Appetitverderber

Rezensiert von Silvia Liebrich |
Der frühere Greenpeace-Aktivist Thilo Bode will wachrütteln. In „Abgespeist“ deckt er die unheilvolle Verflechtung zwischen Lebensmittelindustrie, Politik, Lobbyverbänden und sogar den staatlichen Verbraucherschutzorganisationen auf.
Die Versorgung mit Nahrung, in früheren Zeiten ein harter Kampf ums Überleben, ist heute ein netter Shopping-Bummel durch das Schlaraffenland im Supermarkt. Es mangelt scheinbar an nichts. Oder lassen wir uns nur vom schönen Schein der Lebensmittelindustrie blenden? Werden wir Konsumenten nach Strich und Faden getäuscht und bewusst hinter das Licht geführt? Die sich häufenden Lebensmittelskandale sind zumindest ein Indikator dafür.

Doch die Nahrungsmittelproduzenten wiegeln ab: alles nur Einzelfälle, das Werk von wenigen schwarzen Schafen. Die Aufsichtsbehörden indes geben sich machtlos. Und wir, die Verbraucher, müssen schlucken, was uns vorgesetzt wird. Dass der Döner ungenießbar und die knackige Biokarotte vergiftet war, erfahren wir, wenn überhaupt, meist erst dann, wenn sie längst verspeist und sämtliche Beweise vernichtet sind. Wer die ungesunde Kost in Umlauf bringt, bleibt hingegen meist unbehelligt. Das stellt der Verbraucherschützer Thilo Bode in seinem Buch „Abgespeist“ fest.

„Der Lebensmittelmarkt ist ein Markt, auf dem es lukrativ ist, zu betrügen, zu täuschen und die Gesundheit der Verbraucher zu gefährden. Die Spielregeln eines funktionierenden Marktes sind hier außer Kraft gesetzt.“

„Abgespeist“ ist kein Rezeptbuch für den klügeren Einkauf. Thilo Bode will uns Verbraucher wachrütteln. Wir vertrauen beinahe blind darauf, dass die Produkte, die uns appetitlich präsentiert werden, auch das halten, was die Verpackung verspricht.

Bode, Volkswirt und Soziologe, deckt die unheilvolle Verflechtung zwischen Lebensmittelindustrie, Politik, Lobbyverbänden und sogar den staatlichen Verbraucherschutzorganisationen auf.

„Anders als in anderen Branchen wird der Fleischmarkt nicht von ehrenwerten Akteuren bestimmt, unter die sich ein paar Mafiosi gemischt haben. Vielmehr bringt die Struktur des europäischen Fleischmarktes selbst erst ein immenses Maß an Kriminalität hervor.“

In Europa wird ein schwunghafter Handel mit Tiermehl und Schlachtabfällen betrieben, ohne dass sich rekonstruieren lässt, wozu diese eigentlich verwendet werden. Ein unhaltbarer Zustand, findet der Foodwatch-Chef. Der Fleischhandel ist inzwischen ein Milliardengeschäft, bei dem es vor allem an einem fehlt: Transparenz. Wenn bei Kontrollen Gammelfleisch gefunden wird, erfahren wir nicht zwangsläufig den Namen der betroffenen Firma. Wir Konsumenten erhalten erst gar nicht die Möglichkeit, Betrüger mit einem Kaufboykott abzustrafen.

Selbst beim Mineralwasser werden wir systematisch hinters Licht geführt. Der ahnungslose Käufer vermag sich davor allerdings kaum zu schützen, denn offizielle Grenzwerte gibt es nicht und somit auch keine Kennzeichnungspflicht. Allein im Jahr 2005 stellten die Behörden bei einer Untersuchung fest, dass über 30 Mineralwassersorten in Deutschland überhöhte Uranwerte aufwiesen. Die Namen der Hersteller blieben jedoch unter Verschluss. Die offizielle Begründung: Die Veröffentlichung der Werte hätte zu erheblichen Umsatzeinbrüchen führen können. Im Klartext: Das Wohl des Herstellers steht über dem des Verbrauchers. Ihm fehlen die grundlegenden Informationen, um die richtige Kaufentscheidung zu treffen. Würde sich ein Autohersteller so etwas leisten, wäre er erledigt, schlussfolgert Bode. Keiner würde Fahrzeuge mit einem serienmäßigen Bremsdefekt kaufen.

Nach einer kritischen Analyse kommt Thilo Bode zum ernüchternden Schluss, dass die Konsumenten hierzulande bewusst im Unklaren gelassen werden, um die Interessen der mächtigen Industrie zu schützen. „Abgespeist“ ist keine leichte Kost, an manchen Stellen wirkt das Buch etwas langatmig. Mit der einen oder anderen These mag man vielleicht nicht ganz einverstanden sein. Und dennoch: Der frühere Greenpeace-Aktivist hat viele Fakten und Informationen so aufbereitet, dass daraus ein beängstigendes Gesamtbild entsteht. Bode gelingt das Kunststück, seine Leser am Ende nicht ratlos zurückzulassen. Er formuliert klare Ziele, wie etwa ein verbessertes Informationsgesetz für Verbraucher aussehen könnte. Er stellt klar, dass sich an den Missständen wenig ändern wird, wenn nicht wir, die Käufer und Konsumenten, endlich aufbegehren.


Thilo Bode: Abgespeist – Wie wir beim Essen betrogen werden und was wir dagegen tun können
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2007
Thilo Bode: Abgespeist
Thilo Bode: Abgespeist.© S. Fischer Verlag
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