung verteidigt:
"Ehrenmorde sind in Wahrheit ehrlose Morde"
Und den gedankenlose Kulturrelativismus geißelt, der sie preisgibt zugunsten einer hirn- und haltlosen Toleranz Radikal-Islamisten gegenüber. Wenn er in der aufgeregten Klimadebatte Züge einer neuen Ökoreligion mit Absolutheitsanspruch entdeckt.
"Selbst wenn ganz Deutschland nachts im Dunkeln auf die Toilette ginge, hätte das nicht den Hauch eines Einflusses auf den Klimawandel."
In der Skeptiker,zu Verbrechern an der Menschheit oder "Öko-Schweinen" mutieren. Wenn er seinen Briefwechsel mit "Die Rente ist sicher"-Norbert Blüm abdruckt.
"Verehrter Brieffreund! Ihr acht Seiten umfassendes Traktat zeugt von einem enormen Rechtfertigungsdruck für 16 Jahre verfehlter Rentenpolitik"
Ob ihm die "Bild" verzeiht, dass er als Buchautor den Dieter Bohlen macht, die Wahrheit sagt, auch wenn es schmerzt, immer heraus damit, gnadenlos?
"Von den meisten Dingen wollen die Deutschen nichts wissen, oder zumindest nicht die Tatsachen. Stünde der Selbstbetrug unter Strafe, gäbe es in diesem Land kaum freie Bürger."
Gut gebrüllt. Und so geht es zunächst auch weiter: Mit einer fulminanten Attacke auf die lässige Amerikafeindlichkeit, die man hierzulande pflegt, oder auf die außenpolitische Dummheit, die sich unschuldig als unparteiische Kritik an Israel tarnt. Mit einer wütenden Philippika auf die Gedankenfaulen und Verblendeten, die von Stalins Opfern schweigen, weil das angeblich deutsche Verbrechen relativiere - und war nicht die Idee des Sozialismus eigentlich ganz prima, nur schlecht durchgeführt? Mit einer leidenschaftlichen Abrechnung mit all jenen, die ihre Vorliebe für alles bunt-heiter Multikulturelle paaren mit einer "geradezu elementaren Standpunktlosigkeit in Fragen der Humanität", was die DDR betraf.
"Am Ende stand eine immer weiter um sich greifende Selbsttäuschung, was die Realität der DDR anging. Was man zu dieser Zeit in den Archiven findet, ist mitunter hart am Landesverrat, noch häufiger jedoch von einer ekelhaften Ranschmeiße an eine widerliche Diktatur."
Mit einer bitteren Polemik endlich gegen die Zeitgeistreiter, die sich um Verständnis für die Terrorakte der RAF bemühen, aber deren Opfer bevorzugt ignorieren - denn hat es nicht mit dem einen oder anderen von der RAF Ermordeten vielleicht doch den "richtigen" getroffen? Und schließlich mit dem traurigen Verhältnis der Deutschen zu ihrem Land, an dem sie keine Freude zu zeigen vermögen, das könnte schließlich missverstanden werden - als Nationalismus, etwa.
Solche Polemik wird hoffentlich vielen Freude machen, auch die ein wenig sachlicheren Auseinandersetzungen mit den Grenzen und Anmaßungen von Politik und nicht zuletzt mit Rentenformel und Demografie. Doch da zeigen sich schmerzlich die Grenzen der Polemik: Komplexe Sachverhalte passen schlecht in eine steile These, und wer richtig erkannt hat, dass die Rentenformel mit den Verhältnissen nicht mehr übereinstimmt, sollte für die Änderung des einst politisch Gewollten plädieren, und nicht mehr Gebärfreude deutscher Frauen fordern, zumal schon die Statistik nicht stimmt, aus der Diekmann seine Schlüsse über deren relative Unfruchtbarkeit zieht.
Naja, auch historisch geht es in diesem Buch nicht immer gänzlich erleuchtet zu, weder war Wilhelm II. einzig schuld am ersten Weltkrieg, noch führt ein gerader Weg von ihm über die Nazis zu den 68ern. Aber egal: Die paar weniger zutreffenden Sentenzen aus dem konservativen Arsenal werden seine Leser Diekmann schon verzeihen. Und wir mit ihnen - wäre da nicht die seltsame Hassliebe zu einem Phänomen, das als Schießbudenfigur durch das Buch geistert: zum 68er, der offenbar nicht sterben darf, solange seine Veteranen noch stolzgeschwellt von damaligen Heldentaten erzählen und solange, andererseits, die Nachgeborenen mit ihrem 68er-Bashing nur allzu deutlich erkennen lassen, dass sie im Grunde gerne dabei und am rüpeligsten gewesen wären.
