Attac-Aktivist Christian Felber

"Wir sind nicht gezwungen, uns egoistisch zu verhalten"

Politikwissenschaftler, Buchautor, Publizist und Mitbegründer der Attac Christian Felber, aufgenommen bei der Eröffnung der oberösterreichischen Kulturvermerke 2015 im Stadttheater in Gmunden
Christian Felber, Buchautor und Mitgründer von Attac Österreich © imago/Rudolf Gigler
Christian Felber im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 24.05.2017
Die Spielregeln unserer Wirtschaft belohnen Kapitalismus, Maßlosigkeit und Gier, kritisiert der Attac-Aktivist und Autor Christian Felber. Er hat Vorschläge für eine Umverteilung von Reichtum und Macht: Alle wirtschaftliche Tätigkeit sollte auf das Gemeinwohl ausgerichtet werden.
Liane von Billerbeck: An unserem dritten und letzten Thementag unter der Überschrift "Reich werden" sprechen wir mit einem, der nichts weniger als die Weltwirtschaft revolutionieren will. Christian Felber ist das, Aktivist, Publizist, Universitätsprofessor, Buchautor und ganz nebenbei auch Tänzer und Theaterperformer.
Und der Wiener hat Attac Österreich mitbegründet und 2010 die Internationale Gemeinwohl-Ökonomie-Bewegung und das Projekt Bank für Gemeinwohl gegründet. Sein Buch heißt auch so, "Die Gemeinwohl-Ökonomie", in dem er dieses Modell erklärt. Und sein neuestes Werk heißt, ich hatte es gesagt, er will ja die Weltwirtschaft revolutionieren: "Ethischer Welthandel". Schönen guten Morgen, Herr Felber!
Christian Felber: Schönen guten Morgen, hallo!
von Billerbeck: Sie liefern in Ihrem Buch ja eine ziemlich harte Diagnose des ungerechten Zustands der Welt: Des einen Reichtum auf Kosten der anderen, soziale Ungerechtigkeit als Wurzel der Unzufriedenheit und Wut. Die spüren wir ja auch hierzulande in Deutschland bei vielen. Was ist da schlimmer, die ungerechte Verteilung von Reichtum oder die ungerechte Verteilung von Einflussmöglichkeiten und Macht?
Felber: Beides ist ungerecht. Beides übertritt Schmerzgrenzen bei Menschen, die in beiden Fällen ausgeschlossen werden. Einmal von der gesellschaftlichen Teilhabe. Wenn die einen Multimilliarden anhäufen und die anderen sich in einer Unterschicht wiederfinden.
Und zum anderen, wenn Minderheiten, die so mächtig sind, dass sie Regierungen und Parlamente auf ihre Seite ziehen, wie zum Beispiel: Auch in den USA wünschen sich 90 Prozent der Menschen, dass Lebensmittel, die gentechnisch veränderte Organismen enthalten, wenigstens gekennzeichnet sind. Sind sie aber nicht, weil ein einzelnes Unternehmen, Monsanto, so viel Macht hat, dass sie die Regierung dazu bringen kann, dass die eben nicht gekennzeichnet werden. Das tut weh.

Die Vorzüge des "inneren Reichtums"

von Billerbeck: Ihre Vision ist ja seit vielen Jahren die Umverteilung, die Umverteilung von Reichtum und Macht, und zwar nach klaren Kriterien. In Ihrem neuen Buch haben Sie nichts weniger als eine neue Weltwirtschaftsordnung entworfen: Wider die Gewinnmaximierung, wider den Kapitalismus also. Unser leicht ironisch gemeintes Motto am heutigen Thementag, nämlich "Reich werden", da stellt sich die Frage: Kann man denn auf ethische Weise und dem Gemeinwohl verpflichtet reich werden?
Felber: Innerlich reich werden auf jeden Fall. Man kann auch ein gutes Leben führen. Und da sind sich alle wissenschaftlichen Disziplinen einig, dass dazu natürlich die Abdeckung der Grundbedürfnisse, also der materiellen Grundlagen zählt. Aber dann entwickelt sich Reichtum nicht durch mehr Geld, sondern durch Beziehungen, durch Erfahrungen, durch selbstbestimmtes Leben, durch Sinnfindung und durch viele Freiheitsmöglichkeiten. Und die kommen eben nicht mit mehr Geld. Also eindeutig ja.
von Billerbeck: Aber der Weg dahin, dass wir alle reich werden auf diese Weise, die Sie eben beschrieben haben, wie müsste der laufen? Der soll ja demokratisch ablaufen, so haben Sie das auch in Ihrem Buch beschrieben. Und da stellt sich die Frage nicht, was tun, sondern wie es tun.

