Ärzte am Ende ihrer Kräfte
19:34 Minuten
Druck, Stress und Burn-Out: Der Alltag in deutschen Klinken macht die Beschäftigten krank. Es gibt kaum noch Zeit für die Patienten, dafür umso mehr Papierkram zu erledigen. In Bayern versuchen Mediziner, ihren Kollegen beizustehen.
Ein ganz normaler Nachmittag in einer Notaufnahme. Der Rettungshubschrauber bringt einen Verletzten. Zwei Krankenpfleger schieben den neuen Patienten auf den Flur, der Zugang für die Infusion wurde schon im Helikopter angelegt. Auf dem Flur mehrere Betten. Ein älterer Mann mit schmerzverzerrtem Gesicht auf dem einen, ein weiterer mit Beinverband auf dem anderen Bett:
"Speziell in meinem Klinikum haben wir viele Notfallpatienten, die werden uns oft selbst dann gebracht, wenn wir uns als nicht aufnahmefähig abgemeldet haben", erklärt Anästhesist Peter Hoffmann. "Die sind halt trotzdem krank oder haben irgendeine Verletzung und müssen irgendwo hin. Wenn alle Krankenhäuser sich als nicht aufnahmefähig melden – und das ist oft der Fall in München inzwischen – dann wird das nächste Haus angefahren und dieses Haus muss den Patienten dann versorgen."
Peter Hoffmann arbeitet seit mehr als 20 Jahren als Oberarzt am Klinikum Harlaching. Stress gehört dazu, Notfälle sind nicht planbar, eine Überschreitung der Arbeitszeit oft nicht zu verhindern, was per Stechuhr sekundengenau dokumentiert wird.
Pflegekräfte werden vermittelt
Harlaching ist ein Maximalversorgerhaus, wie es im Managerdeutsch heißt: Notfallstation, Kinderklinik, Psychosomatik, Geburtenstation, Kardiologie – in mehr als 700 Betten, in 17 Fachkliniken und neun Tageskliniken samt Reha hoffen Patienten auf Heilung. 2018 waren es 79.000, schreibt die Klinik stolz auf ihrer Webseite.
Die Schattenseiten findet man dort nicht. Zum Beispiel, dass immer mehr Betten wegen Personalmangels gesperrt werden müssen. 100 freie Stellen gäbe es, heißt es offiziell; 30 weitere seien neu geschaffen, betont die Klinikleitung. Ein Grund: um weniger die teuren Zeitarbeitskräfte beschäftigen zu müssen. Für die Vermittlung von Pflegekräften gebe es Prämien bis zu 4000 Euro für Vermittler und neuen Mitarbeiter:
"Es gibt im Moment, aus guten Gründen würde ich behaupten, viel zu wenig Pflegekräfte im Krankenhaus", sagt Hoffmann. "Mit zwei Maßnahmen versucht man dem Problem einigermaßen Herr zu werden. Erstens: Man holt aus dem Pflegepersonal, das da ist, das Letzte raus. Wenn man dann das Letzte herausgeholt hat, stellt man fest, noch mehr geht nicht, dann muss man eben die Zahl der Patienten reduzieren, damit das unterbesetzte Team halbwegs durch den Tag kommt."
Ein Graus für jeden renditeorientierten Klinikmanager. Leere Betten bringen kein Geld. Die Rechnung geht immer seltener auf.
Krankenhäuser wollen keine Patienten aufnehmen
Auf der Straße in seinem roten, blinkenden Rettungswagen verzweifelt Notarzt Alfred Schallerer, ein alter Hase, der dutzende Oktoberfest-Dienste geschoben hat. Immer häufiger kommen Absagen von den Kollegen der Integrierten Leitstelle ILS in der Schwabinger Heßstrasse. Oder digital: Auf seinem Tablet meldet die spezielle App IVENA eHealth mit roten Balken, dass keine Betten frei sind, die theoretisch gleich online gebucht werden könnten:
"Hier ist ein Patient mit Narkose und an der Beatmung, dann war in ganz München kein Intensivbett, keine Versorgungsmöglichkeit aufzutreiben. Und wir sollten den dann transferieren zur Theresienwiese, in den Hubschrauber rein. Und dann sollte er nach Murnau geflogen werden.