Mit Lust schildert der adrette Kai Diekmann jene übel riechenden, ästhetisch anspruchslosen und politisch fragwürdigen Zeitgenossen, die an allem unserem Elend schuld seien:
"Bücherregale aus Apfelsinenkisten, Sitzsack und Wasserpfeife, dazu nackte Glühbirnen und Wände - die häusliche Selbstdarstellung als Kombination von Flohmarkt und Einzelzelle. Ebenso trostlos die Kleidung: Die real- sozialistische Trostlosigkeit, für die Achtundsechzig ästhetisch steht, verweist auf ein weiteres Feld des Versagens: das der Lebensfreude. Keine Generation war so muffig, verhockt, so fern jeden Humors und jeder Leichtigkeit."
Und so etwas soll ein Gigant des Bösen gewesen sein? Zuviel der Ehre. "Schuld" an lndividualismus und Materialismus und an jener Öffnung des Privaten, jener Boulevardisierung, von der nach Diekmanns ehrlichem Bekenntnis insbesondere die Bildzeitung profitiert hat, waren keine lebenslahmen Studis, sondern mächtige gesellschaftliche Strömungen, die viel mit den Flexibilisierungsanfordernissen der Arbeitswelt und der Wunschmaschine Massenkonsum zu tun hatten und so gut wie gar nichts mit konsumverweigernden Maojüngern und feministischen Latzhosenträgerinnen. Das Bündnis zwischen beidem war nur temporär.
Weit einflussreicher als 68 war übrigens die Friedensbewegung der 8oer Jahre - und hier marschierte auch mit, wer nicht einst mit Uschi Obermaier auf der Matratze lag, sondern zum Establishment der damaligen Bundesrepublik gehörte. Und, verehrter Chefredakteur eines mächtigen meinungsmachenden Massenblattes: An der Rentenlüge ist Norbert Blüm schuld, für die Moralisierung der Politik steht Heiner Geißler, ebenfalls CDU - und die Freude an der Wiedervereinigung und am Sieg der westlichen Werte hat den Deutschen damals zu Wendezeiten Bundespräsident Richard von Weizsäcker madig gemacht. Hier also darf man den Autoren selbst beim Selbstbetrug erwischen: Mit vielem Unsinn der 68er hat das politische Establishment prima mitgehalten. Wer hat es so verblendet? Doch wohl nicht die Bildzeitung, oder?
Kai Diekmann: Der große Selbstbetrug - Wie wir um unsere Zukunft gebracht werden
Piper Verlag, München 2007
"Meine Worte sind nicht mit der Goldwaage gewogen, meine Sätze nicht abgestimmt mit den politisch Korrekten. Es ist eine polemische Attacke ohne Rücksichten - und in dem Wissen geschrieben, dass manche Schüsse auch mich selbst treffen."
Stimmt. Reichlich. Doch, manchmal hat er auch einfach Recht. Etwa, wenn er hart umkämpfte Errungenschaften der Frauenbewegung verteidigt:
"Ehrenmorde sind in Wahrheit ehrlose Morde"
Und den gedankenlose Kulturrelativismus geißelt, der sie preisgibt zugunsten einer hirn- und haltlosen Toleranz Radikal-Islamisten gegenüber. Wenn er in der aufgeregten Klimadebatte Züge einer neuen Ökoreligion mit Absolutheitsanspruch entdeckt.
"Selbst wenn ganz Deutschland nachts im Dunkeln auf die Toilette ginge, hätte das nicht den Hauch eines Einflusses auf den Klimawandel."
In der Skeptiker,zu Verbrechern an der Menschheit oder "Öko-Schweinen" mutieren. Wenn er seinen Briefwechsel mit "Die Rente ist sicher"-Norbert Blüm abdruckt.
"Verehrter Brieffreund! Ihr acht Seiten umfassendes Traktat zeugt von einem enormen Rechtfertigungsdruck für 16 Jahre verfehlter Rentenpolitik"
Ob ihm die "Bild" verzeiht, dass er als Buchautor den Dieter Bohlen macht, die Wahrheit sagt, auch wenn es schmerzt, immer heraus damit, gnadenlos?
"Von den meisten Dingen wollen die Deutschen nichts wissen, oder zumindest nicht die Tatsachen. Stünde der Selbstbetrug unter Strafe, gäbe es in diesem Land kaum freie Bürger."
Gut gebrüllt. Und so geht es zunächst auch weiter: Mit einer fulminanten Attacke auf die lässige Amerikafeindlichkeit, die man hierzulande pflegt, oder auf die außenpolitische Dummheit, die sich unschuldig als unparteiische Kritik an Israel tarnt. Mit einer wütenden Philippika auf die Gedankenfaulen und Verblendeten, die von Stalins Opfern schweigen, weil das angeblich deutsche Verbrechen relativiere - und war nicht die Idee des Sozialismus eigentlich ganz prima, nur schlecht durchgeführt? Mit einer leidenschaftlichen Abrechnung mit all jenen, die ihre Vorliebe für alles bunt-heiter Multikulturelle paaren mit einer "geradezu elementaren Standpunktlosigkeit in Fragen der Humanität", was die DDR betraf.
