Astronom Johannes Kepler

Der Beginn modernen Denkens

Zeitgenössisches Gemälde des deutschen Astronomen Johannes Kepler.
Zeitgenössisches Gemälde des deutschen Astronomen Johannes Kepler. © picture-alliance / dpa
Von Michael Opitz  · 24.03.2015
Dass der Astronom Johannes Kepler mythisches und mathematisches Denken zusammenbrachte, begeisterte den Kulturwissenschaftler Aby Warburg. In "Warburg, Cassirer und Einstein im Gespräch" von Horst Bredekamp und Claudia Wedepohl kristallisiert sich Kepler als Schlüssel der Moderne heraus.
Am 4. September 1928 wird der Begründer der Ikonologie, Aby Warburg, zusammen mit seiner Frau Mary im Auto nach Scharbeutz chauffiert. Der Grund für diese Fahrt an die Ostsee ist eine Verabredung mit dem Physiker Carl Einstein. Vier Jahre zuvor hatte Warburg in der Kreuzlinger Privatklinik den Philosophen Ernst Cassirer getroffen. Den Kontakt zu beiden Gelehrten suchte Warburg, weil er ihnen seine Überlegungen zu Johannes Kepler vortragen wollte. Dem berühmten Astronom war es zu Beginn des 17. Jahrhunderts als erstem gelungen, die ellipsenförmige Bahn des Mars zu berechnen. Für Warburg markiert diese Entdeckung den Beginn modernen Denkens, denn die Ellipse repräsentiert mit ihren zwei Brennpunkten für Warburg die Zweipoligkeit des modernen Weltbildes, das sich in der Gegensätzlichkeit etwa von Rationalität und Irrationalität zeige.
Bredekamp und Wedepohl weisen in ihrem Buch sehr überzeugend nach, dass Warburg Kepler als einen "Übergangstypus" versteht, der in seiner Person das mythische und das mathematischen Denken repräsentiert. Als Astronom erkannte Kepler auf der Grundlage des nüchternen mathematischen Denkens Zusammenhänge der Planetenbewegung. Aber er war zugleich dem mythischen Denken verhaftet, denn als Astrologe erstellte er Horoskope. In dieser Doppelrepräsentanz erwies sich Kepler für Warburg als eine interessante Erscheinung, da Warburgs wissenschaftliches Interesse darauf gerichtet war, mit Hilfe seiner "Kulturwissenschaftlichen Bibliothek" den Nachweis zu erbringen, dass der Mensch für sich und in seinem Verhältnis zum Kosmos einen Weg von der "mythisch-fürchtenden" zur "wissenschaftlich errechneten Orientierung" gefunden hat.
Entdeckung ellipsenförmiger Bahn des Mars als kultureller Scheidepunkt
Bredekamp/Wedepohl zeigen, dass auch Warburg zu jenem Zeitpunkt eine Schwellensituation erlebte. Ihm war nach Cassirers Besuch klar geworden, dass sein Gehirn, das durch die Erfahrungen im Ersten Weltkrieg Schaden genommen hatte, nun wieder in der Lage war, "brav anzutreten" – Cassirer hatte nach seinem Besuch bei Warburg dessen Auffassung von der Ellipsenentdeckung als "Markscheide der Kulturepochen" bestätigt. Warburg konnte noch im selben Jahr, 1924, die Klinik in Kreuzlingen verlassen und nach Hamburg zurückkehren, wo er seine kulturwissenschaftlichen Studien bis zu seinem Tod im Oktober 1929 fortsetzte.
Als Warburg zu Einstein nach Scharbeutz fuhr, fehlte ihm nach Cassirers Zustimmung nur noch die des Physikers. Unter Verwendung umfangreicher Bildmaterialien legte Warburg Einstein in einem dreieinhalbstündigen Vortrag seine Überlegungen dar, denen Einstein "wie ein Schuljunge im Kino" folgte. Die Bilder, die Warburg Einstein zeigte, pinnte er an den Fenstervorhang. Einstein hörte interessiert zu. Es war ihm eine "große Freude", schrieb er Warburg, in dessen "emsiges Streben einen Blick tun zu dürfen". Aber gegenüber dem ikonologischen Überschwang Warburgs blieb er skeptisch. Einsteins Interesse galt eben doch mehr dem Mathematiker Kepler.

Horst Bredekamp/Claudia Wedepohl: Warburg, Cassirer und Einstein im Gespräch. Kepler als Schlüssel der Moderne
Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2015
107 Seiten, 22,90 Euro

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