Antisemitismus im Fussball

Klischees in der Kurve

"Fußballfans gegen Antisemitismus" in Bremen
Bremer Ultras wollen mit Bildungsveranstaltungen gegen Antisemitismus sensibilisieren. © Foto: Verein "Fußballfans gegen Antisemitismus"
Von Ronny Blaschke · 18.01.2015
Die Judenfeindschaft ist wohl die älteste Form der Diskriminierung im Fußball. Schmähungen, die früher in den Stadien zu hören waren, werden nun auf Anreisewegen, in Bahnhöfen oder Kneipen intoniert. Viele Anhänger verstehen den Begriff "Jude" als ultimative Ablehnung und Provokation ihres Gegners.
Juden in Europa hatten 2014 einen Sommer voller Sorgen. Immer wieder wurden sie pauschal für die israelische Intervention im Gaza-Streifen verantwortlich gemacht. Auf mehreren Demonstrationen, wie hier in Berlin, vermischte sich die politische Kritik an Israel mit antisemitischer Hetze, wie es sie in Deutschland seit Jahrzehnten nicht gegeben hatte.
Die Anfeindungen erreichten den Fußball. Im Juli 2014 stürmten 20 zumeist türkischstämmige Jugendliche ein Testspiel von Maccabi Haifa gegen den OSC Lille in der Nähe von Salzburg. Wie Karate-Kämpfer traten sie auf die israelischen Spieler ein, das Spiel wurde abgebrochen.
Die Mannschaft von Maccabi Netanya - Borussia Mönchengladbach am 25.07.2014
Die Mannschaft von Maccabi Netanya gegen Borussia Mönchengladbach am 25.07.2014© picture alliance / dpa / Revierfoto
In derselben Woche bestritt Maccabi Netanya ein Freundschaftsspiel gegen ein Nachwuchsteam in Dortmund. Unter den 300 Zuschauern waren 14 Neonazis. Sie zeigten zwei Palästinenserflaggen und eine Fahne des Deutschen Kaiserreichs. Ihre Parolen: "Nie wieder Israel" und "Juden raus aus Palästina". Die Partei "Die Rechte" dokumentierte den Auftritt in einem Video auf Youtube.
Tage später trafen Hannover 96 und Lazio Rom in einem Testspiel aufeinander. Dreißig Anhänger des Fan-Freundeskreises "Legion Germania" skandierten: "Eine Bombe auf Israel". Es sind Beispiele für eine neue Variante der Judenfeindschaft im Fußball, sagt Gerd Dembowski. Eine Judenfeindschaft, die als brachiale Kritik an Israel getarnt sei. Der Sozialwissenschaftler Dembowski erforscht seit mehr als zwei Jahrzehnten die Fankultur, seit kurzem ist er für den Weltfußballverband Fifa tätig:
"Wir haben immer wieder diese Phänomene gehabt, dass Antisemitismus eine Rolle spielt. Interessanterweise meistens immer in der Form, dass Juden ja im Stadion als nicht solche sichtbar sind. Natürlich sind welche vorhanden wahrscheinlich. Aber es ist eher ein Stellvertreterkrieg. Und man sieht, dass in den Köpfen der Leute diese Punkte vorhanden sind. Dass es eine Möglichkeit ist, weiterhin Leute abzuwerten. In solchen aufgeladenen Zeiten ist dann die Gefahr noch größer. Menschen brauchen es scheinbar, immer zu unterscheiden: zwischen Wir und die Anderen."
Zu beobachten ist Antisemitismus im Fußball seit Anfang der 80er-Jahre: Im Umfeld von Hertha BSC gründeten rechte Anhänger den Fanklub Zyklon B, in Anlehnung an das Massenvernichtungsgas der Nazis. Fans besangen vielerorts den Bau einer U-Bahn aus ihrer Stadt bis nach Auschwitz. 1996 spielte die deutsche Nationalmannschaft in Zabrze gegen Polen, 50 Kilometer von Auschwitz entfernt.