Wirtschaftliches "Gemeinwohlprinzip"

Felber: Ja. Zum "Was" nur ein kurzer Satz: Der Vorschlag ist, dass alle wirtschaftliche Tätigkeit auf das Gemeinwohl ausgerichtet wird. Das heißt, dass zum Beispiel Unternehmern vor der Finanzbilanz eine Gemeinwohlbilanz erstellen müssen. Und je nachdem, wie viel sie zum Gemeinwohl beitragen - und dazu gehört natürlich auch eine gerechte Verteilung und eine Verminderung der Ungleichheit -, desto besser ist das Gemeinwohlbilanzergebnis. Und daran knüpfen sich dann die Wirtschaftsfreiheiten, vom Handeln übers Investieren bis zum Finanziertwerden.
Zum einen machen das sehr viele kleine Unternehmen freiwillig, und die Menschen wünschen sich das auch mehrheitlich. Aber damit sie das entscheiden können, sollten sie nicht von dem Willen der Parlamente und Regierungen letztabhängig sein, sondern, falls Regierungen und Parlamente das nicht umsetzen wollen, müsste der Souverän, und das ist die höchste Instanz auch in der lateinischen Grundbedeutung, solche Grundsatzentscheidungen selbst treffen können: wie die Begrenzung der Ungleichheit oder die Schwenkung der Wirtschaft auf das Gemeinwohl.
Und eine solche souveräne Demokratie, wie wir sie bezeichnen, die könnte in der kleinsten politischen Einheiten starten, das sind die Kommunen, die Gemeinden. Und der Prozess, den wir vorschlagen, ist, dass sich die Menschen dort für ein halbes oder ein ganzes Jahr lang versammeln, die Grundsatzfragen für die Wirtschaft ausarbeiten in Alternativen.
Diese Alternativen werden dann von der gesamten Bevölkerung am Ende abgestimmt. Allerdings nicht auf die Zustimmung gemessen, weil dann könnten wieder die Milliardäre Kampagnen finanzieren, sondern auf den Widerstand. Und da zeigt sich, dass dann der Vorschlag den geringsten Widerstand erfährt, der gewinnt. Und da zeigt sich, dass zum Beispiel bei der Begrenzung von Ungleichheit weltweit der Faktor zehn gewinnt. Faktor zehn heißt, dass es zwar Ungleichheit gibt, aber die höchsten Einkommen würden dann nicht mehr als das Zehnfache der geringsten Einkommen, des Mindestlohns betragen.
Und wenn wir diese souveräne Entscheidung vergleichen mit dem Ist-Zustand, dann haben wir derzeit in Deutschland den Faktor 6.000. Die höchsten Einkommen sind 6.000 mal so hoch wie die geringsten, und in den USA sogar das 360.000-fache. Da ist das höchste bekannte Jahreseinkommen fünf Milliarden Dollar. Das sind Parlamentsentscheidungen. Die Menschen würden zwar, wie gesagt, auch eine moderate Ungleichheit gutheißen, aber eine sehr viel geringere als die jetzt existierende.
Buchcover Christian Felber "Ethischer Welthandel"
Buchcover Christian Felber "Ethischer Welthandel"© Zsolnay Verlag / dpa / Deutschlandradio

