Ankerzentrum in Bamberg

Zum Warten und Nichtstun gezwungen

20:57 Minuten
Stacheldraht am Zaun um das Ankerzentrum in Bamberg
Untergebracht in einer ehemaligen US-Kaserne: Im Ankerzentrum Bamberg leben rund 1200 Menschen. © Deutschlandradio/Heiner Kiesel
Von Heiner Kiesel · 26.07.2019
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Bayern geht mit seinen sieben Ankerzentren für Flüchtlinge einen Sonderweg: Schnell und effektiv sollen dort Asylanträge bearbeitet werden. Doch die Bewohner müssen oft lange warten. Für Kritiker ist klar: Das Vorhaben ist gescheitert.
Der Dienstag nach Ostern. Früher Morgen. Zwei Frauen und drei Männer sitzen in der Anmeldung der "Ankereinrichtung Oberfranken". Sie sind über das lange Wochenende in Bamberg eingetroffen. Flüchtlinge. Einer von ihnen ist Mahmoud Dekkes.
Ein 25-jähriger Syrer aus Aleppo. Der Reißverschluss seiner blauen Daunensteppjacke ist bis oben zugezogen. Der Aprilmorgen ist frisch. Mahmoud Dekkes wirkt fahl, wie er da auf der Holzbank sitzt. Das Ende einer langen Strapaze. Zwei Jahre hat Mahmoud nach Deutschland gebraucht - über die Türkei, Griechenland, den Balkan.
"Alle sind wegen des Krieges weg. Dort sind nur noch die Alten und Kinder. Meine Freunde, die sind in Schweden und Dänemark. Alle sind in Europa."

Spezialisierung auf Nationalitäten

Er wollte unbedingt nach Deutschland. Unterwegs hat er sich ein paar wenige Brocken Deutsch eingeprägt. Einer seiner Brüder wohnt schon bei Regensburg.
"Hier in Deutschland gibt es alles. Zukunft, Arbeit, Hoffnung, alles."
An den Wänden hängen Plakate, auf denen staatliche Unterstützung für eine freiwillige Rückkehr ins Heimatland angepriesen wird. Das interessiert ihn nicht. In Niederbayern hat sich Mahmoud bei den Behörden gemeldet. Die haben ihn nach Bamberg geschickt.
Mahmoud Dekkes vor dem Schaukasten neben dem Postzentrum.
Warten auf einen Bescheid: Mahmoud Dekkes vor dem Schaukasten neben dem Postzentrum.© Deutschlandradio/Heiner Kiesel
In jedem der sieben bayerischen Regierungsbezirke gibt es seit einem Jahr ein Ankerzentrum. Jedes ist spezialisiert auf bestimmte Nationalitäten. Das soll für Kompetenz sorgen. Syrer kommen nach Oberfranken. Mahmoud zuckt mit den Schultern. Ist eh nur vorübergehend.
"Bamberg ist eine sehr schöne Stadt. Ich bin aus Deggendorf hierhergekommen. Ich werde später aber meine Verlegung nach Regensburg beantragen, näher zu meinem Bruder. Das klappt hoffentlich."

Zentrum auf ehemaliger US-Kaserne

Aber zuerst muss er hier durch. Eine Beamtin ruft ihn zum Schalter. Dort bekommt er einen Zettel in die Hand. Auf dem steht, wann er sich wo bei wem in den kommenden Tagen zu melden hat. Straff organisiert und kurze Wege: In einem Ankerzentrum sind alle Behörden versammelt, die für das Management von Asylsuchenden nötig sind.
Zum Schluss bekommt Mahmoud Dekkes noch ein weiteres Kärtchen. Mahmoud steckt den Hausausweis und Papiere in die Klarsichthülle, die er für seine Dokumente dabei hat und steht auf. Gleich weiter zur nächsten Station.
Das Ankerzentrum in Bamberg befindet sich auf dem weitläufigen Gelände einer ehemaligen US-Kaserne. Mahmoud schaut sich um. Zu beiden Seiten der Straße stehen zweistöckige langgestreckte, sandgelb getüncht Wohnblöcke. An jeder Ecke Wachleute mit gelben Warnwesten. Unten am Ausgang liegt Stacheldraht auf dem Metallzaun. Rund 1200 Menschen aus 14 Nationen sind in der Einrichtung derzeit untergebracht. 3400 passen theoretisch rein.
Mahmoud schaut auf seinen Plan. In dem Gebäude schräg gegenüber soll er zum medizinischen Dienst. Er lächelt. Das kennt er. Mahmoud ist gelernter Krankenpfleger. Damit könnte er eigentlich auch in Deutschland eine Zukunft haben.