Neonazis entrollten ein Transparent: "Schindler-Juden – wir grüßen euch!" Sie riefen: "Wir sind in Polen, um die Juden zu versohlen." Es handelte sich hierbei um den klassischen offenen Antisemitismus. 2005 zeigten Cottbuser Fans in Dresden ein Banner mit der Aufschrift "Juden", verbunden mit dem Davidstern, der das Logo des Gegners Dynamo umrahmte. Mit dabei: Hunderte junge Mitläufer, die sich wohl nie als rechtsextrem bezeichnen würden. Die aber den Begriff "Juden" als Provokation und Kränkung ihres Gegners verstehen.
Gerd Dembowski: "Jude wird als Schimpfwort gebraucht, weil der gesamte historische Ballast der Geschichte da drauf liegt, also der Geschichte der Juden in Deutschland. Jetzt fragt man sich natürlich, wieso ein junger Mensch das alles weiß. Das weiß er natürlich nicht. Er weiß nur das, was er in der Sozialisation mitkriegt, von seinen Eltern mitkriegt, in der Bildung mitkriegt, auch durch die Nachrichten mitkriegt. Der Kopf baut daraus ein eigenes Puzzle zusammen. Und deswegen taugt es scheinbar immer noch als Abwertung: Jude als etwas, das nicht gewollt ist, was kein Territorium haben darf. Zum Teil wird ja auch der Schiedsrichter ein bisschen in dieses Stigma hineingedrückt. Der gehört nicht zur einen Mannschaft, der gehört nicht zur anderen Mannschaft. Was will der da überhaupt, der will uns nur sagen, was wir zu tun haben."
"Beschimpfungskultur" wird in die Gesellschaft getragen
Dieses Überlegenheitsdenken behalten Fans in ihrer Familie oder am Arbeitsplatz in der Regel für sich. Im emotionalen und anonymen Fußball-Umfeld lassen sie ihre Ressentiments schneller heraus: In den 80er- und 90er-Jahren meist in den Stadien – seit der Jahrtausendwende verstärkt außerhalb der Stadien. Auf Anreisewegen, in Kneipen, an Trainingsplätzen. Also fernab von Kameras, Polizei, Fanbetreuern. Der Hamburger Sport- und Politikwissenschaftler Florian Schubert hat seit 2008 hunderte Medienberichte ausgewertet und dutzende Interviews geführt. In diesem Jahr möchte er seine Dissertation über Antisemitismus im Fußball vorlegen:
"Man könnte mutmaßen, dass es bis in die 80er- und 90er-Jahren noch ein viel stärkeres Tabu in der Gesellschaft gegeben hat, über Juden zu sprechen. Es kann sein, dass es im Fußball einen Freiraum gab, wo es dieses angenommene gesellschaftliche Tabu, über Juden nicht reden zu dürfen, im Fußball einen Raum hatte. Es gibt inzwischen viel, viel mehr Jugendliche, die sich stark für Fußball interessieren. Und wenn die ins Stadion gehen, dann kriegen sie Gesänge mit. Und wenn sie da antisemitische Gesänge mitkriegen, auch wenn sie die überhaupt nicht einordnen können, ist es nahe liegend, dass sie das, was sie dort lernen, als Beschimpfungskultur auch in ihren Schulalltag zurücktragen – in die Gesellschaft zurücktragen."
Februar 2012: In Kaiserslautern wurde der israelische Nationalspieler Itay Shechter beim Auslaufen als "Drecksjude" beschimpft. Sein Team hatte 13 Spiele nicht gewonnen. Der Südwestrundfunk war mit einem Kamerateam vor Ort und machte die Beschimpfungen öffentlich, Augenzeugen aus der Fanszene hielten sich bedeckt. Ob antisemitische Gesänge gegrölt, gesummt oder nur gehört werden: Sie können die Wahrnehmung von Jugendlichen bestärken, wonach jüdische Menschen weniger wert seien als nichtjüdische.
