Ahmet Cavuldak, Oliver Hidalgo, Philipp W. Hildmann, Holger Zapf (Hg.): Demokratie und Islam
Springer Verlag Heidelberg und Berlin, Mai 2014
487 Seiten, 39,99 Euro, auch als ebook
Was nicht ist, kann noch werden
Taugt die Demokratie für islamische Kulturen? Ein Sammelwerk vorwiegend deutscher Wissenschaftler setzt sich damit auseinander. Eine Erkenntnis: Die aktuellen Problemen in arabischen Ländern sind kein Grund, den Glauben an Demokratie in der Region zu verlieren.
Taugt die Demokratie für islamische Kulturen? Ein Sammelwerk vorwiegend deutscher Wissenschaftler setzt sich damit auseinander.
Islamkritiker bemühen gerne ein Standardargument, um die angebliche prinzipielle Unverträglichkeit von Islam und Demokratie zu belegen. Bislang gebe es weltweit keinen einzigen muslimischen Staat, der eine wahre Demokratie sei, meinen sie. Doch das ist recht ein schwaches Argument. Was nicht existiert, kann sich schließlich entwickeln – auch Europa war nicht seit Anbeginn demokratisch.
Die allermeisten Aufsätze im Band "Demokratie und Islam" diskutieren die Frage glücklicherweise auf wesentlich höherem intellektuellem Niveau. Ausgangspunkt des Buches: Die Idee der Demokratie wird seit langem auch in der islamischen Welt akzeptiert. Eine konstruktive Zukunft von Demokratie und Islam sei sehr wohl möglich, schreiben die Herausgeber im Vorwort – ohne Probleme zu verschweigen.
"Die Gefahr, dass die demokratische Methode als Katalysator für einen islamistischen Gottesstaat missbraucht wird, ist tatsächlich nicht einfach von der Hand zu weisen. Auf der anderen Seite lässt sich die Frage nach einer eventuell möglichen Kompatibilität von Demokratie und Islam gar nicht erst stellen, wenn man von einem allzu westlich orientierten Demokratiebegriff ausgeht."
Vielmehr, so meinen die Herausgeber, müsse die Volksherrschaft in muslimischen Ländern "spezifische Signaturen" aufweisen, die ihrer Kultur und Geschichte entsprechen. Sie müssen also ihre eigene Form der Demokratie entwickeln.
"Und dass auf diesem schwierigen Weg Rückschläge, Widerstände konservativer Eliten und Instrumentalisierungsversuche verschiedener Couleur vorprogrammiert sind, ist durch die wechselvolle Geschichte der Demokratie in Europa auch im Westen wohlbekannt."
Der Verlauf des arabischen Aufstands ist also kein Grund, den Glauben an Demokratie in der Region zu verlieren. Und auch ein Blick in den Koran sollte niemanden entmutigen. Aus dem heiligen Buch der Muslime lasse sich nämlich weder im Positiven noch im Negativen irgendeine präzise Haltung zur Demokratie ableiten, schreibt der Bremer Professor Alexander Flores.
"Hartnäckig fortgeschlepptes Vorurteil"
Auch die häufig postulierte angebliche Unzertrennlichkeit von Religion und Politik im Islam hält er für ein "hartnäckig fortgeschlepptes Vorurteil". Schon in einer frühen Phase des Islam sei eine funktionelle Trennung der religiösen von der politischen Sphäre besiegelt worden. Zwar hätten manche Regierende in der Theorie an der Einheit von Religion und Politik festgehalten – doch mit dieser "Fiktion der Theokratie" hätten sich die Despoten lediglich Legitimation verleihen wollen, resümiert Flores:
"Religion und Politik waren (...) über weite Strecken der islamischen Geschichte keineswegs sehr eng miteinander verbunden; die islamischen Grundlagentexte enthalten wenige eindeutige politische Vorschriften. Dieser Umstand lässt den Muslimen große Freiheit zur Gestaltung ihrer politischen Verhältnisse. Wenn sie das wollen, können sie durchaus auch demokratische Regierungsformen einführen."