Blaupause für andere Ankerzentren

Er klemmt sich die Klarsichthülle unter den Arm und macht sich auf den Weg. Einen Block weiter ist das Büro von Stefan Krug. Der zuständige Abteilungsleiter für alle Fragen rund um Asyl und Flüchtlinge. Ein hochgewachsener Mann mit Lachfältchen. Der Mittfünfziger trägt Jeans und Pullunder. Man merkt ihm an, er findet es ziemlich gut, was er und sein Team hier aufgebaut haben.
"Wir hatten viele Bestandteile von Ankereinrichtungen schon von Anfang an. Von daher sind wir ein Stück Blaupause gewesen. Ich denke, es gibt etliche Punkte, wo man von uns lernen kann. Wenn andere Ankereinrichtungen gute Projekte haben, dann übertragen wir die natürlich, aber wir sind besonders stolz auf unser Projekt Bamberg."
16 Millionen Euro sind in den Aus- und Umbau der alten Kaserne geflossen. Zuerst war es ein Aufnahmelager für Migranten aus dem Balkan, dann wurde es zur Aufnahmeeinrichtung Oberfranken, die schließlich im August 2018 zum Ankerzentrum umdeklariert wurde.
"Sinn und Zweck ist es, das Asylverfahren möglichst schnell durchzuführen. Das ist einmal im Interesse der Menschen, weil stellen Sie sich vor, Sie müssten mehrere Jahre darauf warten, was aus ihrem Leben wird. Wir hatten diese Situation schon und ich finde es unmenschlich, wenn man die Menschen zu lange in einem Verfahren und zu lange im Unklaren lässt."

Beratung und Abschiebung

Die Flüchtlinge sollen von den kurzen Wegen in der Einrichtung profitieren. Das Sozialamt ist da, Wohlfahrtsverbände, ein Helferkreis darf einen Treff und eine Kindergruppe anbieten. Es gibt eine Asylverfahrens- und Rückkehrberatung.
Aber das Zentrum ist auch ein Signal nach außen: Der Regierungsbeamte unterstreicht, die zentrale Unterbringung soll ermöglichen, Menschen mit einem abgelehnten Asylantrag schneller und effizienter in ihre Heimatländer zurückzubringen.
"Es dient aber auch unseren deutschen Mitbürgern, denen wir zeigen wollen, der Rechtsstaat funktioniert auch hier."

Bloß keinen Ärger mit der Nachbarschaft

Dennoch waren viele Bürger rund um das Ankerzentrum anfangs nicht besonders glücklich über die vielen Fremden in ihrer Nähe. Aber dieser Herausforderung ist Krug gerne begegnet.
"Lernende Einrichtung ist, denke ich, der wichtigste Begriff!"
Inzwischen hat das Ankerzentrum einen eigenen Shuttlebus in die Innenstadt. Jeder Bewohner zahlt dafür eine Flat von rund 17 Euro im Monat und darf den Bus unbegrenzt nutzen. Ein neuer Ausgang sorgt dafür, dass die Asylbewerber direkt an einer Hauptverkehrsstraße rauskommen und nicht mehr durch die beschauliche Nachbarschaft zur Stadtmitte laufen.
Mahmoud Dekkes beim Einrichten seiner Unterkunft.
Spartanische Ausstattung: Mahmoud Dekkes beim Einrichten seiner Unterkunft.© Deutschlandradio/Heiner Kiesel
Die Bamberger beschweren sich nicht mehr. Was die Situation in der Einrichtung angeht, findet Abteilungsleiter Krug, laufe doch alles ziemlich rund. Bei der Menge Bewohner aus unterschiedlichsten Nationen. Er deutet mit einer weit ausholenden Geste zum Fenster.
"Manchmal hat man einfach Glück. Wenn man die Einrichtung in Bamberg sieht, dann sieht man, wieviel Platz wir hier haben. Das hat nicht jede bayerische Einrichtung. Dafür können wir persönlich nichts, durch unsere Arbeit, aber wir profitieren natürlich vom Platz und der Weitläufigkeit."