Letzter Rettungsanker 70 Kilometer südlich von München: Murnau, Bayerns einzige Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik, überwiegend finanziert durch deutsche Unfallversicherungen, die Premiumklasse unter Deutschlands Zweiklassen-Kliniken. Sie können sich zum Ärger anderer Häuser genügend Personal leisten, denn die Unfallversicherungen zahlen besser als gesetzliche Krankenversicherungen:
"Da hab ich gesagt, wenn das um fünf am Nachmittag schon so anfängt, wie geht es dann den Rest des Tages weiter und in der Nacht, wenn wir jetzt schon die Patienten nach Murnau fliegen."
Keine Pausen für den Gewinn
Im Zweifelsfall stellt Notarzt Schallerer den Patienten vor die Notaufnahme von Peter Hoffmann am Klinikum Harlaching ab. Wer zuletzt nein sagt, hat verloren. Ein absurdes Katz-und-Maus-Spiel unter den sechs Maximalversorgerkliniken in München:
"Das endet dann halt oft so, dass die Patienten im Notfallzentrum sind, da steckenbleiben und nicht ins Haus verlegt werden können, weil es im Haus keine Betten gibt."
Pausen? Mittagessen? Kurz durchatmen? Fehlanzeige. Ärzte, die Halbgötter in Weiß? Das war einmal. Man fühle sich nur wie das Mittel zum Zweck der Gewinnmaximierung, kritisiert der Neurologe Zeno Gänsheimer. Junge Assistenzärzte würden zeitweise, wie selbstverständlich, die Intensivstationen wuppen, ohne Facharzt oder gar Chefarzt:
"Vom Personal her waren wir immer chronisch unterbesetzt, das war auch bekannt, aber es hat keine Nachbesetzungen gegeben, aus welchen Gründen auch immer, höchstwahrscheinlich aus finanziellen Gründen, weil jeder Assistent so und so viel kostet, und das will man sich einsparen, wenn es irgend geht. Dementsprechend konnte man das Arbeitszeitgesetz in keinem Dienst in den zwei Jahren einhalten, die ich dort war. Es konnten keine Pause genommen werden, es wurden Überstunden gemacht, die nicht bezahlt wurden.
Behörden nehmen Dienstplan unter die Lupe
Ihn wie andere junge Fachkräfte hat die München Klinik bereits verloren, was die Situation für die zurückbleibenden Kollegen weiter verschärft. Der 32-Jährige arbeitet heute an der Tagesklinik für Kinder- und Jugend-Psychosomatik der Technischen Universität München. Arbeitszeit acht bis 17 Uhr. Familie? Wieder möglich. Doch auch diese Einrichtung steht, wahrscheinlich aus finanziellen Gründen, auf der Kippe. Ein Teufelskreis.
"Ich persönlich habe vor zwei Monaten auf 80 Prozent reduziert, um der Summe aller Belastungen Einhalt zu gebieten. Das machen inzwischen auch viele Ärztinnen und Ärzte, aber noch viel mehr Pflegekräfte, die sagen: Das ist so anstrengend und belastend, dass ich lieber mit weniger Geld auskomme, aber mich lieber zwischendurch erholen kann. Das ist einer der Gründe, warum so viele Pflegekräfte fehlen, weil die Leute eben 60 oder 80 Prozent arbeiten, weil sie sich einer Ganztagstätigkeit nicht mehr gewachsen fühlen."
Mittlerweile prüft das Gewerbeaufsichtsamt der Regierung Oberbayern die Beschwerden von Ärzten, dass Arbeitszeiten am Klinikum Harlaching rechtswidrig überschritten würden. Das Gewerbeaufsichtsamt habe "in diesem Zusammenhang ein Ordnungswidrigkeitenverfahren eingeleitet", heißt es auf Anfrage. Dieses Verfahren sei noch nicht abgeschlossen. Daher bitte man um Verständnis, "dass keine weiteren Angaben möglich sind".
Keine Klimaanlage im Hochsommer
An der Klinik Hohe Warte in Bayreuth sitzen Patienten im Klinikcafé in der Sonne. Das kommunale Klinikum liegt auf einer Anhöhe, der Blick über die Stadt geht bis weit ins oberfränkische Hinterland. Tassen klappern. Angehörige besuchen ihre Väter, Großmütter, Ehefrauen. Ein Stockwerk über ihnen brütet Chefarzt Hans-Axel Trost an einem vollgepackten Schreibtisch über den Patientenakten. Zwei schwierige Operationen liegen hinter dem Neurochirurgen. Klimaanlage Fehlanzeige. Die Uhrzeit 15 Uhr:
"Vielleicht gehen wir da rein, mein Zimmer ist noch unerträglicher. Ich habe hier eine Lüftung, muss aber aufpassen, dass er die Akten nicht wegpustet. Ich fange hier morgens bei guten 30 Grad an und wenn ich Glück habe, schaffe ich es, tagsüber bei 30 Grad zu bleiben. Ich könnte die Tür aufmachen, aber Datenschutz, Schweigepflicht und so was, da kann ich hier dann kein Gespräch führen. Denn draußen ist Klimaanlage."
