Archäologie-Ausstellung "Bewegte Zeiten"

Eine Migrationsgeschichte der Menschheit

Die Ausstellung "Bewegte Zeiten. Archäologie in Deutschland" mit der Himmelsscheibe von Nebra im Gropius-Bau Berlin.
Die Ausstellung "Bewegte Zeiten. Archäologie in Deutschland" mit der Himmelsscheibe von Nebra im Gropius-Bau Berlin. © picture alliance/dpa/Foto: Wolfgang Kumm
Von Christiane Habermalz · 20.09.2018
Eine Ausstellung im Berliner Martin-Gropius-Bau zeigt, dass Migration und Klimawandel schon seit Jahrtausenden Menschen und Waren an neue Orte gebracht haben. Ein Rundgang macht Staunen über die Fülle der Objekte, die die Wanderungen dokumentieren.
Die mächtigen Eichenbohlen, aufrecht aneinander gereiht, sind der erste Blickfang für die Besucher. Mit zugespitzten Eisenbeschlägen versehen, wurden sie um 90 n. Christus in Köln von den Römern in den Boden gerammt – um die Hafenanlage zu sichern, und um das Fundament für die Mauer zu bilden, die gegen die Germanen errichtet wurde.

Antiker Zivilisationsmüll

Dazwischen: Unmengen an Scherben. Antiker Zivilisationsmüll, achtlos ins Hafenbecken geworfen. Artefakte, die belegen, wie quirlig und international das Leben in der römischen Hafenstadt am Rhein gewesen sein muss. Matthias Wemhoff, Direktor des Museums für Vor- und Frühgeschichte:
"Alle die nach Köln gekommen sind, sind neu dort. Sind praktisch alles Zugreiste. Das sind alles, heute würde man sagen, Migranten, die dahin gekommen sind. Aus allen Teilen der Welt, also hier haben wir einen Grabstein für den Steuermann Horus, der aus Ägypten kam. Wir haben andere Grabsteine für Personen, die aus Britannien kamen, oder aus dem französischen Gebiet, also alles läuft zu dieser Zeit in Köln zusammen."
Die Ausstellung "Bewegte Zeiten" im Martin-Gropius-Bau in Berlin. Foto: David von Becker
Noch bis 6. Januar 2019 zeigt der Berliner Martin-Gropius-Bau Schätze der Archäologie, die auch ein Stück Migrationsgeschichte widerspiegeln.© David von Becker

Fischsauce aus Pompeij in Köln

Nicht von ungefähr nimmt die Ausstellung "Bewegte Zeiten" ihren Anfang in Köln, erklärt Wemhoff. Die Funde, die während des U-Bahnbaus dort ausgegraben wurden, gehören zu den wichtigsten der letzten Jahre. Und sie dokumentieren exemplarisch, was die Ausstellung zeigen will: Nicht nur Menschen waren zu allen Zeiten in Bewegung, auch Waren und Ideen standen im ständigen Austausch.
Die Beschriftung der Amphoren zeugt davon, dass die Römer, die auch im wilden Germanien auf nichts verzichten wollten, Produkte aus aller Welt heranschafften. Mancher Warenfluss lässt sich sogar bis zu einzelnen Menschen zurückverfolgen.
"Da oben liest man: Garum, das ist diese Fischsauce, und die weitere Inschrift, die jetzt nicht mehr so gut zu lesen ist, nennt sogar den Händler dieser Fischsauce, und das ist ein ganz bekannter pompejanischer Händler, von dem man in Pompeiji sogar das Haus ausgegraben hat und das nicht vollendete Grabmal. Der ist also beim Ausbruch des Vesuvs 79 nach Christus ums Leben gekommen."

