"Ape Culture" im Haus der Kulturen der Welt

Der Affe als Mensch

Zwei Rhesusaffen (Macaca mulatta) mit ihren Jungen sitzen auf einer Mauer, wobei sich das eine Tier der Fellpflege des anderen widmet, aufgenommen am 24.09.2007 in Kathmandu, der Hauptstadt von Nepal. Im Hinduismus, der Hauptreligion in Nepal, wird der Rhesusaffe als heiliges Tier verehrt.
Große Nähe zu menschlichen Wesensmerkmalen: Zwei Rhesusaffen mit Nachwuchs und jeder Menge Sozialkompetenz © picture alliance / dpa / Jan Woitas
Von Christiane Habermalz · 29.04.2015
In Berlin zeigt eine Ausstellung, wie nah Affen uns sind. Affengruppen, davon gehen Forscher inzwischen aus, entwickeln eigene Traditionen, die von Generation zu Generation weitergegeben werden – so entsteht Kultur.
Können Sie auf zwei Beinen laufen?
Fühlen Sie Mitleid?
Strecken Sie die geöffnete Hand aus, wenn Sie betteln?
Machen Sie ihr Bett?
Wenn Sie diese Fragen mit Ja beantworten, dann sind Sie wahrscheinlich ein Mensch. Aber nicht unbedingt. Vielleicht sind Sie auch ein Menschenaffe.
Werden Sie manchmal wütend? Zweifellos.
Schmieden Sie Allianzen, um sich Vorteile zu verschaffen? Sicher.
Bewundern Sie den Sonnenuntergang? Oh ja.
Haben Sie Sex mit Angehörigen ihrer Familie? Hm.
Affe und Mensch sind sich näher, als wir glauben. Ein ganzes Bataillon von gemeinsamen Eigenschaften beider Primatenarten hat der britische Künstler Markus Coats in Frageform an die Wand geschrieben – eine gemeinsame Arbeit mit dem Primatologen Volker Sommer. Vieles davon wähnten wir lange als exklusive Wesensmerkmale des Menschseins.
"Alle die Reduktionen einer objektivistischen Wissenschaft befinden sich ja schon länger in der Krise. Und damit einher ging eigentlich in der Forschung zu den Menschenaffen speziell, dass eine Sonderstellung des Menschen nach der anderen, eine Bastion nach der anderen zum Fallen gebracht wurde."
Ist der Affe gefangen in seinen niederen, triebhaften Begierden?
Anselm Franke ist Kurator der Ausstellung "Ape Culture - Kultur der Affen" im Haus der Kulturen der Welt. Ape Culture, sagt Franke, ist dabei durchaus ambivalent gemeint. Auf der einen Seite steht das Affenmotiv in der Kunst: Affen galten lange als Ikone des Sittenverfalls, als Zerrspiegel des Menschen, gefangen in seinen niederen, triebhaften Begierden oder als Gesellschaftskritik im Kafka'schen Sinne.
"Diesem Bereich, der menschlichen Kultur des Affenmotivs als Spiegel, stellen wir jetzt noch einmal gegenüber einen anderen Begriff von Ape Culture, von Kultur der Affen, nämlich der, der sich seit vier, fünf Jahrzehnten in der Wissenschaft durchzusetzen beginnt, nämlich dass nichtmenschliche Primatengesellschaften Kulturgesellschaften sind, zumindest einer bestimmten Minimaldefinition von Kultur folgend."
Anruf bei Christophe Boesch, Primatenforscher am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig. Er und sein Team haben die Ausstellung mit konzipiert. Sind Affen kulturelle Wesen, Herrr Boesch?
"Man hat uns immer gelernt, dass Kultur eigentlich eine Eigenschaft der Menschen ist, und nur der Menschen, und da ist es sehr aufregend zu sehen, dass einiges von was wir verstehen unter dem Aspekt Kultur beim Menschen auch bei Schimpansen zu finden ist."
