Arif Anwar: „Kreise ziehen“

Handlungsintensiv - aber literarisch uninteressant

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Im Vordergrund ist das Cover des Buches "Kreise ziehen" von Arif Anwar. Im Hintergrund sind Bäume in Bangladesch zu sehen, die durch einen Wirbelsturm unter Wasser gesetzt wurden sind.
Opfer des Klimawandels: Bangladesch wird immer wieder von schweren Wetterkatastrophen getroffen. © Verlag Klaus Wagenbach / Picture Alliance / dpa / ZUMA Press / Jashim Salam
Von Katharina Borchardt · 14.06.2019
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Sechs Jahrzehnte und vier Generationen umspannt "Kreise ziehen" von Arif Anwar. Der Roman reflektiert die Geschichte Asiens und ist historisch lehrreich - für ein großes Werk fehlt ihm aber die individuelle Stilistik.
Im November traf der Bhola-Zyklon auf die Küste von Bangladesch, brachte zehn Meter hohe Flutwellen mit sich und riss eine halbe Million Menschen in den Tod. Weil Pakistan, dem Bangladesch seit der Teilung Indiens zugehörte, anschließend nur mäßig half, erkämpfte sich das gebeutelte Land 1971 seine Unabhängigkeit.
Vor diesem klimapolitischen Hintergrund entfaltet der Autor Arif Anwar seinen handlungsintensiven Roman, in den er viel vom "Lebensmächtigen des Geschehens" einpflanzt, wie es der junge Shar nennt. Shar steht im Zentrum dieser Geschichte: Er wächst in der Küstenstadt Chittagong auf und verliert während des Zyklons seine Eltern.

Rückgriff in die Vergangenheit

Vom Jahr 1970 aus greift der Roman weit in Vergangenheit und Zukunft aus. Die Vergangenheit klinkt sich über Shars Mutter ein, die noch ein Kind ist, als sie 1942 einen japanischen Flieger am Strand von Chittagong abstürzen sieht. Der Pilot Ichiro überlebt, wodurch Arif Anwar auch die Geschichte des japanischen Imperialismus in Fernost und die des zurückweichenden britischen Kolonialapparats erzählen kann.
Denn auch eine britische Ärztin, die vor den Japanern aus dem burmesischen Rangun nach Chittagong fliehen muss, spielt in "Kreise ziehen" eine wichtige Rolle. In die Gegenwart des Jahres 2004 führt der Roman wiederum über den erwachsen gewordenen Shar, der in den USA studiert, promoviert und versehentlich eine Tochter zeugt, die in Washington aufwächst.

Alles ist mit allem verknüpft

Sechs Jahrzehnte und vier Generationen umspannt dieser Roman, der kein großes Thema auslässt – Geschichte, Politik, Religion, Migration, Identität – und der in geschickt verzahnten Kapiteln alles mit allem zu verknüpfen versucht.
Dabei referiert Arif Anwar seine historischen Recherchen nicht, sondern lässt sie fast unmerklich in die Lebensläufe seiner Figuren einfließen. Überladen wirkt der Roman daher nur gelegentlich, überkonstruiert dagegen häufiger.
"Kreise ziehen" ist Arif Anwars Debütroman. Der junge Autor stammt selbst aus Chittagong, und er hat in Bangladesch und in Myanmar für verschiedene NGOs gearbeitet. Promoviert hat er in Toronto, wo er auch heute noch lebt. Dort ist er zwar Mitglied einer Schreibgruppe, doch hat er vor "Kreise ziehen" keine literarischen Texte publiziert.

Keine individuelle Stilistik

Die ausgewogene Rhythmik der einzelnen Romanelemente verbunden mit einem hohen Maß an Stilsicherheit sind für ein Debüt ganz erstaunlich. Dennoch ist Arif Anwar mit "Kreise ziehen" kein großes Werk gelungen. Das liegt an seiner inhaltlichen und sprachlichen Konventionalität: Der Roman liest sich flüssig, besitzt allerdings keinerlei individuelle Stilistik.
Außerdem treibt den Autor offenbar der Wunsch um, in allen Menschen das Gute zu sehen. Ein solcher Optimismus ist für die Arbeit in einer NGO unverzichtbar, literarisch aber uninteressant. So erzählt "Kreise ziehen" ein wichtiges Kapitel asiatischer Geschichte, ist auch historisch lehrreich, geht stilistisch aber nicht über ein gehobenes Mittelmaß hinaus.

Arif Anwar: "Kreise ziehen"
Aus dem kanadischen Englisch von Nina Frey
Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2019
332 Seiten, 24 Euro

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