Asien als Vorbild für Europa

Wo die Zukunft ein Versprechen ist

07:02 Minuten
Blick auf Singapur bei Nacht: Die Stadt leuchtet bunt.
Ijoma Mangold ist fasziniert von Singapur und den Lösungen, die dort für eine lebenswerte Stadt gefunden werden. Ein ungetrübtes Vorbild ist der Stadtstaat für ihn dennoch nicht. © Benjamin Bindewald / Unsplash.com
Ijoma Mangold im Gespräch mit Korbinian Frenzel · 16.11.2020
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China und 14 Asien-Pazifik-Staaten haben den größten Freihandelspakt der Welt geschlossen: ein Signal, dass sich geopolitische Machtverhältnisse ändern. Wird Asien bald zum Role Model für Europa? Ijoma Mangold glaubt, dass dort manches besser klappt.
Das Freihandelsabkommen zwischen China und 14 Asien-Pazifik-Staaten könnte ein Weckruf für Europa sein: Die Weltordnung ändert sich, der Führungsanspruch des Westens steht in Frage. Wird Asien zum Vorbild für Europa?
Ijoma Mangold attestiert sich selbst in seinem aktuellen Buch einen "kleinen Asienfimmel" und beobachtet in asiatischen Ländern ein ganz anderes Verhältnis zur Zukunft. Hierzulande lebe man in einem "melancholischen Dekadenzgefühl", so Mangold. "Wir sind überzeugt, dass das Beste hinter uns liegt und jetzt können wir die Dinge vielleicht gerade noch so managen, dass es nicht ganz schlimm ist."
In China und in Ostasien nehme man eine andere Perspektive ein: "Das Morgen ist immer ein Versprechen. Es ist immer eine Herausforderung, die zu einem besseren Leben, zu mehr Wohlstand, zu intelligenteren Lösungen führt."
Mit Faszination erinnert sich Mangold an einen vierwöchigen Aufenthalt in Singapur vor zwei Jahren. Auch wenn ihm die demokratische "Downside" des Stadtstaats völlig klar sei: Es sei spannend zu sehen, mit was für intelligenten Lösungen eine unfassbar lebenswerte Stadt geschaffen werde - ökologisch, ästhetisch, sozial- und verkehrspolitisch.
Ein unbelastet positives Role Model sind autoritär regierte asiatische Staaten für Mangold dennoch nicht. Die Entwicklung hin zu weniger gesellschaftlichen Freiheiten, wie sie China in Hongkong forciere, sei "absolut bestürzend".

Autoritärer und liberaler Kapitalismus

Mangold findet in diesem Zusammenhang die Perspektive des Ökonomen Branko Milanović erhellend: Er diagnostiziere einen kalten Krieg zwischen zwei Systemmodellen - dem westlichen, liberalen Kapitalismus einerseits und dem autoritären Kapitalismus in Ländern wie China, Singapur und Vietnam andererseits. Jenseits der moralischen Bewertungen stelle sich die Frage: Welches System ist leistungsstärker? Welches System kann auf bestimmte Herausforderungen besser reagieren?
"Und wir sehen natürlich schon in diesem Jahr, dass Ostasien, vor allem natürlich Südkorea, auf die Corona-Herausforderungen viel besser reagiert hat", sagt Mangold.
Dass beispielsweise China so erfolgreich in der Bekämpfung der Corona-Pandemie sei, lasse sich mit einer Überlegung Milanovićs plausibel erklären: "Autoritäre Staaten legitimieren sich durch das, was sie liefern", so Mangold. "Demokratische Regierungen sind ja schon durch die Wahl legitimiert." Das bedeute, der Erfolgsdruck für ein autoritäres Regime sei höher.
(jfr)
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