Wochen später veröffentliche die Bremer Hooliganband Kategorie C ein Lied in Erinnerung an Fritz Walter. Der Weltmeister von 1954 spielte mehr als 30 Jahre für Kaiserlautern. Walter war meist Mittelfeldspieler, doch das Lied heißt „Der Stürmer". Den gleichen Titel trug eine antisemitische Wochenzeitung im Dritten Reich. Der Liedtext von Kategorie C ist frei von judenfeindlichen Aussagen, dennoch entstand unter Fans eine Debatte, mit Blick auf Itay Shechter und kruden Argumenten.
Kategorie C trat auch im Oktober in Köln auf, bei der gewaltsamen Demonstration von "Hogesa", von "Hooligans gegen Salafisten". Ebenfalls im Blickpunkt: "Pegida", "Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes". In beiden Bewegungen, die sich zum Teil überschneiden, fallen rassistische Parolen. Doch antisemitische Anspielungen werden vermieden, sagt der Rechtsextremismus-Experte Olaf Sundermeyer. Es gibt Ausnahmen. In Köln wurde eine Frau mit einem schwarzen T-Shirt von Journalisten gefilmt, darauf stand geschrieben: "Auschwitz University".
Sundermeyer hat beobachtet, dass bei den Pegida-Märschen in Dresden rund 300 Fans von Dynamo auftreten, viele von ihnen seien rechte Hooligans. Und auch im Westen sind Hooligans in dieser Mischszene aktiv. Auch Mitglieder der Partei Die Rechte, die im November 2014 im Dortmunder Stadtrat Politiker anderer Parteien schockierten. Sie wollten in Dortmund Menschen jüdischen Glaubens zählen lassen, um „einen angemessenen Umgang mit allen Religionen zu finden".
Florian Schubert hat im Fußball die versteckten Andeutungen analysiert:
"Die gesamte Wahrnehmung ist, es gibt weniger Vorfälle, also kann man das jetzt auch mal weniger thematisieren. Und ist es wichtig, dass es dort viele Vorfälle gibt von einem kleinen Teil an Leuten. Oder ist nicht diese angenommene Normalität schlimm, dass sich niemand darum schert? Die Frage ist: Müssen antisemitische Gesänge dauernd wiederholt werden, damit sie präsent sind? Ich habe bisher keinen Fußballfan getroffen, den ich interviewt habe oder den ich in privaten Gesprächen gefragt habe, der nicht den Gesang 'Wir bauen eine U-Bahn von dort bis nach Auschwitz' kennt. Und ganz, ganz viele kennen auch Gesänge von Jude, Jude Verein xy. Das ist bewusst, es ist ein Wissen darüber da, das es das gibt."
BFC und TeBe galten als "Judenclubs"
Im November 2014 veröffentlichte die Friedrich-Ebert-Stiftung ihre aktuelle Studie zu rechtsextremen Einstellungen. Aus ihr geht hervor, dass der Antisemitismus während des israelischen Gaza-Einsatzes deutlich anstieg: Im September 2014 glaubten mehr als 15 Prozent der Befragten, dass Juden in Deutschland zu viel Einfluss hätten. Dieser sogenannte strukturelle Antisemitismus richtet sich nicht ausdrücklich gegen Juden, greift aber Jahrhunderte alte Klischees auf. Über Machtstreben, Gier, Hinterhältigkeit. Es sind Klischees, die auch im Fußball gespiegelt werden. Das berichtet Martin Endemann, einer der Sprecher des Bündnisses aktiver Fußballfans, kurz Baff. Endemann hatte im Jahr 2000 hunderte Stasi-Akten gelesen, zur Recherche für eine neue Wander-Ausstellung mit dem Titel "Tatort Stadion". In der DDR hatten Fans aus Zwickau oder Magdeburg den finanziell besser gestellten Stasi-Klub BFC Dynamo als "Juden Berlin" bezeichnet, ihre Teams sahen sie in der Rolle des Außenseiters. Diese Abwertungsmuster leben bis heute fort.