Draußen auf dem Klinikflur schiebt ein Pfleger in grünem OP-Kittel einen schlafenden Patienten über den Gang. Es wirkt ruhig, 293 Betten, von Stress keine Spur, zumindest nach außen. Zu ruhig?
"Das merken wir jeden Tag, einfach weil wir zu wenig Personal haben. Ich werde gezwungen, Dienstpläne zu unterschreiben, die nicht nach Arbeitszeitgesetz und nicht nach Tarifvertrag sind. Die Verhandlungen um eine ausreichende Personalausstattung sind frustrierend. Das heißt, ich habe das Problem, entweder ich kündige und gehe weg oder ich verweigere die Versorgung von Patienten hier oder ich verstoße gegen Gesetze."
Kaum Zeit für die Patienten
Chefarzt Trost schaut auf seine Akten, schweigt. Dann erzählt er von seinem Pflegepersonal. Dass die wenigsten der fast ausschließlich ausländischen Mitarbeiter eine ausreichende Qualifizierung hätten, aber sich aufopfern und tagtäglich für die Patienten da wären, wie auch immer. Weiterbildung wird weggespart:
"Ich habe Pflegekräfte im OP und das ist ein großer Jammer. Das sind eigentlich immer zu wenig. Die können selten in Ruhe arbeiten, das heißt, ich habe immer Leute, die mich freundlich angucken und sagen, ich habe das noch nie gemacht, ich kenne mich nicht aus. Ich bin manchmal im Saal der einzige, der weiß, was gemacht wird. Und kann das den anderen noch erklären und behalte dann die Nerven."
In seinem unklimatisierten Büro beginnt Neurochirurg Trost bei gut 30 Grad Raumtemperatur, die Notizen seiner Krankenschwestern und Krankenpfleger zu sichten. Er muss alles noch einmal abtippen, OP-Bericht, Patientenbrief.
Die Einigung zwischen dem Marburger Bund und der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände VKA Ende Mai – weniger Wochenenddienste, bessere Arbeitszeiterfassung, mehr Gehalt in drei Stufen – sei ein guter, erster Schritt. Es tut sich was, hofft der Arzt.
Auch dass beim Pflegepersonal mittlerweile in vier Bereichen eine Mindestuntergrenze eingezogen wurde vom Bundesgesundheitsministerium zeigt: Das Problem wird erkannt in Berlin.
Gewinne stehen im Mittelpunkt
Jetzt müsste nur noch das umstrittene Abrechnungssystem nach Fallpauschalen, kurz DRG genannt, fallen. Das setze Ärzte seit Jahren unter Druck, möglichst nur noch die teuren Operationen durchzuführen, klagt Andreas Botzlar, Landesvorsitzender Bayern des Marburger Bund:
"Das ist auch von der Idee nicht so angelegt gewesen. Auch die Nummer, 'Wir müssen Gewinn erwirtschaften, um irgendwie den OP zu renovieren oder die Station zu streichen', ist eigentlich eine Fehlverwendung. Man könnte auch sagen, Veruntreuung von eingenommenem Geld, zumindest so es aus dem GKV-Bereich stammt, was das meiste Geld tut."
Zwölf Stunden werden es bei Neurochirurg Trost wohl an diesem Tag werden, die er am Krankenhaus verbringt. Die wenigste Zeit davon beim Patienten: "30 Prozent habe ich noch mit dem Patienten zu tun, der Rest ist das. Ich sitze am Computer, mache die Pläne, sortiere das; das heißt, wenn ich die Briefe neu schreibe, ich diktiere sie nicht neu, sondern ich schreibe sie neu am Computer selbst und drucke sie selbst aus."
Die Pläne der bayerischen Gesundheitsministerin und des Bundesgesundheitsministeriums, kleine Krankenhäuser in der Oberpfalz, Mittelfranken und Oberfranken zu schließen, findet Trost, im Gegensatz zu zahlreichen Bürgerinitiativen, gut.