Statt Egoismus: Belohnung von menschlichen Stärken und Tugenden

von Billerbeck: Ich kann mir das noch auf der Ebene der Gemeinde vorstellen, aber auf der Weltebene fällt mir das schwer. Man könnte ja auch sagen, haben Sie die Rechnung da nicht ein wenig ohne den Menschen gemacht? Liegt das Streben nach persönlichem Vorteil, zumal fürs eigene Wohl, nicht doch irgendwie in uns allen?
Felber: Erstens gibt es keinen einzigen wissenschaftlichen Beweis, dass der Mensch so egoistisch, eigensüchtig und konkurrenzorientiert ist, wie es die Ökonomen behaupten. Die wissen ja am wenigsten vom Menschen. Diejenigen wissenschaftlichen Disziplinen, die den Menschen kennen, die sagen, dass wir zwar die Freiheit haben, uns brutal zu ermorden und uns zärtlich zu lieben. Und dass somit die Gene uns wirklich alles erlauben, was vorstellbar ist, aber zu nichts zwingen. Das heißt, wir sind nicht gezwungen, uns egoistisch und rücksichtslos zu verhalten.
Und deshalb kommt es ganz entscheidend auf die Spielregeln an. Und derzeit belohnen die Spielregeln für die Wirtschaft, das ist der Kapitalismus, die Rücksichtslosigkeit, die Maßlosigkeit, die Gier und den Geiz. Und das würde in der Gemeinwohlökonomie eben umgeschrieben. Anstatt die menschlichen Schwächen zu belohnen und zum betriebswirtschaftlichen und wirtschaftlichen Erfolg zu führen, würden die menschlichen Stärken und Tugenden belohnt, also das Teilen, die Großzügigkeit, das Aufeinander-Rücksicht-nehmen und die Empathie. Und das sind eben andere Spielregeln, aber mit einer anderen Wirkung.

Kritik an der Macht von Konzernen wie Monsanto und Bayer

Und wenn heute Regierungen ein ungerechtes Völkerrecht entwickeln und transnationalen Konzernen, die schon zu groß sind, wie zum Beispiel Monsanto und Bayer, anstatt sie zu zerteilen, ihnen auch noch Klagerechte gegen Staaten einräumen und gleichzeitig die Menschenrechte nicht einklagbar sind - da wird natürlich eine Schieflage und eine Asymmetrie geschaffen, die wieder ganz viele Menschen benachteiligt und ausgrenzt.
Und so schlagen wir vor, dass das Völkerrecht nicht nur von den Regierungen und Parlamenten geschrieben wird wie heute, sondern direkt vom Souverän. Dann müsste eben die deutsche Bundesregierung durch ein Souveränsmandat gebunden werden, wie sie sich in der UNO oder auch bei den Handelsverhandlungen verhalten muss. Und so würden dann nach unserer Vorstellung diese zunächst kommunalen Konvente über demokratische Delegationsprozesse in Bundeskonvente in Deutschland oder Österreich münden, oder auch in einen Konvent der EU, sodass dann die EU-Außenhandelspolitik zum Beispiel direkt mandatiert wird vom Souverän.
Da käme dann eben nicht der Zwangshandel von heute dabei heraus mit unendlicher Machtvergrößerung für die Konzerne und unendlich wachsende Ungleichheit. Sondern da käme, darauf deuten alle Laborversuche hin, ethischer Welthandel mit begrenzter Ungleichheit, mit Vorrang für die Menschenrechte und Klimaschutz, und eben mit einer begrenzten Ungleichheit würde dabei herauskommen.
von Billerbeck: Utopische Vorstellungen klingen schön. Ich hoffe, sie werden irgendwann umgesetzt. Christian Felber war das und seine Ideen für einen ethischen Welthandel. So heißt auch sein Buch, das im Frühjahr erschienen ist. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Felber: Sehr gern. Schönen Tag noch!
von Billerbeck: Den wünsche ich Ihnen auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.


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