Der Politologe Martin Endemann hat das als Anhänger von Tennis Borussia Berlin zu spüren bekommen:
"Ich bin dann zu TeBe gekommen in der Saison 1997/98. Damals war Investor Göttinger Gruppe eingestiegen und hat sich da eine Mannschaft zusammengekauft, eine sehr gute Mannschaft. Der klar beste Verein – der Verein, der am meisten Geld ausgeben konnte. Da gab es natürlich diesen strukturellen Antisemitismus. Ein Verein, mit einer jüdischen Tradition, und ist gegründet worden von einer Gruppe jüdischer Studenten. Ein Verein, der nach dem zweiten Weltkrieg lange einen jüdischen Vereinspräsidenten hatte: Hans Rosenthal, den Fernsehmoderator. Damals haben viele ausländische Spieler bei TeBe gespielt. Da kam so ein Feindbild zusammen. Ausländer, Juden – Juden auch gleich viel Geld. Das wurde alles in einen Topf geworfen. Und da haben wir bei damaligen Auswärtsfahrten extrem viel rassistische und antisemitische Beschimpfungen von gegnerischen Fans gehört."
Die Forscher sind sich einig: Der strukturelle Antisemitismus ist im Fußball schwer zu erkennen. Eine genaue Analyse ist wichtig, um Gegenmaßnahmen einzuleiten. Auf Videoportalen wie Youtube sind zahlreiche antisemitische Vorfälle dokumentiert. Oft aufgezeichnet durch Handy-Kameras.
September 2011: Während eines Pokalspiels schmetterten hunderte Fans des Zweitliga-Klubs Dynamo Dresden ihrem favorisierten Gegner entgegen: „Jude, Jude, Jude – Eintracht Frankfurt." Die Dresdener, die 2005 von Cottbusern als Juden bezeichnet wurden, bezeichneten nun eine andere Gruppe als Juden. Zwei Jahre später stand Frankfurt wieder im Blickpunkt, allerdings deren zweite Mannschaft. Anhänger des Rivalen Kickers Offenbach skandierten im Derby gegen den finanziell gesünderen Nachbarn: "Zyklon B für die SGE". SGE steht für Sportgemeinschaft Eintracht.
"Rattenball" erinnert an Nazi-Propaganda
Es geht auch subtil. Tausende Fans protestierten zuletzt gegen den aufstrebenden Zweitligisten Rasenballsport Leipzig, der von einem österreichischen Milliardenunternehmen getragen wird. Neonazis aus Sachsen griffen antisemitische Stereotype auf – und hetzten gegen den „Rattenball". Die Leipziger Internet-Zeitung, die LIZ, hat beobachtet, dass dieser Schmähname in den Mehrheitsgeschmack eingesickert ist. Auf Facebook kursiert ein abgewandeltes Wappen von RB Leipzig: Anstelle von zwei Bullen balancieren rote Ratten mit ihren Schnauzen eine Euromünze. Die meisten Fans, denen "Rattenball" über die Lippen kommt, würden den Verdacht des Antisemitismus wohl sofort zurückweisen. Aus Unwissenheit oder Gleichgültigkeit. Das vermutet der Sportwissenschaftler Florian Schubert. Trotzdem könnten sich jüdische Stadionbesucher beim Hören von Rattenball-Rufen an Nazi-Propaganda erinnert fühlen.
Florian Schubert: "Wichtig ist, in diesen antisemitischen Vorfällen zu differenzieren. Wer was sagt, in welcher Situation? Wenn wie bei Dynamo Dresden gegen Eintracht Frankfurt beim DFB-Pokalspiel, wenn dort hunderte Fans ‚Jude, Jude Eintracht Frankfurt' rufen, dann kommt man damit nicht weiter, wenn man allen unterstellt, ein gefestigtes antisemitisches Weltbild zu haben. Aber es werden welche darunter sein, die das machen, die das vielleicht auch forcieren und anfangen. Das sind dann oft Fans, die aus rechtsoffenen, neonazistischen Fangruppen kommen. Und die, die mit rufen, muss man danach fragen, warum sie das mit rufen, was sie da auch bei sich abrufen. Aus welchen Gründen die auch immer versuchen, das zu entschuldigen. ‚Aus Tradition' oder ‚Ich war betrunken'. Wenn man jetzt anfängt, denen zu sagen: aber du hast doch ein antisemitisches Weltbild, dann wird man dort vor eine Mauer laufen."