Handy unter staatlicher Kontrolle

Das Gelände ist so groß, dass Mahmoud Dekkes in einem Kleinbus von den Verwaltungsgebäuden zu seiner künftigen Bleibe gebracht wird. Es ist inzwischen früher Nachmittag. Er sieht noch ein bisschen schmaler aus als am Morgen. Sie haben ihm Blut abgenommen, die Lungen abgehört. Das Bundesamt für Migration hat sein Handy durchleuchtet und getestet, ob sein Arabisch zu einem Syrer passt.
Ein Blick auf den Terminzettel. Auch die nächsten Tage sind verplant. Antragstellung, Asylverfahrensberatung und dann der große, wichtige Termin. Aber für heute ist erstmal Schluss. Gut, jetzt irgendwo anzukommen.
Wohnungseinweisung. Mahmoud hält seine Reisetasche mit beiden Händen fest. Das ist alles, was er hat. Seine Wohnung im ersten Stock hat Parkettboden. Vier Stockbetten, acht Spinde stehen in dem Zimmer.
"Das Zimmer ist schön. Es gibt einen Balkon, der auf die Straße hinausgeht, alles ist sauber, die Küche ist sauber. Das einzige Problem: Es gibt keinen Schlüssel."

Anhörung für Asylverfahren

Schlüssel gibt es nirgendwo, auch keine Kochgelegenheit trotz kleiner Küche. Brandschutz, sagt die Verwaltung. Aber es gibt für die 1200 Bewohner dreimal täglich Essen in der Kantine weiter oben. Für ein paar Wochen wird das schon gehen, meint Mahmoud und verstaut seine Sachen.
Seit zehn Tagen lebt Mahmoud Dekkes jetzt im Ankerzentrum. Heute ist es soweit. Die Anhörung. Ein Mitarbeiter des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge führt sie durch. Philippe Haulitschek, Anfang 30, mag seinen Job.
"Man hat ständig mit unterschiedlichen Menschen zu tun, man hat Kontakt. Ich bin jetzt nicht der pure Sachbearbeiter, der jetzt nur die Akte vor sich liegen hat. Das ist sehr schön!"
Mahmoud bekommt ein Glas Wasser, vor ihm steht ein Kleenex-Spender. Manchmal weinen die Befragten, wenn sie über ihre Flucht reden. Mahmoud wird zwei Stunden befragt. Wohnort, Familie, Fluchtweg, Aufenthalte. Warum er weg ist?
Deutschland ist das Land seiner Träume und in Syrien hätte er vielleicht kämpfen müssen. Es klingt trocken, er macht kein Drama draus. Haulitschek fragt nach, tippt, checkt geografische Angaben mit Google-Maps. Routiniert, kompetent. Das war es.
"Ich möchte Sie bitten jetzt einfach regelmäßig in ihr Postfach nachzusehen, für etwaige Antworten von uns."

Langes Warten auf Bescheid

Das macht Mahmoud seither täglich. Sehr zuverlässig. Inzwischen ist es sommerwarm. Ende Juli. Der Syrer ist gebräunt, im T-Shirt. Das mit dem Transfer in die Nähe seines Bruders hat nicht geklappt. Er ist kein Notfall.
"Seit drei Monaten bin ich jetzt im Camp in Bamberg."
Er sieht auf einen Schaukasten, der vor einem der Verwaltungsgebäude steht. Eine Tabelle listet auf, wer Post bekommen hat. Auch heute steht sein Name nicht dabei.
"Ich weiß auch nicht, warum ich noch keinen Bescheid habe. Da gibt es andere, auch Syrer, die sind zwei, drei Wochen nach mir gekommen und haben schon eine Aufenthaltsgenehmigung."
Er deutet es optimistisch: Wenn die anderen einen positiven Bescheid bekommen haben, dann wird es bei ihm doch wohl auch irgendwann so weit sein, hofft er. Mahmoud streicht mit der Rechten über die dunklen Barthaare an seinem Kinn. Fast die Hälfte der Antragsteller ist nach vier Monaten hier raus.
"Ich bin sehr zuversichtlich und warte auf Antwort. Es gibt sonst nichts zu tun, außer zu warten."

Verfolgung wegen Theatergruppe

Fünf Minuten vom Bahnhof: Luitpoltstraße 20, hier ist die Begegnungsstätte Lui20 der Bamberger Flüchtlingshilfe "Freund statt fremd". Im ersten Stock gibt es nachmittags an drei Tagen in der Woche warmes Essen, Kaffee und Gebäck. Gegen eine kleine Geldspende.
Die Küche so international wie die Köche aus dem Bamberger Ankerzentrum. Es riecht nach Koriander. Ein Ort in der Innenstadt für Einheimische und Flüchtlinge. Das Interieur ist zusammengesammelt. Es gibt Sofas, man kann hier gut abhängen.
Amir hat diesen Ort für ein Treffen vorgeschlagen. Wir setzen uns. Er ist 38 Jahre alt, schlank und hat einen dichten Schopf schwarzer Haare. Er wohnt im Ankerzentrum am Rande der Stadt. Amir stammt aus dem Iran. Dort wirft man ihm vor, christlich missioniert zu haben. Mit einer Theatergruppe.
"Die Strafe dafür ist zu drastisch, Todesstrafe oder lebenslänglich. Also bin ich in die Türkei geflohen. Das war 2016, für ein Jahr, danach ging es weiter nach Serbien und illegal nach Ungarn. Schließlich dann Deutschland."

