Arbeit ohne Lohn

Von Chrissi Wilkens · 25.10.2013
Zwischen drei und zwölf Monate ohne Einkommen: In Griechenland muss die Mehrheit der Angestellten im privaten Sektor mit erheblichen finanziellen Einbußen leben. Viele gehen trotzdem weiter zur Arbeit - aus Angst, ins Bodenlose zu fallen, aus Verantwortungsgefühl oder Überzeugung, dass sie ihren Arbeitsplatz verteidigen müssen.
Später Nachmittag im Krankenhaus Errikos Dunant in Athen. Natasa Koutsouri, die Direktorin der ambulanten Station für Allgemeinmedizin, bespricht mit einer Kollegin den Fall einer Patientin. Beide Ärztinnen arbeiten seit mehr als zehn Monaten ohne Bezahlung. "Wir machen trotzdem weiter", sagt Koutsouri mit einem selbstbewussten Lächeln.

"Man kann nicht einfach so aufgeben. Ich weiß nicht, ob ich übertreibe, aber wenn man sich an seinem Arbeitsplatz eigentlich wohlfühlt und weiß, wie viel man in der Vergangenheit hier geleistet hat, dann muss man einfach weitermachen. In diesem Krankenhaus steckt ein Stück von jedem von uns. Außerdem ist es so, wenn man hier kündigt und irgendwo anders hingeht, bedeutet dies nicht, dass man dort bezahlt wird."

Im Warteraum sitzt nur eine Patientin zusammen mit ihrem Mann. Koutsouri begrüßt die beiden und diktiert der Sekretärin ein Rezept. Die 46-jährige zarte Frau arbeitet schon seit mehr als elf Jahren im Errikos Dunant Krankenhaus, einer Privatklinik. Nebenher hat sie noch eine eigene Praxis. Sowohl im Krankenhaus als auch in ihrer Praxis hat sich seit Ausbruch der Krise in Griechenland die Zahl der Patienten drastisch verringert. "Viele Menschen können sich den Besuch in einer Privatklinik einfach nicht mehr leisten", sagt Koutsouri.

"Viele Patienten sind traurig darüber, wenn sie sehen, dass es im Krankenhaus nicht so viel Arbeit gibt wie früher, die Klinik zusehends verfällt. Wenn sie es irgendwie einrichten können, kommen sie noch zu uns - selbst wenn wir ihnen sagen, dass sie auch in ein anderes Krankenhaus gehen können."

Erikos Dunant ist noch immer ein hochmodernes Krankenhaus, gebaut im Jahre 2000 nach europäischen Standards, finanziert durch das Rote Kreuz. Insgesamt arbeiten hier mehr als 1000 Menschen. Nach der Krise wurden bereits die Löhne und viele der Betriebsausgaben gekürzt. Dass die Angestellten schon so lange nicht bezahlt werden, hat insbesondere mit den hohen Schulden der Klinik und der abnehmenden Zahl der Patienten zu tun, erklärt Koutsouri.

"Man hat Kredite aufgenommen, und es gab eine ineffiziente Verwaltung, dies hat zu hohen Schulden geführt. Und die Banken sind nicht mehr bereit, das Krankenhaus weiterzufinanzieren, wir befinden uns damit in einer Art Sackgasse."

Die Regierung sucht nun händeringend nach einer Finanzierungsquelle. Solange werden die Einnahmen des Krankenhauses ausschließlich für Medikamente, Verbands- und Operationsmaterial verwendet. "Um wenigsten die Grundversorgung der Patienten zu gewährleisten", erklärt die Ärztin schulterzuckend. "Wir fühlen uns wie arbeitende Arbeitslose", sagt sie.

"Es ist ein merkwürdiges Gefühl. Neuerdings freuen wir uns, wenn wir ab und zu wieder einen Teil unseres Gehalts bekommen. Wir wertschätzen das auf einmal viel mehr, als noch vor ein paar Jahren, als wir dachten, unser Gehalt ist ein Recht und etwas Sicheres."

"Ich bin hier 18 bis 20 Stunden täglich und es gibt viel Arbeit"
Ein paar Straßen weiter: Im Gebäude der ehemaligen staatlichen Fernsehanstalt ERT bereitet Nikos Korovilas auf einer schwarzen Ledercouch seinen Schlafplatz vor. "Hier ist mein Bett", sagt er und zündet eine Zigarette an.

Karovilas ist Redakteur der griechischen Sportzeitung Protaflitis und einer der ehemaligen Angestellten der staatlichen Fernsehanstalt, die Anfang Juni mit einer umstrittenen Entscheidung der Regierung von einem Tag auf den anderen geschlossen wurde. Alle Angestellten wurden entlassen. Daraufhin besetzte ein Teil der Mitarbeiter das Gebäude und strahlt seitdem via Internet ein Protestprogramm aus. Karovilas macht mit. Seit vier Monaten schläft er fast jede Nacht an seinem ehemaligen Arbeitsplatz. Es geht um die Demokratie, sagt er entschlossen.

"Wir haben keine einzige Nachricht verpasst. Und es gibt übermäßigen Eifer. Ich bin hier 18 bis 20 Stunden täglich und es gibt viel Arbeit."

Korovilas öffnet sein Laptop und fängt an, einen Text für die morgige Ausgabe der Zeitung zu schreiben. Trotz der Entschädigung, die er von ERT bekommen hat, geht es ihm finanziell schlecht. Seit mehr als zehn Monaten wird er auch von der Sportzeitung nicht mehr bezahlt. Er schreibt jedoch weiter, sowohl für die Zeitung als auch für die täglichen Nachrichten im Protestprogramm von ERT.

"Viele von uns sind in dieser Situation gefangen. Es gibt ältere Kollegen in der Zeitung, die nicht entlassen werden können, weil die Summe der Entschädigung und der Gehälter, die ihnen der Arbeitgeber schuldet, sehr hoch ist. Die Letzten, die entlassen wurden, haben quasi ihre Entschädigung von uns bekommen. Das heißt, wir wurden nicht bezahlt, damit sie ihre Entschädigung kriegen."
Korovilas ist entschlossen, an beiden Fronten weiter zu kämpfen.

"Meiner Frau sage ich, sie solle sich vorstellen, es sei Krieg und ich gehe an die Front, und wenn ich freihabe, komme ich nach Hause. So ist es. Es geht nicht anders. Wenn es ein Kampf ist, dann ist dies ein Kampf."

Zurück im Krankenhaus bereitet sich Natasa Koutsouri auf ihren Feierabend vor. Ihr geht der alltägliche Kampf in der Krise, den auch hier die Angestellten führen, ganz schön an die Substanz. Ihr Mann ist ebenfalls Arzt. Er arbeitet in einem öffentlichen Krankenhaus und bekommt rechtzeitig seinen Lohn. "Nur deswegen kommt meine Familie über die Runden", sagt Koutsouri. Viele ihrer Kolleginnen und Kollegen aber haben mittlerweile genug.
"Um ehrlich zu sein, schaue ich manchmal die Arbeitsangebote in Ländern an, deren Sprache ich spreche. Falls etwas passiert, sind wir bereit, auszuwandern, damit wir überleben können. Und ich meine überleben nicht nur wirtschaftlich, sondern auch wissenschaftlich, weil wir als Ärzte nicht aufhören können, unseren Beruf auszuüben."
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