Antje Joel: "Prügel"

Liebesschwüre und Gewalt

06:27 Minuten
Cover des Buches Antje Joel: „Prügel – Eine ganz gewöhnliche Geschichte häuslicher Gewalt“ vor einem Aquarellhintergrund.
Antje Joel: „Prügel – Eine ganz gewöhnliche Geschichte häuslicher Gewalt“ © Rowohlt / Deutschlandradio
Von Susanne Billig  · 04.02.2020
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Schonungslos seziert die Journalistin Antje Joel die Geschichte ihrer beiden gewalttätigen Ehen und klärt mit einer Fülle gut recherchierter Informationen über ein großes Tabu unserer Gesellschaft auf.
Er prügelte auf sie ein, bis das Blut spritzte, und trat mit den Füßen nach ihr, noch als sie schwanger war. Mehrfach floh sie ins Frauenhaus und kehrte doch immer wieder zu ihm zurück. Er trennte sich schließlich von ihr. Sie flehte ihn auf Knien an zu bleiben. In ihrem neuen Buch "Prügel" seziert die Journalistin Antje Joel schonungslos die Geschichte ihrer beiden gewalttätigen Ehen – eine Geschichte, wie sie Millionen von Frauen kennen. Bei der Autorin stand am Anfang ein aggressives Flirten des Mannes, gefolgt von einer romantischen Honeymoon-Phase. Dann kamen, unterbrochen von trügerischen Phasen der Normalität, Beleidigung, Beschämung, Prügel aus nichtigem Anlass.

Bei wem liegt die Schuld?

Unwillkürlich ertappt man sich beim Lesen dabei, einen Teil des Ursachengeflechtes doch bei der Frau zu suchen: Gehören nicht immer zwei dazu, wenn die Stimmung zwischen zwei Menschen in eine so entsetzliche Schieflage gerät? Ist Antje Joel nicht auch viel zu jung in die Ehe geschlittert? Mit gerade einmal 17 Jahren sank sie einem in ihrer Kleinstadt gefeierten, blendend aussehenden und sehr viel älteren Fußballspieler aus England in die Arme.
Haben die rohen Umgangsformen von Mutter und Stiefvater sie nicht schon früh daran gewöhnt, häusliche Gewalt zu tolerieren, anstatt vernünftig für sich einzustehen und mit ihren Kindern das Weite zu suchen? Doch es sind genau solche Fühl- und Denkmuster, die der Gewalt gegen Frauen Vorschub leisten. Kompromisslos stellt Joel klar, dass es die Täter sind, die sich ändern müssen, und reichert ihr Buch mit einer Fülle gut recherchierter Informationen aus Psychologie, Sozial- und Kriminalwissenschaften an.

Jede Frau kann Opfer werden

Die Forschung weiß: Frauen aller sozialen Schichten, Ausbildungsgrade, Persönlichkeiten und Altersstufen können Opfer häuslicher Gewalt werden. Muster sind bei den Tätern zu finden, die sich darauf verstehen, ihre Partnerinnen in ein System emotionaler Abhängigkeit zu verstricken. Das zeigt ein ganzes Kapitel über frühe Warnhinweise auf die Entwicklung einer Beziehung hin zur Gewalttätigkeit – dazu gehören eine zu schnelle und zu enge Bindung, ein hohes Level an Kontrolle und Eifersucht, verbale Respektlosigkeiten, Grausamkeiten gegen Kinder und Tiere oder auch Machtdemonstrationen in Streitigkeiten.

Doppelgesichtiges System der Gewalt

Besonders tückisch ist das emotionale Pingpong, das Täter mit ihren Opfern spielen. Eben darum kann es Jahrzehnte dauern, bis eine Frau begreift, dass auch der Charme ihres Peinigers untrennbar zum System seiner Gewalt gehört. Auch in den Ehen von Antje Joel gab es Liebe und Freundlichkeit – reichlich. Geschenke, Liebesschwüre, Entschuldigungen, Beteuerungen, Abschwören, leidenschaftlichen Versöhnungssex.
Inzwischen hat sich die Autorin aus solchen Beziehungsmustern befreit, in ihrem Fall bedeutet das, seit 17 Jahren als Single zu leben. Diese Zeit hat sie gebraucht, um ihre lange Leidensgeschichte, die eines der letzten großen Tabus in unserer Gesellschaft berührt, innerlich zu durchdringen und in dieses mutige, harte, aufklärende und für Betroffene hilfreiche Buch zu gießen.

Ein Gespräch mit der Autorin Antje Joel hören Sie hier: Audio Player

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