Anselm Kiefer: "Opus Magnum"

Ein Dialog zwischen Kunst und Poesie

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Buchcover zu Anselm Kiefers "Opus Magnum".
Unter Bezug auf die Gedichte von Ingeborg Bachmann und Paul Celan setzt sich Anselm Kiefer in "Opus Magnum" mit der deutschen Geschichte auseinander. © Schirmer/Mosel Verlag
Von Michael Opitz · 07.08.2020
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In seinen Werken setzt Anselm Kiefer sich immer wieder mit den Gedichten von Ingeborg Bachmann und Paul Celan auseinander. Der opulente Band "Opus Magnum" versammelt nun Installationen Kiefers, die wiederum von zeitgenössischen Schriftstellern und Schriftstellerinnen kommentiert werden.
Gedichte sind für den am 8. März 1945 in Donaueschingen geborenen Künstler Anselm Kiefer "wie Bojen im Meer." Er schwimmt zu ihnen, "von einer zur anderen." Zwei feste lyrische Orientierungspunkte in seinem Werk bilden die Gedichte von Ingeborg Bachmann und Paul Celan. Mit Zeilen aus ihren Gedichten und/oder ihren Namen sind mehrere seiner Bilder versehen. Anselm Kiefer, der in einem Atemzug mit Gerhard Richter zu nennen ist, unterscheidet sich von dem Älteren dadurch, dass er in seinen Bildern häufig auf die Schrift zurückgreift, indem er ihnen Zitate aus der Literatur und Namen aus der Antike, der Mythologie oder der Bibel einschreibt. Der Dialog mit Texten erfährt so eine Übersetzung ins Bild, zugleich aber auch eine Weiterschreibung durch das Wort. Kiefers zentrales Thema ist die Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte.
In 23 Glasvitrinen, die zwischen 2014 und 2016 entstanden sind – zu sehen sind sie bis zum Februar 2021 zusammen mit sechs großformatige Fotos im Franz Marc Museum in Kochel – setzt sich Kiefer in Installationen zu "Mohn und Gedächtnis", "Karfunkelfee" (Ingeborg Bachmanns Gedicht "Das Spiel ist aus" entnommen) und "Das Sonnenschiff" (bezugnehmend auf Bachmanns Gedicht "Die große Fracht") mit den beiden Granden der deutschsprachigen Lyrik, stets aber auch mit dem Holocaust und dem Nationalsozialismus auseinander.

Rätselhafte Stillleben

Das opulent aufgemachte Begleitbuch zur Ausstellung präsentiert Kiefers raumgewordene Embleme in beeindruckenden Abbildungen und zusammen mit weiterführenden, die geschichtlichen und mythischen Zusammenhänge deutenden Erläuterungen von Cathrin Klingsöhr-Leroy, der Kuratorin der Ausstellung. Eingeladen wurden aber auch fünfzehn Schriftsteller und Schriftstellerinnen, die sich von Kiefers Glasvitrinen inspirieren lassen sollten, um mit ihnen in einen Dialog zu treten. Zu denen, die der Einladung folgten, gehören unter anderem Sibylle Lewitscharoff, Gila Lustiger, Marion Poschmann, Alexander Kluge, Michael Krüger, Christoph Ransmayr und Klaus Reichert.
Fast drei Meter hoch ist die größte Glasvitrine. Die sprechenden Titel, etwa "das Sonnenschiff (für Ingeborg Bachmann)" hat Kiefer selbst auf das Glas geschrieben. Die Objekte in den Vitrinen – es handelt sich unter anderem um vertrocknete Mohn- und Sonnenblumen, einen alten Ofen, Bücher aus Blei, einen Amboss, getrocknete Blätter eines Eichenbaums oder um einen Setzkasten – hat Kiefer zu rätselhaften Stillleben arrangiert. Eine erklärende Auslegung mag man sich von den Schreibenden erhofft haben, die sich Kiefers Installationen nähern.

Holocaust und Nationalsozialismus

Sehr überzeugend lösen Sibylle Lewitscharoff, Gila Lustiger und Klaus Reichert diese Herausforderung. Reichert, lange Jahre Celans Lektor, vermag kenntnisreiche Beziehungen zwischen Celans Gedichtband und der mit "Mohn und Gedächtnis" betitelten Vitrine herzustellen. Und Lewitscharoff hinterfragt, stets mit Kiefers Installation im Blick, Bachmanns Gedicht "Das Spiel ist aus". Auffällig ist, dass häufig aus einer gewissen Distanz über Kiefers Arbeiten geschrieben wird, sodass der Holocaust und der Nationalsozialismus, zentrale Themen in Kiefers Werk, nur am Rande erwähnt werden, wenn überhaupt. Dass es diesen Zusammenhang gibt, weiß Gila Lustiger in ihrem Text zu "Tagebücher der Könige v. Juda" überzeugend darzulegen.
Ein wichtiger Band, ein überaus inspirierendes Kunst- und Literaturbuch, das mit seinen Autorentexten dazu anregt, die Objekte genauer zu betrachten und so den Blick schärft.

Anselm Kiefer: "Opus Magnum"
Hrsg. v. der Franz Marc Museumsgesellschaft durch Cathrin Klingsöhr-Leroy
Verlag Schirmer/Mosel, München 2020
171 S., 49,80 Euro

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