Florian Schubert untersucht in seiner Dissertation auch den sekundären Antisemitismus, also die Verharmlosung des Nationalsozialismus. Fast 30 Prozent der Befragten stimmten in einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung im September 2014 folgender Aussage zu: "Ich ärgere mich darüber, dass den Deutschen auch heute noch die Verbrechen an den Juden vorgehalten werden." Auch für diese Ausformung gibt es im Fußball Beispiele: So verteilte die NPD Anfang des Jahrtausends Flugblätter vor dem Berliner Olympiastadion. Darauf stand geschrieben: "Stadionbau statt Mahnmal". Als Zeichen gegen den Bau des Holocaust-Mahnmals am Brandenburger Tor. Zur WM 2006, an der auch das iranische Nationalteam teilnahm, fand die rechtsextreme Partei freundliche Worte für den damaligen Präsidenten des Iran: Mahmud Ahmadinedschad hatte den Holocaust in Frage gestellt und Israel das Existenzrecht abgesprochen.
Makkabi Deutschland erlebt Feindschaft von Muslimen
Offen, unterschwellig, versteckt? Im Amateurfußball erleben die Spieler von Makkabi regelmäßig Antisemitismus. Rund 4000 Mitglieder zählt die jüdische Sportbewegung in ihren 37 deutschen Ortsvereinen. Sie haben einen wichtigen Beitrag geleistet bei der Integration von jüdischen Einwanderern aus Osteuropa. Alon Meyer ist Präsident von Makkabi Deutschland, er leitet auch den größten der Ortsvereine, den in Frankfurt. Meyer sagt, dass der Antisemitismus sich in den vergangenen sechs, sieben Jahren verändert habe. Feindseligkeit käme seltener von Rechtsextremen, sondern zunehmend von muslimischen Gegnern und Zuschauern. Alon Meyer berichtet von einem Jugendspiel, das Makkabi kurz vor Schluss für sich entschieden hatte. Die Gegner fühlten sich provoziert:
"Auf dem Weg zur Kabine ist es dann sehr, sehr heiß gelaufen. Ich habe zum Glück mein Handy mit Videokamera schon gehabt. Ich habe das Ding auch aufgenommen und gefilmt. Die ganzen Vorkommnisse, die ganze Schlägerei, wie die da drauf gekommen sind. Ich habe es dann geschafft, die Leute noch in die Kabine zu bringen, ich war selber dabei. Und dann wurde draußen skandiert. Soweit skandiert, dass ich gesagt habe: Ich kann die Sicherheit meiner Sportler auf dem Weg jetzt nach Hause nicht mehr garantieren und werde jetzt die Polizei rufen. Und wir warten, bis die Polizei kommt und erst dann werden wir hier rausgehen, aus der Kabine. Und werden nach Hause dann, entweder begleitet oder fahren unter Polizeischutz nach Hause."
