Apokalypse statt optimistischer Technikutopie

Von Gerd Brendel · 01.06.2012
Der scheidende Berliner HAU-Intendant Matthias Lilienthal hat all die Künstler, Performer und Musiker, mit denen er so erfolgreich zusammengearbeitet hat, versammelt: "The world is not fair" auf dem Tempelhofer Feld ist eine Absage an den Leistungsschau-Gedanken üblicher Weltausstellungen.
"Wenn man sich die Geschichte der Weltausstellungen anschaut, dann ist das immer …"

"…an inspiring tribute to the achievments of our time."

Ein inspirierender Tribut an die Leistungen unserer Zeit.

Egal wann oder wo, ob in London 1951, Paris 1937, Osaka 1970 oder Hannover 2000.

"Die normale Weltausstellung zeigt eine bestimmte Sicht auf die Welt, das ist die politische Weltkarte, die Nationen stellen sich selber dar mal kritisch, mal wie ne bessere Tourismusmesse."

Dass Benjamin Förster-Baldenius vom Architekturkollektiv "Raumlabor" und das Berliner HAU trotzdem auf dem Tempelhofer Flugfeld ihre eigene "große Weltausstellung" eröffnen, ist einfach ein subversiver Akt des Trotzes:

"Damit niemand sonst auf die Idee kommt, eine Weltausstellung zu machen."

"The world is not fair" steht auf der Expo-Zeitung, eine Anspielung auf die englische Übersetzung von Weltausstellung. Die Welt, wie sich hier darstellt, hat nichts mit den Prestigebauten der großen World´s fairs gemein. Die Welt auf dem Tempelhofer Flugfeld ist eine Budenstadt. Die 15 "Pavillons" erinnern eher an Abenteuerspielplätze nach dem Atomschlag, als an Eiffelturm und Atomium .Man braucht gute Augen um die "Pavillons" hinter Wiesen und Grillplätzen zu entdecken und ein geländegängiges Fahrrad, um die Freiluft-Exponate auch zu erreichen.

Die Absage an den Leistungsschau-Gedanken üblicher Weltausstellungen ist nicht der einzige rote Faden der Ausstellung.

"Alle 15 Künstler , Künstlergruppen haben sich mit ner Thematik auseinandergesetzt, die über die Grenzen hinaus Bedeutung hat. Geld, Katastrophen, Krieg, Liebe, Tod."

Stichwort: "Katastrophen"

"Bei Katastrophen war natürlich ganz präsent die Katastrophe von Fukushima."

Der japanischen Regisseurs Toshiki Okada hat eine tatsächliche Atom-Ruine nachgebaut: Den zerborstenen Kraftwerksmeiler von Fukushima.

"Wir haben es geschafft, in das Innere einzudringen und 3-D-Bilder vom Inneren zu machen. Alles in 3-D, als ob sie live dabei wären","

begrüßt der Regisseur sein Publikum. Die Augen der Zuschauer werden zur 3-D-Kamera, die dem Regisseur und seinem Assistenten in das Innere der Holzruine. So wird die Performance zum Lehrstück über Realität und ihre Darstellung in den Medien.

Die Medien sind auch im unscheinbaren Bungalow am anderen Ende des Flugfelds Thema. Der libanesische Künstler Rabih Mroue´hat ein Handyvideo, aufgenommen während einer Demonstration in Syrien, in 72 Einzelbilder aufgelöst. Läuft man an den Bildtafeln schnell entlang, fügt sich die Bildfolge wieder zum Film zusammen.

Der Clip zeigt einen Scharfschützen, der auf den Betrachter zielt. Auf dem letzten erkennbaren Motiv steigt eine Rauchwolke aus dem Gewehrlauf, danach Himmel, verschwommene Umrisse einer Menschenmenge. Hat der Demonstrant seine eigene Ermordung dokumentiert? Auf der Rückseite der Bildtafeln hat Mroue´ Zitate aus einem Handbuch der syrischen Opposition und aus dem Dogma-Manifest von Lars von Trier abgedruckt:

""Filmt prägnante Orte. Alles was hilft den Protest zu lokalisieren . Töten darf gefilmt werden, das gleiche gilt für die Waffe des Täters."

"Nennt am besten keine Regisseure."

Die Welt auf dem Tempelhofer Flugfeld ist ein Totenhaus, auf dieser Bühne findet keine optimistische Technikutopie statt, sondern die Apokalypse.

Die hat sich das Künstler-Kollektiv "Machina Ex" zum Thema gewählt, als Spiel aus Zahlen und Buchstaben.

Im ehemaligen Hundezwinger der Flughafen-Sicherheit hat sich der abtrünnige Engel Metatron eingerichtet, behauptet das Künstler-Kollektiv. Eigentlich soll er den Menschen den Weltuntergang verkünden, aber er weigert sich. Das Zahlenrätsel, dass die Besucher lösen sollen, ist die Antwort. Aber worauf? Auf die Frage, wer am Ende recht behält, Gott oder der Engel?

Draußen geht die Sonne hinter Wolken unter. Mit einem Mal ist die Welt auf dem Rollfeld so still und friedlich wie eine Postkartenidylle. Im Hundehaus hat der Engel einen Brief liegen gelassen:

"Lieber Gott, es tut mir leid, dass Du so lange nichts mehr von mir gehört hast, Du hattest unrecht, die Welt muss weiter bestehen, ich kann den Menschen nicht sagen, dass Du aufgegeben hast."

Service:
"The world is not fair - Die große Weltausstellung 2012" findet vom 1. bis 24.6.2012 auf dem Tempelhofer Feld in Berlin statt.
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