Vergleichsweise tolerant gegenüber Andersgläubigen
Warum tun sich muslimische Länder dann aber so schwer mit der Idee des Säkularismus? Manche Kritiker wie der bekannte amerikanische Historiker Bernard Lewis machen dafür wenn nicht den Koran, so doch die frühe islamische Lehre verantwortlich. Doch dagegen kommt in dem Sammelband scharfer Widerspruch von dem Politikwissenschaftler Nader Hashemi, Professor an der Universität Denver. Der Säkularismus, schreibt er, sei im Westen nicht zuletzt nach den verheerenden Religionskriegen entstanden – als Ausweg aus einer existenziellen Krise. Die islamische Welt habe ein vergleichbares Gemetzel nicht erlebt. Sie sei gegenüber Andersgläubigen toleranter gewesen als die vormodernen christlichen Staaten.
"Wegen dieser maßgeblich anderen historischen Erfahrung hinsichtlich religiöser Toleranz (...) bestand in muslimischen Gesellschaften niemals die Notwendigkeit, in derselben Art und Weise wie der Westen über Säkularismus nachzudenken. Es gab keine dringliche existenzielle Krise, in der ein Konzept wie Säkularismus als Ausweg aus einem politischen Dilemma postuliert werden konnte."
Die Idee des Säkularismus drang erst mit den europäischen Kolonialmächten in die muslimische Erfahrungswelt ein – und wurde von den lokalen Eliten übernommen. Der Säkularismus sei deshalb als eine fremde, von außen aufgedrängte Ideologie wahrgenommen worden, schreibt Hashemi:
"Der Säkularismus in Europa war überwiegend ein Prozess von unten nach oben, eng verbunden mit fortwährenden Debatten in der Zivilgesellschaft. In muslimischen Gesellschaften hingegen war der Säkularismus vor allem ein Prozess von oben nach unten, zunächst angetrieben von den Kolonialstaaten und den post-kolonialen Staaten. Im Ergebnis hat der Säkularismus in der muslimischen Welt unter schwachen intellektuellen Wurzeln gelitten. Er ist, mit wenigen Ausnahmen, niemals in den Mainstream der muslimischen Gesellschaften eingedrungen."
Vom Aufmeißeln alter Denkstrukturen
Eine schwere Erblast. Doch längst haben muslimische Intellektuelle angefangen, alteingesessene Denkstrukturen aufzumeißeln.
Maßgebliche Impulse kommen ausgerechnet aus dem Iran, der im Westen als der bösartige Gottesstaat schlechthin wahrgenommen wird. Doch der Iran hat herausragende Denker wie Mohammed Mojtahed Shabestari hervorgebracht. Der Theologe hat lange in Deutschland gelebt und deutsche Philosophen studiert. Für ihn seien Demokratie, Menschenrechte und Toleranz universelle Prinzipien, schreibt Stephan Kokew von der Universität Leipzig.
"Nur in einer Demokratie könne seiner Ansicht nach religiöse und politische Toleranz in Form von Respekt und Anerkennung verwirklicht werden. Wie Toleranz und Menschenrechte ist für Shabestari deshalb auch die Demokratie durchaus im Sinne des Islams, da sie eine zeitgemäße Form von Herrschaft darstelle, selbst wenn sie nicht in den islamischen Quellen formuliert worden ist oder eine Legitimation durch das Islamische Recht erfahren hat."
Shabestari, aber auch andere iranische Geistliche haben mit ihren Gedanken vor einigen Jahren maßgeblich zur Entstehung der Protestbewegung gegen das Regime in Teheran beigetragen. Die Geschichte von Islam und Demokratie – sie ist jedenfalls noch lange nicht zu Ende geschrieben.