Kleine Kliniken werden geschlossen
Hersbruck bei Nürnberg hat es bereits erwischt, Hemau bei Regensburg, Nabburg und Waldsassen, rentabel würde es erst bei 400 Betten pro Klinik, meinen Forscher. In der dünnbesiedelten Oberpfalz gibt es noch 20 Krankenhäuser mit 5300 Betten. Braucht es das?, fragen Ökonomen.
Demgegenüber werden in den kommenden Jahren 440 Millionen Euro in neue Krankenhausprojekte wie am Klinikum München-Harlaching oder am Münchner Universitätsklinikum Großhadern gesteckt. Kliniken in der Fläche können im Vergleich dazu Peanuts-Fördermöglichkeiten von gut 400.000 Euro pro Klinik vom Freistaat erhalten. Aber nur, wenn sie rentabel arbeiten.
Zumindest Bayreuths Klinik hätte dann wieder Personal, meint der Chefarzt ironisch: "Ich habe heute die Kopfoperation gemacht mit einem Assistenten, der ganz neu ist bei uns. Erfreulicherweise ist das ein Kollege, der in seiner Heimat Syrien den Facharzt erlangt hat. Der ist klasse. Nur in Deutschland wird es nicht anerkannt. Er fängt hier als Anfänger an, aber er ist einfach gut. Und bei der zweiten OP hatte ich plötzlich keinen Assistenten mehr, weil wir in zwei Sälen operieren, das heißt, das habe ich eben allein gemacht."
Das Klinikum Hohe Warte gehört als Maximalversorger zu drei Häusern der Klinikum Bayreuth GmbH, ähnlich wie in München ein kommunaler Träger. Was hier das Klinikpersonal vor allem unter Druck setzt? Seit dem ersten August ist die GmbH kopflos, die Entlassung des Geschäftsführers wurde drei Tage vorher angekündigt. Dem vorangegangen waren jahrelange Querelen über angebliche oder tatsächliche Lügen und Jasager, Mauscheleien bei der Personalbe- und -absetzung. Ein Haus am Limit. Jetzt ist geplant, die Führung der Klinikum Bayreuth GmbH einem Managementunternehmen zu übertragen, das in einer europaweiten Ausschreibung ermittelt wird.
Training für Krankenhausärzte
Früh am Morgen am Münchner Rotkreuzklinikum. Sechs Assistenzärzte fahren mit dem Fahrstuhl hoch in den 5. Stock. Ihre Dienstzeit begann um 7 Uhr, dann Stationsbesprechung, Visite in der Bauchchirurgie. Was sie jetzt erwartet, ist ein ungewöhnliches Training, für das sie sich extra Zeit nehmen, wie diese Teilnehmerin:
"Ich glaube, es gibt vieles, was man als erwachsener Mensch weiß, aber aufgrund von Umständen und beruflichem Druck nicht umsetzen kann. Dass man sich das nochmal bewusst wird, was man eigentlich in der Hand hat, um sich seinen Alltag, der halt sehr belastend ist, zu erleichtern."
Weiße unbeschriebene Flipchartblätter hängen vor dem Trainingsraum. "Input" und "Output" steht darauf. Sportpsychologe Tom Kossak begrüßt die Ärzte. In zwei Gruppen werden in den kommenden Minuten Punkte zusammengetragen, die bei den Ärzten Stress verursachen:
"Stichwort Doppelbelastung, Mehrfachbelastung, was zusammenhängt auch mit einem Work-Overload; Notfallsituationen, Verlegungen, das zieht ziemlich viel Kraft. Fehler, schreib mal Fehler hin."
Den drei Frauen und drei Männern um Chefarzt und Stationsleiter Wolfgang E. Thasler fallen viele Punkte ein zum Energie-Output am Krankenhaus. Unvorhergesehene Zusatzaufgaben, Verwaltungstätigkeit, Nacht- und Wochenenddienste. Immer wieder meldet sich zwischendurch ein Piepser oder ein Telefon:
"Man hat keine Wahl. Also ich mache meinen Job immer noch gern, aber wenn ich mit Freunden rede, die andere Jobs haben, wie gerade jetzt am Wochenende, da fragt man sich dann schon, wofür man das macht, aber im Endeffekt mag ich es."
