Atomwaffen-Standort: Fliegerhorst Büchel

Leiser Protest auf der "Friedenswiese"

10:52 Minuten
Luftaufnahme des Fliegerhorst Büchel mit dem angrenzenden Depotgelände.
Auf dem Depotgelände bei Büchel lagern US-Atomwaffen. Deutschland hat den Atomwaffenverbotsvertrag nicht unterzeichnet. © Picture Alliance / dpa / Thomas Frey
Von Anke Petermann · 20.01.2021
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In wenigen Tagen tritt der Atomwaffenverbotsvertrag der UN in Kraft. Deutschland hat ihn nicht unterzeichnet. Ein Grund mehr für Pazifisten wie Pfarrer Matthias Engelke, gegen die im rheinland-pfälzischen Büchel gelagerten US-Atomwaffen zu protestieren.
Zweiter Freitag im Januar, in der Eifel schneit es. Am Nachmittag um kurz vor 16 Uhr ist kaum jemand unterwegs rund um das 1000-Einwohner-Dorf Büchel. Einige Autofahrer biegen von der Landstraße in Richtung Bundeswehr-Fliegerhorst ab, wählen am Kreisverkehr den Abzweig in einen verschneiten Feldweg, um zu parken.
Allein oder zu zweit queren die Angereisten die Straße in Richtung einer Wiese, hundert Meter vom Haupttor des Militär-Flughafens entfernt. "Friedenswiese" heißt sie bei denen, die sich hier regelmäßig zum Protest gegen die nuklearen B61-Bomben versammeln.
Zwanzig sollen es sein, die im Norden des Flugplatzes unterirdisch in Metallsärgen eingebunkert sind. Wie Miniatur-Raketen sehen sie aus, dreieinhalb Meter lang. Jede von ihnen mit der dreizehnfachen Sprengkraft einer Hiroshima-Bombe.
Matthias Engelke ist mit seiner Frau aus Köln angereist, gute hundert Kilometer: "Ein herzliches Willkommen euch und Ihnen allen!"
Der Pfarrer mit der Baskenmütze stellt sich neben die Friedensglocke aus Bronze, die an einem mannshohen Gestell hängt. Er grüßt in die Runde. Ein Dutzend Friedensaktivisten tragen Maske und stehen auf Abstand, Stammgäste und Neue. Sie werden beobachtet. "Ich grüße auch die Polizei," sagt Engelke.

Gedenken an Nagasaki

Er und einige seiner Zuhörer winken in Richtung des blau-silberfarbenen Mannschaftswagens, der am Rand der Wiese parkt – wie immer, wenn hier Veranstaltungen angemeldet sind. Diese ist die erste im Jahr 2021. "Und wir schauen schon auf eine ganz stattliche Reihe zurück, dass an jedem Freitag, der dem Neunten eines Monats am nächsten liegt, hier eine kleine Feier stattfindet. Neunter darum, weil es der Nagasaki-Gedenktag ist."
Es wird erinnert an den US-Atomangriff auf die nach Hiroshima zweite japanische Stadt im Jahr 1945: "Am 9. August wurde zum letzten Mal durch eine Atombombe eine Stadt zerstört. Und das soll auch das letzte Mal sein, dass das geschieht", erklärt Engelke die symbolische Bedeutung. "Der beste Schutz davor, dass das noch mal geschehen kann, ist, wenn es überhaupt keine Atombomben mehr gibt. Aus diesem Grund setzen wir uns dafür ein, dass die Atombomben auch aus Deutschland verschwinden, wie sie schon vorher aus den NATO-Staaten Kanada und Griechenland abgezogen worden sind."

