Arlie Russell Hochschild: "Fremd in ihrem Land"

Sie wollen keine Opfer sein

Cover "Fremd in ihrem Land" von Alice Russell-Hochschild
Die Menschen in Louisiana sind arm und wählen rechts. © Campus Verlag/ imago / Combo: Deutschlandradio
Von Andrea Roedig · 04.01.2018
Arbeitslos und abgehängt: Die Soziologin Arlie Russell Hochschild hat sich fünf Jahre lang im Milieu der Tea-Party-Anhänger aufgehalten. Was sie dabei zutage gefördert hat, gibt Aufschluss über die Gefühlswelt der amerikanischen Rechten.
Mit Gefühlen kennt Arlie Russell Hochschild sich aus. Seit den 1980er-Jahren untersucht die mittlerweile 77-jährige amerikanische Soziologin die Bedeutung von Gefühlen für moderne Arbeitsprozesse und prägte unter anderem den Begriff der "Emotionsarbeit".
Für ihre jüngste Studie, in der es um die emotionalen Wurzeln politischer Überzeugungen geht, begab sich Hochschild in ein Milieu, das die meisten Liberalen scheuen wie der Teufel das Weihwasser: Sie besuchte Tea-Party-Anhänger im Bundesstaat Louisiana. Ihr Motiv war dabei nicht nur wissenschaftlich, sondern auch politisch, denn Hochschild will aus ihrer linksliberalen "politischen Blase" heraustreten und die "Empathiemauer" überwinden, die rechte und linke Milieus trennt.

Warum wählen die Menschen rechts?

Im Zentrum der Untersuchungen steht ein Paradox: Louisiana ist der zweitärmste Bundesstaat der USA, erhält 44 Prozent seines Budgets aus Bundesmitteln, leidet durch die Ölindustrie unter extrem hoher Umweltverschmutzung, und die Lebenserwartung liegt weit unter dem US-Durchschnitt. Trotzdem wählen die Menschen hier eine Partei, die staatliche Unterstützung ablehnt, die Ölindustrie hofiert, den Klimawandel leugnet und Umweltschutzbestimmungen lockert. Umwelt ist das "Schlüssellochthema", mit dem Hochschild sich diesem Paradox nähert, und ihre ausführlichen Recherchen, die Faktenmaterial und Erfahrungsberichte zusammenfügen, machen ihre Studie auch zu einem Buch über die katastrophale Naturverschmutzung im Mündungsgebiet des Mississippi.
Dass sich die Bevölkerung hier ausgerechnet der Tea-Party anschließt, klingt aus linker Sicht irrational. Um ihre Gewährsleute zu verstehen, erfindet Hochschild eine "Tiefengeschichte": Die rechten Wähler fühlen sich wie Menschen in einer Warteschlange, die sehen, dass andere sich vordrängeln, etwa Frauen oder People of Colour. Diese Tiefengeschichte erzählt von Fortschrittsglaube, Arbeitsethos und Entwertung, es liegt ihr aber auch ein emotionales Dilemma zugrunde: "’Opfer’ ist das letzte Wort, das meine Tea-Party-Freunde aus Louisiana auf sich anwenden würden", schreibt Hochschild. "Doch angesichts des Verlusts ihrer Häuser, ihres Trinkwassers und sogar ihrer Arbeitsplätze ... gibt es kein anderes Wort dafür: Sie sind Opfer." Genau diesen emotionalen Kern spreche die Tea Party an, und Trump mit seinem "make America great again" löse eine entlastende Euphorie aus. Sie aufrechtzuerhalten werde zu einem "emotionalen Eigeninteresse" und starken Motiv, rechtskonservative Kandidaten zu wählen.

Angst vor dem globalen Kapitalismus

Beeindruckend ist, wie sehr die Autorin sich auf ihr Thema und die Menschen einlässt, aber auch der Fleiß dieser Studie. Hochschild befragte 60 Personen, sammelte 4000 Seiten Interviewmaterial und belegt ihre Aussagen anhand statistischer Daten, was ihrem doch sehr emotionalen Buch ein solides Fundament gibt. Die Ängste und Beunruhigungen seien rechts wie links eigentlich dieselben, schreibt Hochschild: Sie gälten dem Umgang mit dem globalen Kapitalismus. Nur die emotionalen Tiefengeschichten seien verschieden.

Arlie Russell Hochschild: Fremd in ihrem Land. Eine Reise ins Herz der amerikanischen Rechten
Aus dem Englischen von Ulrike Bischoff
Campus-Verlag, Frankfurt 2017
429 Seiten, 29,95 Euro

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