Der Vater von Alon Meyer war 1933 nach Palästina ausgewandert. Als deutscher Jude wurde er im neuen Staat Israel kritisch beurteilt. Und so ging er 1958 nach Frankfurt. Dort hat er nie über den Holocaust gesprochen, auch nicht über den Antisemitismus in den 60er-Jahren. Der 40-jährige Alon Meyer möchte mit Hilfe von Makkabi für gesellschaftliche Vielfalt werben. Dabei stößt er auf Widerstände:
"Das passiert auch bei Funktionären, und vor allem Beamten, bei Gesprächen mit der Stadt, mit der Bank. Wenn wir dann im Prinzip jetzt sprechen über einen neuen Sportplatz, den wir vielleicht irgendwie kriegen, wo ein ganz kleines Licht sich im Dunkeln geöffnet hat. Wenn Sie dann mit den Stadtverantwortlichen reden, dann werden Ihnen Plätze angeboten, die ungebaut sind, wo ein Acker drauf ist. Wo man dann sagt: Hört mal zu, Ihr habt doch das Geld, Ihr habt doch die entsprechenden Möglichkeiten. Für euch wäre es doch ein Leichtes, wenn wir euch die Fläche geben, da was hinzubauen. Und da merkt man dieses Unterschwellige: die Juden haben doch Geld, für euch ist es doch einfacher als für andere Vereine. Das kriegen wir immer wieder mit. Aber auch Spieler, wenn Sie zu uns kommen: Wenn sie über Wechselprämien, über eine Ausstattung reden, dann erwarten die einfach sehr oft mehr als, glaube ich, als sie bei anderen Vereinen erwarten."
Makkabi ist offen für alle Gruppen: Juden kicken gemeinsam mit Christen, Muslimen und Atheisten. Wenn sich im Nahen Osten der Konflikt zwischen Israel und Palästina verschärft, dann eskalieren mitunter auch Amateurspiele in Deutschland. Im März 2012 spielte Makkabi Berlin beim BSV Hürtürkel in Neukölln, Spieler und Funktionäre des Gastgebers riefen: "Ihr stinkenden Juden".
Claudio Offenberg ist Sportlicher Leiter von Makkabi Berlin:
"Wir haben ja türkische Spieler, die meist muslimischen Glaubens sind. Die wurden dann von türkischen Spielern muslimischen Glaubens der anderen Seite angefeindet. Mit Ausdrücken wie: Ihr solltet euch ja schämen, bei den Saujuden zu spielen. Und du bist selber ein Saujude und so weiter."
Claudio Offenberg erlebt selten Solidarität: Türkiyemspor, der bekannteste Migrantenklub Deutschlands, setzte in einem Spiel gegen Makkabi ein Zeichen gegen Antisemitismus. Und im vergangenen Herbst veröffentlichte der Bundesligist Hertha BSC mit Makkabi einen Videoclip gegen Judenhass.
DFB gab Studie in Auftrag
Wer ist für Gegenwehr und Prävention verantwortlich, wenn Jugendliche ihren Frust und ihre Vorurteile in der Schule zurückhalten, aber im Fußball in Parolen ausdrücken? Eltern, Politiker, Vereinsvertreter? Der DFB hat sich lange um diese Aufgabe herum gedrückt. Um die Jahrtausendwende schrieb Dieter Graumann Briefe an Verbände und Vereine, ohne Reaktion. Graumann leitete zwölf Jahre Makkabi in Frankfurt, er war vier Jahre lang Präsident des Zentralrats der Juden. Damals wandte sich Graumann an die Presse. Theo Zwanziger schaltete sich ein, zu jener Zeit Schatzmeister des DFB, bald darauf dessen Präsident. Zwanziger brachte eine Studie über den Verband im Nationalsozialismus auf den Weg. Er nahm die Landesverbände in die Pflicht. Heute achten immer mehr ehrenamtliche Funktionäre darauf, dass Antisemitismus gar nicht erst entstehen kann, zum Beispiel Gerd Liesegang, Vizepräsident des Berliner Fußball-Verbandes:
"Wir sind vorbereitet, wir haben den Spielplan durchgeschaut. Wir gucken auch auf Freundschaftsspiele, die im Netz sind, wo Paarungen sind, wo wir sagen müssen, da müssen wir aufpassen: Welche Vereine spielen gegeneinander? Wir versuchen es auch mit gestandenen Schiedsrichtern dann zu steuern."