In acht Wochen quer durch Europa

Es gibt Ausstellungen, die werden noch Jahrzehnte im Gedächtnis bleiben. Diese hier wird eindeutig dazu gehören. Man staunt ohne Ende über die Fülle der Objekte, die fast alle in den letzten 15 Jahren in Deutschland aus dem Boden geholt wurden. Und man staunt, weil sie Erkenntnisse für das Hier und Jetzt bringt, die viel weiter reichen als die übliche Bewunderung für die Kunstfertigkeit früherer Generationen. Vor allem die: Menschen sind immer in Bewegung gewesen.
"Alle gehen davon aus, die Zeiten früher sind viel statischer. Die Menschen sind immer nur an einem Ort, man kommt eigentlich nicht weiter. Man kommt vielleicht weiter wenn die Eisenbahn geschaffen worden ist. Und vorher vielleicht mit der Postkutsche, ganz unbequem, aber sonst eigentlich nicht. Und dass Europa eigentlich ein kleiner Kontinent ist, den man zu allen Zeiten gut durchqueren konnte und dass die Menschen zu allen Zeiten unterwegs waren, dass man zu allen Zeiten nur acht Wochen bis Rom brauchte. Das ist ein Punkt, der muss mal in die Köpfe rein."
Gezeigt werden deshalb Wege, die Europa zu allen Zeiten durchzogen haben. Jungsteinzeitliche Bohlenwege, Römerstraßen, karolingische Kanäle, bis hin zum Beton-Postenweg entlang der Berliner Mauer. Ein anderer Saal: Migrantenschicksale. Der armenische Bischof, der als Religionsflüchtling vor den türkischen Seldschuken nach Passau floh, wo er, wie seine Grabtafel erzählt, im Jahr 1093 während einer Sonnenfinsternis starb. Adlige Ehefrauen, die in die Fremde verheiratet, Sklaven, die verschleppt wurden.

Wichtigste Funde aus allen Bundesländern

Die Ausstellung beruht auf einer Kooperation des Museums für Vor- und Frühgeschichte in Berlin mit dem Verband der Landesarchäologen Deutschlands. Auch das macht die Schau spektakulär. Hier sind aus 16 Bundesländern und drei Stadtstaaten die jeweils wichtigsten Funde der vergangenen Jahre zusammengetragen worden - verbunden mit den neuesten Forschungsergebnissen der Archäologie. Die Himmelsscheibe von Nebra wird sechs Woche lang zu sehen sein - hier gleich zusammen mit drei von vier Goldhüten, die je gefunden wurden – als wäre der eine, der Berliner, nicht schon atemberaubend genug.
Das älteste Rad, 5000 Jahre alt, stammt vom Bodensee – auch wenn es vielleicht ganz woanders erfunden wurde. Das erste Ochsengespann, gefunden in Sachsen-Anhalt: zu seiner Zeit im Neolithikum eine so bahnbrechende Technologie, dass es mit seinem Besitzer zusammen beerdigt wurde, Ochsen inklusive. Alles Beispiele dafür, dass Ideen und Innovationen ebenso migrierten wie Menschen und Waren.
"Zu allen Zeiten haben die Menschen über unglaubliche intellektuelle Fähigkeiten, auch über kommunikative Fähigkeiten verfügt, und sie haben sich entwickelt in einem intensiven Austausch. Und ich glaube, wenn man das zum Punkt macht, alle Bewegungsaspekte oder vielleicht auch noch mal auf Migration bezieht, das ist nicht die Mutter aller Probleme, das ist der Beginn aller Entwicklung."

Flucht vor der Kälte

Natürlich lief der Kontakt zwischen den Kulturen nicht ohne Konflikte ab. Im Tollensetal wurde ein bronzezeitliches Schlachtfeld ausgegraben – Überreste eines Gewaltkonfliktes aus der Zeit um 1300 v. Christus. Und Globalisierung ist ein Begriff aus der Mottenkiste der Geschichte. Schon in der Eisenzeit hat es genormte Ware gegeben, die in hoher Stückzahl im- und exportiert wurde.
Der erste Klimaflüchtling? Der Neandertaler. Vor der vorrückenden Eiszeit flüchtete er sich in wärmere Gefilde, nach Südfrankreich. Heute wird eher in die andere Richtung geflohen, vor Dürre und Überschwemmungen durch die Erderwärmung. Auch das, lehrt uns diese großartige Ausstellung, nur eine Phase in der langen Migrationsgeschichte der Menschheit.
Mehr zum Thema