Ärzte lernen Umgang mit Druck
Normalerweise trainiert Sportpsycholge Tom Kossak Leistungssportler. Fußballprofis, die unter Druck im vollen Stadion nicht die Nerven verlieren dürfen. Abfahrtskiläufern, die sich vor dem Wettkampf konzentrieren müssen.
"In der Sportpsychologie geht es immer um den Umgang mit Druck, gerade am Start bei wichtigen Wettkämpfen oder so. Und hier im OP geht es auch darum, unter Druck zu arbeiten. Das ist einmal dieser Langzeitdruck, den ich habe, aber auch dieses, in der Notfallsituation schnell reagieren zu können. Und da auf alles zugreifen zu können, was mir zur Verfügung steht.
Mentale Techniken, die auch im Operationssaal und unter Anspannung an Kliniken funktionieren – davon ist Chefarzt Thasler überzeugt, der das Trainingsprojekt initiiert hat:
"Da kann uns natürlich die Sportpsychologie im Wesentlichen helfen, weil es im Sport und anderen sogenannten High-Performance-Bereichen, wie, ich sage mal beim Opernsänger, so ein mentales Training bereits gibt."
Was auf den ersten Blick nicht zusammenpassen mag, entpuppt sich im Lauf der Stunde als durchaus hilfreiches Training. Chirurgie als Hochleistungssport. Auf der Inputseite stehen viele Punkte. Wie genau kann ich als Arzt meine Energien wieder auftanken. Vor dem Schlafen zum Beispiel Sport treiben, nicht zu viel essen, das Handy weglegen:
"Naturerlebnis, das kam jetzt noch so für die körperliche Regeneration auf. Genau Luft, ja, Ruhe, Sauna, Essen, das bedingt sich ein bisschen.
Unterstützung für Kolleginnen und Kollegen
Ursprünglich initiierte Chefarzt Thasler das Projekt, um seinen Assistenten den Druck vor einer mehrstündigen Operation zu nehmen. Mittlerweile geht es immer häufiger um Stressprävention im Klinikalltag, zum Beispiel durch regelmäßige Pausen.
Ortswechsel: Schön-Klinik in München-Harlaching. Anästhesieärztin Sabine Goßler lädt in ihr Sechs-Quadratmeter-Dienstzimmer, das sie sich mit vier Kolleginnen teilt. Sie ist ehrenamtlich als Betreuerin in der Burnout-Prävention und für den Verein PSU-Akut unterwegs: "Die Erwartung war früher sehr so: Ja, du bist Arzt, solche Dinge passieren, damit musst du fertig werden, ansonsten bist du hier falsch. Da ist aber nicht so, das ist nicht der richtige Ansatz."
Ärzte helfen Ärzten. Prävention, Soforthilfe und Trainingsseminare stehen bei dem Verein PSU-Akut ganz vorn auf der Agenda. Fünf Kolleginnen und Kollegen kümmern sich an der Schön-Klinik um verzweifelte Kolleginnen und Kollegen. Eine Telefonhotline ist Tag und Nacht erreichbar.
Auf der Suche nach Mitstreitern
Der Verein PSU-Akut und Initiator Andreas Schießl, ebenfalls Anästhesist, versteht sich als Ansprechpartner für alle Klinikmitarbeiter in Bayern. Das Ziel: In jedem Krankenhaus Mitstreiter als sogenannte Peers zu gewinnen, die sich Zeit nehmen für eine psychologische Weiterbildung, für die Kolleginnen und Kollegen. Neben den eigenen Dienstzeiten:
"Also das war gerade am Anfang noch sehr schwierig. Da war eher so der Gedanke: Psycho. Wer das nicht aushält in der Medizin, der ist falsch am Platz. Das waren häufige Reaktionen darauf, aber da findet ein Umdenken statt. Das geht langsam, aber das hat inzwischen auch zu dem veränderten Genfer Gelöbnis geführt, die Erweiterung des Eids des Hippokrates. Und das steht drin, dass sich die Ärzte verpflichten, auf ihre eigene Gesundheit zu achten. Schon unter dem Gedanken: Ärztewohl ist Patientenwohl."
Lange wurde vernachlässigt, dass auch Klinikpersonal an seine Grenzen kommt. Die Folgen: Burnout 20 Prozent, Sucht zehn bis 15 Prozent, bis zu sechsmal höhere Suizidrate im Vergleich zur Normalbevölkerung. Anästhesistin Goßler kennt mehr als einen Fall.