Annalee Newitz: "Autonom"

Über die Zukunft der Liebe

Wie sieht die Zukunft menschenähnlicher Roboter aus und wie werden wir Menschen mit ihnen umgehen?
Wie sieht die Zukunft menschenähnlicher Roboter aus und wie werden wir Menschen mit ihnen umgehen? © Fischer Tor / Edu Lauton auf Unsplash
Von Marten Hahn  · 11.07.2018
In ihrer Science-Fiction-Geschichte erkundet US-Autorin Annalee Newitz die Sexualität und Liebe zwischen Mensch und Maschine. Ein kluger Debütroman über Künstliche Intelligenz und ein Aufruf zu mehr Offenheit.
Elias und Paladin sind Kollegen. Die Agenten jagen eine Pharma-Piratin, die ein Medikament mit gefährlichen Nebenwirkungen in Umlauf gebracht hat. Sie ermitteln gemeinsam undercover in Kanada und Marokko und verlieben sich dabei. Eine Arbeitsromanze wie diese wäre auch im Sommer 2144 keine große Sache. Wäre da nicht dieses eine Detail: Paladin ist ein Roboter. Keine Künstliche Intelligenz in einer von den männlichen Ingenieuren herbeifantasierten weiblichen Hülle, sondern ein Militärroboter. Gepanzert und bis an die Zähne bewaffnet. Wenn Paladin denn Zähne hätte.

Bemerkenswertes Debüt

"Autonom", der bemerkenswerte Debütroman der US-Autorin und Technologie-Journalistin Annalee Newitz, ist nicht die erste Science-Fiction-Geschichte, die Sexualität und Liebe zwischen Mensch und Maschine erkundet. In Philip K. Dicks Klassiker "Träumen Androiden von elektrischen Schafen?" (1968) schläft der Roboterjäger Rick Deckard mit einer "Replikantin" und stürzt daraufhin in eine Sinnkrise. Und in der herausragenden TV-Serie "Westworld" (2016-2018) entwickeln sich die "Hosts" von Sexsklaven zu Aufständischen.
Aber anders als Dicks Dystopie oder die virtuelle Realität "Westworlds" setzt Newitz nicht auf menschenähnliche Maschinen. Die meisten Roboter in "Autonom" sind klar als solche erkennbar. Sie haben die Form von Gottesanbeterinnen, schwirren moskitogleich durch die Luft oder haben wie der sonst recht humanoide Paladin zumindest ausfahrbare Flügelschilde.

Bot-Lingo mit Nullen und Einsen

Die maschinelle Vielfalt und der biotechnologische Hokuspokus der von Newitz erdachten Welt lenkt leider nicht gänzlich davon ab, dass "Autonom" da schwächelt, wo die meisten Scifi-Romane schwächeln: Bei der Beschreibung zwischenmenschlicher Beziehungen. Der von Elias und Paladin gejagten Pharmapiratin Jack verpasst Newitz eine Hintergrundgeschichte, die vor allem mit Klischees hantiert – sprachlich und emotional. Aber gut die Hälfte der Protagonisten im Buch sind Roboter. Und die kann die Autorin besser als Menschen.
Einen großen Teil des Romans erleben Leser durch die Sensoren Paladins: Da ist der Besuch einer Roboter-Bar, in der sich Bots "einen besonders guten Wurm heruntergeladen hatten und abgestürzt waren." Oder die Kommunikation mit anderen Robotern, deren Nullen und Einsen Newitz in eine Art Bot-Lingo übersetzt: "Du bist Paladin. Ich bin Fang. Erinnerst du dich an die abgesicherte Session, die wir eingerichtet haben. Lass sie uns noch einmal benutzen. Hier kommen meine Daten."

Konfrontation mit Gender-Stereotypen

Besonders gekonnt beschreibt Newitz die Selbstfindung des Kampfroboters. Als er Elias' sexuelle Erregung spürt, beginnt Paladin, zum Thema Homosexualität zu recherchieren. Dass durch eine Wendung aus dem Paladin, später die Paladin wird, löst zumindest bei Elias Erleichterung aus – und beim Leser kurzzeitige Verwirrung: Denn Newitz ändert an dieser Stelle das Pronomen.
Trickreich konfrontiert die Autorin uns Leser so mit Gender-Stereotypen. Schließlich sind Roboter per Definition geschlechtsneutral. Was uns Menschen aber nicht davon abhält, ihnen fast zwanghaft männliche oder weibliche Attribute zuzuschreiben. Und so ist "Autonom" nicht nur eine kluge Geschichte über Künstliche Intelligenz sondern auch ein Aufruf zu mehr Offenheit: Denn spätestens wenn wir uns in Roboter verlieben, sind unsere bisherigen Konzepte von Geschlecht und Sex endgültig überholt.

Annalee Newitz: "Autonom"
Aus dem Englischen übersetzt von Birgit Herden
Fischer Tor, 2018
352 Seiten, 14,99 Euro

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