ARD-Serie "All you need"

Schwuler Alltag und Sauna-Klischees

08:56 Minuten
Zwei Männer küssen sich in einem Club. Es sind zwei der Hauptfiguren aus der Serie "Allyou need".
In der ersten Folge von "All you need" lernen sich Robbie (Frédéric Brossier, rechts) und Vince (Benito Bause, links) beim Ausgehen kennen. © ARD Degeto/Andrea Hansen
Stefan Mesch im Gespräch mit Massimo Maio · 07.05.2021
Audio herunterladen
In "All you need" sind schwule Männer nicht bloß Nebenfiguren, sondern stehen im Zentrum der Erzählung. Eine tatsächlich queere Erzählung sei das aber nicht, findet Rezensent Stefan Mesch, der die Miniserie dennoch empfiehlt. Bis auf die erste Folge.
Es ist eine Premiere im deutschen öffentlich-rechtlichen Fernsehen: Mit der ARD-Miniserie "All you need" gibt es hier erstmals eine größere Produktion mit ausschließlich schwulen Hauptfiguren.
"All you need" erzählt von vier Männern zwischen Mitte 20 und Anfang 40 in Berlin: Der Medizinstudent Vince (Benito Bause) lernt im Club den Fitnesstrainer Robbie (Frédéric Brossier) kennen – und zum ersten Mal für Vince könnte daraus etwas Festes werden. Sein Mitbewohner Levo (Arash Marandi) zieht aus ihrer WG aus, um mit dem frisch geouteten Familienvater Tom (Mads Hjulmand) zusammenzuziehen.
Mit insgesamt 120 Minuten sei "All you need" schnell geschaut, sagt der Journalist Stefan Mesch, der die Serie bereits gesehen hat. Sie sei relativ einfach erzählt und erinnert ihn unter an die HBO-Serie "Looking" über schwule Hipster in San Francisco.
Das sei "ein bisschen ein vergiftetes Kompliment" für "All you need", so Mesch: "Sie ist wie eine recht gute, aber langweilige, acht Jahre alte Serie aus Amerika."

Eine schwule, aber keine queere Serie

Eine queere Serie, wie es in der Ankündigung heißt, sei "All you need" aber nicht: Sie habe einen wenig queeren Blick, in dem Sinne, dass sie Erzählmuster infrage stelle, sagt Mesch. Und es handele sich auch nur um eine Serie über das Leben schwuler Männer.
Es gebe weder lesbische noch trans Figuren – und nichts über Asexualität: "Einmal tanzen in einem Club zwei Drag Queens im Hintergrund rum. Das war‘s. Das ist für mich noch nicht queer."
Mesch lobt, dass in "All you need" schwules Leid und schwule Traumata nicht im Mittelpunkt stünden, aber "dass man trotzdem, wenn sich die Figuren zum Beispiel beim Spazierengehen nahekommen, immer guckt: Oh, stehen da Leute irgendwo, gucken sie böse? Kann da gleich was eskalieren?"
Besonders die Figur des Schwarzen Vince findet der Rezensent überzeugend: An einem sperrigen Charakter werde auch Alltags- und struktureller Rassismus erzählt. Dieser Figur würde er auch gerne fünf Staffeln zuschauen.

Erste Folge besser überspringen

Die erste Folge empfiehlt er allerdings zu überspringen. Denn die sei "eine kleine Katastrophe", eine Art "FAQ für Heteros": Es würden lauter klischeehafte Fragen über schwule Männer besprochen wie zum Beispiel nach Dick Pics und schwulen Saunas.
"All you need" wurde von dem schwulen Regisseur Benjamin Gutsche gedreht. Für Kritik hat bereits gesorgt, dass die vier Hauptfiguren nur mit Schauspielern besetzt wurden, die allesamt bekennende Heteros sind.
Beim Casting habe es weder für den Regisseur noch für die Casterin Priorität gehabt, queere Darsteller auszuwählen, auch wenn queere Schauspieler angefragt worden seien, berichtet Mesch. Für Heteros sei es eine gute Nachricht, dass es 2020 offenbar attraktiv und spannend sei, schwule Rollen zu übernehmen.
Dennoch sei es eine verpasste Chance, findet der Journalist: "Wären das vier queere Schauspieler bei 'All you need', dann gäb es jetzt vier wichtige, präsentere queere Stimmen mehr."
(jfr)
Mehr zum Thema