Anna Hogeland: "Die Antwort"

Körper, Kinderwunsch, Kontrollverlust

05:23 Minuten
Cover des Romans die "Die Antwort" von Anna >Hogeland - es ist weiß, die Schrift steht in einem orangenen Fleck.
© Ullstein

Anna Hogeland

Aus dem Englischen von Britt Somann-Jungs

Die AntwortUllstein, Berlin 2022

336 Seiten

22,99 Euro

Von Stefan Mesch · 24.12.2022
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Derzeit gibt es viele Romane über Mutterschaft. Die US-amerikanische Psychotherapeutin Anna Hogeland hat mit "Die Antwort" ein Buch ohne jeden Knalleffekt geschrieben. Sie lässt sechs Frauen einfach von ihren Lebens- und Körperumständen erzählen.
"Haben Sie Kinder?" ist für viele eine schmerzhafte Frage. Nicht nur für Menschen, die ungewollt kinderlos leben - sondern auch für alle, die Kinder verloren haben oder unsicher sind, inwieweit ein Kind, das sie ausgetragen, gezeugt oder für das sie die Eizelle gespendet haben, "ihr" Kind ist, bleibt oder bleiben muss.
Anna Hogelands packender Roman "Die Antwort" heißt im US-Original "The Long Answer", weil sich sechs Frauen dort die "lange Antwort" auf die Frage "Haben Sie Kinder?" anvertrauen. Drei von ihnen sind miteinander verwandt: Ich-Erzählerin Anna, eine schwangere Autorin, arbeitet an einem Roman über Mutterschaft. Annas (zu sensible?) Schwester Margot hat einen Sohn und freut sich auf ein weiteres Kind. Annas Mutter erlebte in den 1980er-Jahren eine stille Geburt: Hat Anna damit eine zweite Schwester namens Jane? Wer entscheidet, ab wann ein Kind "zählt"?

Monologe über Schwangerschaft

Anna Hogeland, geboren 1988, ist Psychotherapeutin mit eigener Praxis und war beim Schreiben des Debütromans zunächst selbst schwanger. Doch wie biografisch der Roman ist, wird von ihr nicht als spannendes literarisches Spiel inszeniert. Denn für sie, sagte Hogeland in Interviews, war vor allem W.G. Sebalds "Die Ausgewanderten" wichtig: ein ruhiges, halb-fiktionales Buch, das vier persönliche Geschichten nacheinander erzählt, und dabei ohne Schocks und Knalleffekte aufeinander wirken lässt.
Auch "Die Antwort" ist kein komplexes Netz oder Mosaik, bei dem sich Lebenswege und Storylines dramatisch-romanhaft und überraschend kreuzen. Der Roman reiht eine Folge von Berichten aneinander, die der Figur Anna in langen, monologartigen Binnenerzählungen zugetragen werden: Marisol lebte bei einem älteren Paar mit Kinderwunsch und hatte lesbische Gefühle. Anna begegnet ihr nur einmal, in einer Bar. Corrie half ihrer Schwester, die mit 17 schwanger wurde, und brach eine eigene Schwangerschaft ab. Anna begegnet auch ihr nur einmal, beim Schwangeren-Yoga.

Journalistisch-präzise Selbstbefragungen

Dass alle Figuren in derselben nervösen, oft pedantisch übergenauen Sprache ihre Lebensumstände und die Ängste um ihre Körper offenlegen, wirkt künstlich bis albern. Besonders zu Beginn des Romans, als Anna pedantisch erzählt, wie ihre Schwester Margot pedantisch erzählt, was deren pedantische Freundin Elizabeth in einer früheren, verdrängten Ehe vor mehr als zehn Jahren erlebte.
Nach 50 bis 100 Seiten wirkt auch Britt Somann-Jungs Übersetzung ins Deutsche zunehmend misslungen: Warum benutzen alle Figuren dieselbe Sprache und erklären ihre Lebensumstände wie in einem Polizeibericht? Figuren in Romanen verraten oft nur exakt so viel über ihre Vorgeschichten und Gewohnheiten, wie für den Plot nötig ist.
Doch "Die Antwort" besteht nur aus solchen Vorgeschichten, präzisen Selbstbefragungen, einer Flut recht journalistisch sortierter, interessanter Details über Schwangerschaft und Verlust in verschiedenen Lebenslagen: Wer wohnt wo? Wer isst was? Was tut weh, in welcher Schwangerschaftswoche? Was wird einander gesagt, und was wird wem verschwiegen und warum?

Respektvoller Blick auf Lebensumstände

Ein zu einfacher Vorwurf an dieses (immens lesenswerte!) Buch wäre: Hier werden oft faszinierende Bruchstücke recht technisch und trocken aufgezählt. Sie ergeben keinen runden, schlüssigen Roman. Doch während so viele konventionelle Bücher Schwangerschaft und die Elternrolle in den Dienst einer anderen Handlung stellen, werden Figuren bei Hogeland nie in ein künstliches großes Ganzes geschnürt und eingesperrt.
"Die Antwort" zeigt keine trans Figuren und leider generell niemanden, der schwanger, aber dabei keine "Mutter" nach heteronormativem Rollenbild ist. Auch Armut, Rassismus, Suchtkrankheiten und Behinderungen betreffen zwar einige Figuren - doch das Buch sagt dazu nicht viel Kluges oder Markantes.
"Die Antwort" ist nicht mehr als eine Einladung, immens viel Zeit mit introvertierten, klugen, präzisen Frauen zu verbringen, die sich, ihre Körper und ihre Rollen in der Welt in hyper-genauer Sprache zu fassen versuchen. Der irritierend berichthafte Stil und die auf Fakten statt auf Stimmung fixierte Übersetzung sind letztlich nicht nur gelungen, sondern das Beste an "Die Antwort". Eine bestechend interessierte Autorin erlaubt sich einen respektvollen, fast sachlichen Blick auf sechs Lebens- und Körper-Umstände, in allen Details. Ein radikal fokussiertes, unvergessliches Buch!
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