In Bamberg gestrandet

Deutschland sei nicht sein Traumland, aber okay, es habe sich so ergeben, sagt Amir. Nach dem Dublin-Verfahren wird ein Asylantrag in der EU dort bearbeitet, wo man ihn zuerst stellt. Er hätte nicht gedacht, dass das im gut organisierten Deutschland so lange dauert.
"Das geht jetzt schon 13 Monate so zu, dass ich auf eine Antwort vom Bamf warte. Ich habe Ihnen alle Unterlagen gegeben über das Theater, Bilder davon gibt es auf auf Youtube. Aber es gibt keine Antwort bis jetzt."
Asylbewerber Amir T. auf der Kettenbrücke in Bamberg
Aus dem Iran geflohen: Asylbewerber Amir T. auf der Kettenbrücke in Bamberg.© Deutschlandradio/Heiner Kiesel
Er hat, so geht es den meisten, die auf ihren Bescheid warten, keine Ahnung, was der Grund für die Verzögerung ist. Beim Bundesamt für Migration bekommt er nur allgemeine Auskünfte. Für Amir bedeutet das, dass er in Bamberg festsitzt.
Er beugt sich nach vorne und zieht aus der Gesäßtasche ein dickes grünliches Papier mit rosa Streifen.
"Hier steht, dass du nicht aus Bamberg raus darfst, du musst hier bleiben."

Eintöniger Alltag, der deprimiert

Ein offizielles Dokument, das seine Aufenthaltsgestattung bescheinigt, bis über seinen Antrag entschieden ist. Der Aufenthalt aber ist regional begrenzt. Auch arbeiten darf er nicht. Das findet Amir ziemlich widersinnig.
Hätte er einen richtigen Job – er ist eigentlich Englischlehrer – dann müsste die Bundesrepublik nicht so viel Geld für seine Versorgung ausgeben, sagt er. Aber das Asylbewerbergesetz will es so. Und die bayerische Regierung will, dass er in der Ankereinrichtung wohnt. Amir findet seine Unterkunft schlimm: Morgens und abends Schinken und Käsebrote, Kaffee der immer so schmeckt als wäre er von gestern. Der Stacheldraht.
"Es ist wie eine kleine Stadt, aber mit zu viel Gewalt. Du kannst Bier kaufen, die besorgen sich Tabak und drehen Zigaretten, die sie an die Bewohner verkaufen. Drogen: Da sind fünf, sechs Dealer und 300 Konsumenten. Abends gibt es immer Stress."
Er habe der Leitung gesagt, wer die Dealer seien, wo sie wohnten, aber die verkauften ihr Zeug noch immer. Es gibt regelmäßig Berichte von Übergriffen des Wachdienstes, Schläge, Tritte. Amir hat das auch beobachtet. Bewohnerinnen klagen darüber, in der Kantine angegrapscht zu werden. Immer wieder gibt es hässliche Szenen bei Abschiebungen. Das ständige Gefühl des Ausgeliefertseins.
"Sie schicken hierher gewöhnlich viele Leute die nach dem Dublin-Verfahren behandelt werden, Geduldete und solche aus sicheren Herkunftsländern. Hier haben sie sie unter Kontrolle und können sie abschieben. Ganz einfach: Blocknummer, Raumnummer, sie gehen hin und schnappen zu."

Arbeit für 80 Cent die Stunde

Amir geht es noch verhältnismäßig gut. Ihm droht derzeit keine Abschiebung, er darf im Lager sogar als Übersetzer für die Ärzte arbeiten. 80 Cent bekommt er dafür pro Stunde. Er grinst – besser als nichts. Damit meint er nicht nur das Geld. Der Job gibt seinem Tag Sinn und Struktur.
"Weil ich so beschäftigt bin, habe ich keine Zeit für Frust. Aber meine Freunde dort. Das kann ich dir sagen, die schlafen schlecht, die müssen zum Psychiater. Sie arbeiten nicht, sitzen nur rum, machen nichts."
"Die Ankerzentren sollen zum einen Asylverfahren beschleunigen und sie sollen auch Abschiebungen erleichtern", sagt die Pfarrerin Mirjam Elsel. "Das können wir nicht bestätigen, dass das der Fall ist. Auch die Abschiebungszahlen sind nicht höher. Es werden nur mehr Menschen in Mitleidenschaft gezogen. Die Menschen spüren ja diesen Druck und worum es geht und das ist das, was die Menschen regelrecht zermürbt."
Elsel ist Pfarrerin und koordiniert die Flüchtlingsarbeit ihrer Kirche in und um Bamberg. 20 Prozent der Bewohner warten im Oberfränkischen Ankerzentrum zwischen sechs und zwölf Monaten auf die Bearbeitung des Antrags. Rund sieben Prozent der Bewohner noch länger, sagt Elsel.