Schiedsrichter besuchen Schulungen, Konfliktmanager beobachten Risikospiele. Der Berliner Fußball-Verband hat ein Postfach für anonyme Hilferufe eingerichtet. Er druckt Broschüren, verteilt Plakate, produziert Ratgeber-DVDs. Er veranstaltet Integrationsfeste, organisiert Deeskalationstraining. Der Verband pflegt Partnerschaften: mit der Jüdischen Gemeinde, der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus, dem Verein Gegen Vergessen oder dem Zentralrat Deutscher Sinti und Roma. Liesegang erinnert an die Demonstrationen gegen Israel aus dem vergangenen Sommer, auf denen es antisemitische Parolen gegeben hatte:
"Wie der Regierende Bürgermeister auch von unserer Polizei mehr verlangte, Flagge zu zeigen und drauf zu achten. Selbst staatliche Organe sind nicht vorbereitet auf solche Dinge, die hören auch ganz schnell weg. Und natürlich muss man sehen: Was werden für Worte geäußert? Welche Gestik kommt da rüber am Spielfeldrand? Oder welche Dinge spielen sich auf dem Platz mitunter ab? Wo wir uns manchmal überfordert fühlen. Und da können wir von ehrenamtlichen Sportrichtern und Ansetzern nicht verlangen, dass wir das können, wo die Polizei erstmal Nachholbedarf hat."
In den oberen Ligen haben Historiker die NS-Vergangenheit einiger Traditionsklubs erforscht. Fangruppen besuchen Gedenkstätten, organisieren Vorträge, verlegen Stolpersteine. Junge Anhänger entdecken alte Vorbilder, die durch die Nazis in Vergessenheit geraten waren. In München pflegen Ultras das Erbe von Kurt Landauer. Unter dem jüdischen Vereinspräsidenten wurde der FC Bayern 1932 erstmals Meister. In Nürnberg gedenken Ultras Jenő Konrád. Der jüdische Trainer wurde von den Nazis vertrieben. Der DFB vergibt seit zehn Jahren den Julius-Hirsch-Preis gegen Diskriminierung. Julius Hirsch war einer von zwei jüdischen Nationalspielern in der Geschichte des DFB, er wurde 1943 in Auschwitz ermordet. Der Verband schickt seine Nachwuchsteams nach Israel, wo sie auch die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem besuchen. Der Hamburger Fanforscher Florian Schubert:
"Und es ist da der einfachere Schritt, sich auf die schreckliche Geschichte des Nationalsozialismus zu beziehen und etwas, was weiter weg ist, positiv zu gedenken. Aber es ist vielleicht auch erst mal das Eis, das durchbrochen werden muss. Wenn man so weiter in die Zukunft denkt, wäre es sehr schön, wenn sich auf aktuelle, jüdische Lebenswelten bezogen werden würde."
Bremer Fans gegen Antisemitismus
2013 haben Mitglieder der Bremer Ultra-Gruppe Caillera ein Forum gegründet, das Anhänger in ganz Deutschland ansprechen soll: die "Fußballfans gegen Antisemitismus". Auf ihrer Facebook-Seite dokumentieren sie antisemitische Vorfälle und weisen auf Info-Veranstaltungen hin. In Bremen haben sie zwei Vorträge und einen Filmabend organisiert. Mit dutzenden Gästen, die sich sonst selten für Fußball interessieren. Die prägenden Köpfe der "Fußballfans gegen Antisemitismus" sind Morten und Benedikt, ihre Nachnamen möchten sie nicht nennen. Sie planen weitere Veranstaltungen, für die Finanzierung haben sie T-Shirts und Taschen mit ihrem Logo verkauft.
Morten: "Dann haben wir aber schnell gemerkt, das findet großen Anklang. Viele Leute haben das getragen. Es wurden uns sogar Fotos zugeschickt aus anderen Städten, wie die Leute das im Stadion getragen haben, um die Message zu verbreiten. Es ist im Endeffekt sogar in fünf oder sechs Länder gegangen."
Benedikt: "Es braucht einen gewissen Schneid, in einigen Ländern und einigen Fankurven, sich damit offen ins Stadion zu begeben. Umso schöner finde ich es, dass die Leute unser Angebot angenommen haben und gleichzeitig dadurch auch unsere Arbeit unterstützen."
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