Affengruppen entwickeln eigene Traditionen: Das ist Kultur
Affengruppen, davon gehen Primatologen heute aus, entwickeln ganz eigene Traditionen, die nicht vererbt, sondern von Generation zu Generation weitergegeben werden – eine Grunddefinition für Kultur. Boesch hat noch etwas anderes im Urwald beobachtet: Schimpansenmännchen mancher Gruppen suchen zum Beispiel bestimmte große, hohle Bäume auf und bewerfen sie mit Steinen. Imponiergehabe, akustische Revierabgrenzung: Klar. Oder doch ein kultischer Akt? Was, wenn diese speziellen Bäume für die Affenclans eine Bedeutung haben? Boesch:
"Haha. Da kommen Sie in eine Frage, wo wir als Beobachter oft Fragezeichen haben. Tendenziell würde man solche Gedankenprozesse nicht den Tieren geben. Aber ich habe in meiner Karriere gelernt, dass man oft die Tiere unterschätzt, und oft sieht man, da wird mehr gedacht, als man oft am Anfang gedacht hat. Ich kann die Frage nicht beantworten, aber auszuschließen ist das nicht."
Die Ausstellung weitet den Blick von Mensch zu Affe und zurück. Documenta-Künstler Pierre Huygue zeigt einen Film aus Fukushima, in dem ein abgerichteter Affe mit der Maske einer jungen Frau vor dem Gesicht in einem Restaurant bedient – warum verstören die Bilder?
In "Shape of the Ape" variiert Klaus Weber die wohl meistkopierte Figur des 19. Jahrhunderts, des deutschen Bildhauers Hugo Reinhold: Ein Schimpanse, der auf einem Stapel Bücher sitzt und nachdenklich einen Menschenschädel in der Hand hält. Nachbildungen dieser Figur standen früher in vielen Haushalten, sogar Hitler soll eine besessen haben. Bei Weber fällt diese Figur postapokalyptisch auseinander, der Affenkopf liegt neben dem Menschenschädel auf dem Boden. Zerfall von Gewissheiten unter Primaten.
Der Affe war schon immer Projektionsfläche für den Menschen
Schon immer diente der Affe dem Menschen in Kunst und Wissenschaft als Projektionsfläche, in der idealistischen Überhöhung als "edler Wilder" im Rousseauschen Sinne, oder um der Frage nachzugehen: Warum sind wir soziale Wesen? In Verhaltensstudien sollten Gesellschaftstheorien des Menschen bewiesen werden. Matriarchat oder männlich dominierte Gewaltherrschaft? Für beides fanden sich ausreichend Belege in Affengesellschaften. Anselm Franke:
"Das spitzt sich in der Primatologie und der Evolututionsforschung in den 60er/70er Jahren zu. Wo wir solche Titel haben wie "Man the hunter" – die These, der Mensch ist das Produkt einer erfolgreichen Gewaltstrategie. Dagegen steht ein Modell von Symbiose und Kooperation, der sozialen Beziehungen, für die Mutter-Kind-Beziehungen ganz wesentlich sind.
Die große Leistung der Ausstellung liegt darin, dass sie den Besucher nicht entlässt aus seinem Affenstatus. Lange hat der Primat Mensch gebraucht, bis er bemerkt hat, dass er selber, als Forscher, sich nicht aus dem Gefüge herausnehmen kann, sondern von Anfang an Teil der Gruppe ist.
Wer beobachtet wen im Zoo, im Labor, in der Kunst?
Wer beobachtet wen im Zoo, im Labor des Verhaltensforschers, in der Kunst? Die Videokünstlerin Coco Fusco lässt in ihrer Performance die legendäre Schimpansin Dr. Zira aus dem Film "Planet der Affen" in die Öffentlichkeit zurückkehren. Nach 20 Jahren abgeschiedener Forschungsarbeit erläutert sie im Fernsehen ihre Erkenntnisse über die Charakteristika menschlicher Aggression im 21. Jahrhundert. Kein Zweifel: Da ist noch viel an Primatenforschung zu leisten.
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