Arbeitswelt

Die Firma ist nicht deine Familie

Eine Frau und ein Mann stehen an einem Kickertisch und spielen.
Arbeitskollegen beim Kickern: Soziokratie ändere in einer Firma mehr als Tischfußball, meint Marius Hasenheit. © imago / Westend61
Überlegungen von Marius Hasenheit · 08.11.2018
Der Tischkicker: In vielen Unternehmen verspricht er eine innovative und familiäre Arbeitsatmosphäre. Doch, was so locker daherkomme, sei eigentlich ein trügerisches Idealbild der Vergangenheit, kritisiert der Publizist Marius Hasenheit.
Das Familienbild verspricht eine warme, ja beinah intime Arbeitsatmosphäre und grenzt sich gleichzeitig von kühlen Großraumbüros, Förmlichkeit und bürokratischen Strukturen ab. Starre Abteilungen und Rangordnungen sind schließlich hinderlich in Zeiten von Digitalisierung und Arbeitsmarktwandel. Heute braucht es oft auf schnellem Wege unkonventionelle Lösungen, die am ehesten von gemischten Teams mit unterschiedlichen Expertisen und Hintergründen entwickelt werden.
In diesen Umbruchzeiten, in denen Robotik, Vernetzung und maschinelles Lernen eine immer größere Rolle spielen, ist ein unternehmerisches Idealbild aus dem späten 19. Jahrhundert wohl kaum die beste Beschreibung für Unternehmen.

Männlicher Magnat als strenger fürsorglicher Vater

Das familiäre Unternehmensbild dieser Zeit war ein paternalistisches, in dem das Unternehmen in der Regel von einem männlichen Magnaten geleitet wurde. Die Familienmetapher implizierte dabei die beiden Rollen des Unternehmers: die des strengen und die des fürsorglichen Vaters. Kam es zum Familienstreit, weil die abhängigen, unmündigen Kinder einmal aufbegehrten, gab es keine Arbeitnehmervertretung – der Patriarch setzte sich durch.
Auch heute heißt es in vielen Unternehmen, die sich einer familiären Atmosphäre rühmen, dass im Falle eines Falles eine Aussprache ja reichen würde – man sei ja schließlich "unter sich". Für Arbeitnehmer eine gefährliche Entwicklung: Während vor 15 Jahren noch etwa die Hälfte der Beschäftigten durch einen Betriebsrat vertreten wurden, sind es heute nur noch 40 Prozent. Gründe für ihren Rückgang gibt es viele.
Feststeht, dass ihre Gründung besonders in inhabergeführten Unternehmen behindert wird, so die Hans-Böckler-Stiftung. Mit dem Absacken der Anzahl von Betriebsräten schwindet auch die Verhandlungsmacht der Arbeitnehmer; eine Schwäche die sich auch in den geringen Lohnzuwächsen in Deutschland widerspiegelt – und das obwohl der Arbeitsmarkt im Vergleich zu den vorherigen Jahrzehnten, leergefegt ist.

Familiäre Atmosphäre statt Betriebsrat und Feierabend

Die postulierte "familiäre Atmosphäre" soll nicht nur Betriebsräte unnötig erscheinen lassen – sondern auch den Feierabend. Wozu noch nach Hause gehen, wenn die Kollegen nun Freunde und Familie sind und der Arbeitsplatz ein Co-Living-Space ist. In solchen Arbeitsstätten wird zusammen gearbeitet und gelebt.
Gleichzeitig ist die Familienbeschreibung von nur oberflächlich demokratisierten Firmen auf ungewollte Weise passend: Die Familie ist schließlich das beste Beispiel für die Sozialdynamik organisch gewachsener Hierarchien. Eltern, Kinder und Großeltern mögen komplexe soziale Bindungen aufweisen, die sich stets verändern – doch auf ebenbürtiger Ebene sind diese Bindungen selten.
So auch in den unkonventionellen Büros: Je versteckter Hierarchien sind, desto nachdrücklicher werden sie mit kleinen Gesten und Privilegien ausgedrückt – wie Firmenparkplätzen oder Ausnahmeregelungen.

Soziokratie bricht Hierarchien

Einen gänzlichen Bruch mit diesen Hierarchien versprechen Ansätze wie Soziokratie, oder der davon abgeleiteten, fleißig in Kursen und Akkreditierungen verkauften Variante "Holokratie". Bei der Soziokratie sollen alle Mitglieder einer Organisation, im Fall eines Unternehmens alle Mitarbeiter, nach dem Konsensprinzip eingebunden werden.
Ziel ist es, nicht nur auf basisdemokratische Art und Weise Entscheidungen zu treffen, sondern auch die Ideen und Vorschläge aller Mitarbeiter zur einer "Schwarmintelligenz" zusammenzufassen. Gegenstimmen, in der Soziokratie-Sprache Widerstände genannt, werden hierbei unabhängig von ihrer Anzahl und der Position des Widerständlers ernst genommen.
Wie immer auch die Unternehmensstruktur der Zukunft aussieht – fest steht: Es braucht neue Idealbilder, und diese sollten wir nicht in Museen suchen.

Marius Hasenheit ist Mitherausgeber des "transform" Magazins, Mitarbeiter des Think Tanks Ecologic Institut und Mitglied der genossenschaftlichen Unternehmensberatung sustainable natives eG.


© Nils Schwarz
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