Singen gegen Atomwaffen

Die Eifeler Liedermacherin Nicole Mercier singt über Abschreckungsrisiken und nuklearen Fallout: "Klar: Wir schießen nur auf 'Feinde', die hinter Grenzen steh'n,
doch ein Fallout trägt viel weiter, schon wenn sanfte Winde weh'n."
Beate Engelke hält den Schirm über die Sängerin und ihre Gitarre. Dicke Schneeflocken fallen. Matthias Engelke predigt kurz: Tödliche Waffen, die Leben versprechen, nennt er einen "Irrglauben". Nach der Andacht macht Anton Lang mit einer Klarsichthülle die Runde: "Ich wollte euch gern einen Kommentar mitgeben aus der Süddeutschen Zeitung. Er hat mich sehr berührt."
Beate Engelke, Liedermacherin Nicole Mercier und Pfarrer Matthias Engelke. Engelke hält einen Regenschirm über Mercier, die Gitarre spielt.
Beate Engelke, Liedermacherin Nicole Mercier und Pfarrer Matthias Engelke wollen, dass Atomwaffen verboten werden.© Deutschlandradio / Anke Petermann
Lang verteilt den Weihnachts-Kommentar der Süddeutschen Zeitung auf farbigen Papierbögen an seine Mitstreiter. "Pazifisten gelten als die Narren der Nation", schreibt der prominente SZ-Autor Heribert Prantl - und warnt vor gefährlicher Pazifismusverachtung. Es sei fatal, wenn "Pazifisten als politikunfähige Schwärmer schlechtgemacht", Kriegsbefürworter aber "als vernünftige Politiker goutiert" würden.
Einige Andacht-Teilnehmer lesen ein paar Zeilen im Dämmerlicht, die Lektüre hellt manche Miene auf. "Wer hätte das gedacht? So lange schon wurden die Mahner verlacht", singt Nicole Mercier. Die "Häme über Friedenspolitik, das Lachen über den Pazifismus" sei jüngst wieder sehr laut geworden, schreibt Prantl und schließt: Das Lachen "könnte uns noch im Hals stecken bleiben".

Briefe an die Abgeordneten im Verteidigungsausschuss

Den 36 Mitgliedern des Verteidigungsausschusses schickte Lang je eine Kopie des SZ-Kommentars. Zustimmend geantwortet hat ihm nach einer Woche nur ein Abgeordneter: Tobias Pflüger von der Linksfraktion im Bundestag.
Elke Koller, pensionierte Apothekerin und ehemalige Grüne, rät zur Geduld beim Warten auf Antwort. Ein wenig gedämpft durch die Maske versichert die langjährige Friedenskämpferin: "Da werden noch ein paar kommen. Matthias und ich haben im Sommer einen Brief geschrieben, da kommen die Antworten zum Teil jetzt erst."

Unser Korrespondent Axel Schröder berichtet aus Hamburg, wie sich die "Hamburger Initiative gegen Rüstungsexporte" gegen Waffenlieferungen über den Hafen der Hansestadt engagiert.


In Kollers und Engelkes Brief an die Mitglieder des Verteidigungsausschusses und deren Stellvertreter ging es um den Atomwaffenverbotsvertrag der Vereinten Nationen. Dem stimmten mehr als hundert der rund 190 UN-Mitglieder zu. Elke Koller unterstreicht, die Atomwaffen würden mit diesem Abkommen geächtet – "wie biologische Waffen, wie chemische Waffen".
Menschen demonstrieren in Büchel auf einer verschneiten Wiese. Auf einem Transparent im Hintergrund steht: "Büchel ist überall - atomwaffenfrei jetzt. Ökumenisches Friedensgebiet hier am Bildstock. Am Freitag, den um 16 Uhr. Wir fordern ein Verbot von Atomwaffen"
Zusammenkunft mit Corona-bedingt großem Abstand: Die Demonstranten treten für ein Verbot von Atomwaffen ein.© Deutschlandradio / Anke Petermann
Weil Ende Oktober 2020 mit Honduras der 50. Staat nach parlamentarischer Abstimmung auch ratifizierte, kann das Abkommen am 22. Januar 2021 in Kraft treten. Es verbietet, Atomwaffen zu entwickeln, zu produzieren, zu testen, zu kaufen, zu lagern, zu transportieren und zu stationieren. Außerdem, sie einzusetzen oder damit zu drohen.
Das zu unterzeichnen hieße für die Bundesregierung, die US-Atombomben nicht länger in der Eifel lagern zu dürfen. Sie würde damit die sogenannte "Nukleare Teilhabe" im Rahmen der NATO aufkündigen. Es entfiele die Option, die Bomben von Büchel im Kriegsfall unter US-Kontrolle einzusetzen.
Elke Koller wünscht sich im Brief an den Verteidigungsausschuss, "dass Deutschland den Verbotsvertrag unterzeichnet und die 'Nukleare Teilhabe' beendet wird. Mindestens ein Drittel der Mitglieder hat geantwortet", berichtet sie. Die Antworten seien erwartungsgemäß ausgefallen. "Die Linken zustimmend, die Grünen zustimmend, die SPD gespalten, da gab es unterschiedliche Kommentare. Die CDU hat eher wenig geantwortet."
Die FDP habe sehr enttäuscht. "Denn mit Westerwelle hatte man ja gedacht, dass die FDP auf unserer Seite ist", erinnert Koller an den 2016 verstorbenen früheren Bundesaußenminister, der Ernst machen wollte mit einem atomwaffenfreien Deutschland.