"Am Ende stand eine immer weiter um sich greifende Selbsttäuschung, was die Realität der DDR anging. Was man zu dieser Zeit in den Archiven findet, ist mitunter hart am Landesverrat, noch häufiger jedoch von einer ekelhaften Ranschmeiße an eine widerliche Diktatur."
Mit einer bitteren Polemik endlich gegen die Zeitgeistreiter, die sich um Verständnis für die Terrorakte der RAF bemühen, aber deren Opfer bevorzugt ignorieren - denn hat es nicht mit dem einen oder anderen von der RAF Ermordeten vielleicht doch den "richtigen" getroffen? Und schließlich mit dem traurigen Verhältnis der Deutschen zu ihrem Land, an dem sie keine Freude zu zeigen vermögen, das könnte schließlich missverstanden werden - als Nationalismus, etwa.
Solche Polemik wird hoffentlich vielen Freude machen, auch die ein wenig sachlicheren Auseinandersetzungen mit den Grenzen und Anmaßungen von Politik und nicht zuletzt mit Rentenformel und Demografie. Doch da zeigen sich schmerzlich die Grenzen der Polemik: Komplexe Sachverhalte passen schlecht in eine steile These, und wer richtig erkannt hat, dass die Rentenformel mit den Verhältnissen nicht mehr übereinstimmt, sollte für die Änderung des einst politisch Gewollten plädieren, und nicht mehr Gebärfreude deutscher Frauen fordern, zumal schon die Statistik nicht stimmt, aus der Diekmann seine Schlüsse über deren relative Unfruchtbarkeit zieht.
Naja, auch historisch geht es in diesem Buch nicht immer gänzlich erleuchtet zu, weder war Wilhelm II. einzig schuld am ersten Weltkrieg, noch führt ein gerader Weg von ihm über die Nazis zu den 68ern. Aber egal: Die paar weniger zutreffenden Sentenzen aus dem konservativen Arsenal werden seine Leser Diekmann schon verzeihen. Und wir mit ihnen - wäre da nicht die seltsame Hassliebe zu einem Phänomen, das als Schießbudenfigur durch das Buch geistert: zum 68er, der offenbar nicht sterben darf, solange seine Veteranen noch stolzgeschwellt von damaligen Heldentaten erzählen und solange, andererseits, die Nachgeborenen mit ihrem 68er-Bashing nur allzu deutlich erkennen lassen, dass sie im Grunde gerne dabei und am rüpeligsten gewesen wären.
Mit Lust schildert der adrette Kai Diekmann jene übel riechenden, ästhetisch anspruchslosen und politisch fragwürdigen Zeitgenossen, die an allem unserem Elend schuld seien:
"Bücherregale aus Apfelsinenkisten, Sitzsack und Wasserpfeife, dazu nackte Glühbirnen und Wände - die häusliche Selbstdarstellung als Kombination von Flohmarkt und Einzelzelle. Ebenso trostlos die Kleidung: Die real- sozialistische Trostlosigkeit, für die Achtundsechzig ästhetisch steht, verweist auf ein weiteres Feld des Versagens: das der Lebensfreude. Keine Generation war so muffig, verhockt, so fern jeden Humors und jeder Leichtigkeit."
Und so etwas soll ein Gigant des Bösen gewesen sein? Zuviel der Ehre. "Schuld" an lndividualismus und Materialismus und an jener Öffnung des Privaten, jener Boulevardisierung, von der nach Diekmanns ehrlichem Bekenntnis insbesondere die Bildzeitung profitiert hat, waren keine lebenslahmen Studis, sondern mächtige gesellschaftliche Strömungen, die viel mit den Flexibilisierungsanfordernissen der Arbeitswelt und der Wunschmaschine Massenkonsum zu tun hatten und so gut wie gar nichts mit konsumverweigernden Maojüngern und feministischen Latzhosenträgerinnen. Das Bündnis zwischen beidem war nur temporär.
Weit einflussreicher als 68 war übrigens die Friedensbewegung der 8oer Jahre - und hier marschierte auch mit, wer nicht einst mit Uschi Obermaier auf der Matratze lag, sondern zum Establishment der damaligen Bundesrepublik gehörte. Und, verehrter Chefredakteur eines mächtigen meinungsmachenden Massenblattes: An der Rentenlüge ist Norbert Blüm schuld, für die Moralisierung der Politik steht Heiner Geißler, ebenfalls CDU - und die Freude an der Wiedervereinigung und am Sieg der westlichen Werte hat den Deutschen damals zu Wendezeiten Bundespräsident Richard von Weizsäcker madig gemacht. Hier also darf man den Autoren selbst beim Selbstbetrug erwischen: Mit vielem Unsinn der 68er hat das politische Establishment prima mitgehalten. Wer hat es so verblendet? Doch wohl nicht die Bildzeitung, oder?
Kai Diekmann: Der große Selbstbetrug - Wie wir um unsere Zukunft gebracht werden
Piper Verlag, München 2007

Kai Dieckmann: Der große Selbstbetrug.© Piper Verlag