Rückversicherung in der NATO

Warum halten die Bundesregierung und mit ihr die CDU, weite Teile der SPD und die oppositionellen Liberalen an der "Nuklearen Teilhabe" fest? Welchen Stellenwert nimmt dieses Abschreckungskonzept ein?
Telefonische Anfrage bei Florian Böller, an der TU Kaiserslautern ist er Juniorprofessor für Transatlantische Beziehungen. "Die 'Nukleare Teilhabe' hat eine wichtige symbolische Rolle innerhalb der NATO. Denn sie steht im Grunde für den erweiterten Schutzschirm der USA auf Europa und im Gegenzug aus einer Übernahme von Verantwortung durch die europäischen Bündnispartner, vor allem die wirtschaftlich und militärisch mächtigen Staaten wie auch Deutschland", erläutert Böller. "Das soll den Zusammenhalt der NATO sichern, damit in einem Konfliktfall, wo möglicherweise nur Europa bedroht wird, dieses Bündnis nicht auseinanderdividiert werden kann."
Die europäischen Teilhabestaaten Deutschland, Belgien, Niederlande, Italien und die Türkei sollen die atomwaffenfreien Partner im Ernstfall mit US-Bomben schützen.
Das sei eine erdrückende Verantwortung, findet der ehemalige Militärpfarrer Matthias Engelke, vor allem für die Piloten. "Die müssen letztendlich entscheiden, ob sie diese Atomwaffe einsetzen oder nicht. Wer sagt, das sind rein politische Waffen, wie das hier oft behauptet wird, der verharmlost die Dinger. Sonst bräuchte man keine Flugzeuge zu kaufen, die die Tornados ersetzen sollen – zum Abwerfen."

Kauft Deutschland neue Bomber?

Neue Flugzeuge sollen in Deutschland die alten Tornado-Kampfjets der Bundeswehr ersetzen. Und neue Bomben die alten B61. Diese nicht lenkbaren Bomben nennen Militärstrategen auch "dumme" Bomben. Sie fallen runter, wo der Pilot sie ausklinkt.
"Diese B61-Freifall-Bomben sind eigentliche Gefechtsfeldbomben. Das heißt, sie sollen in einem Kriegsfall eingesetzt werden, um den Vorstoß einer gegnerischen Macht aufzuhalten", beschreibt der Kaiserslauterer Wissenschaftler Florian Böller ihre strategische Rolle. "Das heißt, sie sind nicht dafür ausgerichtet, größeren Schaden in der Infrastruktur oder an anderer Stelle auszuüben."
Ersetzt werden sollen die Freifall-Bomben aus dem Kalten Krieg im laufenden Jahrzehnt durch lenkbare Präzisionswaffen. Mit regelbarer Sprengkraft könnten diese – so die strategische Idee – begrenzte militärische Ziele treffen. Dafür braucht es neue Militärjets, von den USA zertifiziert. In Frage kommen F18-Bomber des US-Herstellers Boeing.
Doch der Vorstoß von Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer, CDU, 45 davon zu ordern, stieß zunächst auf Kritik und versandete dann. Vielleicht, weil klar ist, dass Flugzeuge mit begrenzten Reichweiten als Trägersysteme für Atomwaffen heutzutage nicht mehr funktionieren. Ob die Beistands-Symbolik der "Nuklearen Teilhabe" eine Milliarden-Ausgabe wert ist, dürfte wohl erst eine neu gewählte Bundesregierung entscheiden – und zwar frühestens im kommenden Jahr.
Bis dahin den politischen Wind zu drehen, hoffen die Friedensaktivisten, die in der Dämmerung vorm Zaun des Fliegerhorstes frösteln.
So singt es auch Mercier: "Ich will den Wind dreh‘n."
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