Große Zahl an Fehlentscheidungen

In Helferkreisen ist immer wieder von einer Zermürbungsmaschine die Rede, wenn es um Ankereinrichtungen geht. Prominente CSU-Politiker haben öffentlich geäußert, dass sich Flüchtlinge ohne Bleibeperspektive erst gar nicht in Deutschland einrichten sollen. Das Ankerzentrum übernimmt das.
"Also wir haben neue Zahlen bekommen, wo mehr als 50 Prozent länger als vier Monate dort verbleiben und wir beobachten, dass – je länger die Menschen dort drin sind – sind sie auch psychisch sehr angegriffen und die Situation in den Ankerzentren führt zu permanenter Retraumatisierung. Die meisten bringen schon eine lange Fluchtgeschichte mit und Erlebnisse im Heimatland. Die brechen dann alle wieder auf."
Mirjam Esel im Café des Vereins "Freund statt Fremd".
Unterstützung für Hilfesuchende: Mirjam Esel im Café des Vereins "Freund statt fremd".© Deutschlandradio/Heiner Kiesel
Die Pfarrerin vermisst eine unabhängige Rechtsberatung im Ankerzentrum. Es gebe eine große Zahl von Fehlentscheidungen der Behörden, vor allen Dingen bei den Abschiebungen, betont sie. Die schiere Masse an Asylbewerbern an einem Ort macht es schwer, ausreichend Unterstützung zu organisieren. Dazu kommt, dass niemand dort seinen Alltag selbst gestalten könne. Eigenes Essen kochen, die Tür hinter sich abschließen. Die Kontrolle über das Leben haben andere.
Die Struktur der Großeinrichtung sei so aufgesetzt, dass es den Menschen schlecht gehe, sagt Elsel. Auch wenn, gesteht sie ein, die Leitung der Einrichtung durchaus bemüht sei, die Lebenssituation für die Menschen im Ankerzentrum zu verbessern. Sowas wie der Shuttlebus, damit die Asylbewerber einfacher in die Stadt kommen.
"Das ja. Aber das heißt trotzdem nicht, dass sich das System nicht fatal auf die Personen auswirkt und auf deren Lebenssituation."

Spaziergang zur Liebesbrücke

Amir ist fertig mit seinem Cappuccino. Zeit für einen kleinen Spaziergang in der barocken Weltkulturerbestadt.
"Wenn ich dann in die Stadt gehe, dann meistens zu einer Brücke. Ich weiß nicht, wie die wirklich heißt. Wir nennen sie die Brücke der Liebe."
Er hat alles schon so oft gesehen, aber Bamberg gefällt dem Iraner immer noch. Wenn es hier nicht so schön wäre, dann wäre das Leben im Ankerzentrum noch unerträglicher. Das gehe vielen so, sagt er.
"Sie laufen ein bisschen rum. Man kuckt, schaut sich das Leben an, die Schaufenster. Kaufen kann man nichts ohne Geld. Aber immer noch besser das hier, als im Camp depressiv zu werden."
Nach der Luitpoltstraße rechts, die übernächste links runter zur Kettenbrücke. Dort haben Paare hunderte von kleinen Schlössern ans Geländer gehängt. Er stellt sich an die Brüstung und spürt die frische Brise im Gesicht.
Unbeschwerte Studierende auf dem Fahrrad, Leute mit Einkaufstaschen, eine japanische Reisegruppe. Normalität. Das Leben könnte viel einfacher sein. Amir lehnt das Ankerzentrum nicht so rundum ab wie die Pfarrerin Elsel. Man könnte was machen.
"Also weißt du, wenn sie die Wachen reduzieren, sie vielleicht besser auf den Kontakt mit den Bewohnern vorbereiten würden. Wenn es nicht jeden Tag Schinken und Käsebrote geben würde. Ist schon klar, dass das bei der Menge an Leuten im Lager nicht einfach ist, aber es gibt Wege, das zu verbessern."

Beteiligung der Bewohner gefordert

Der Iraner fände es ganz vernünftig, wenn die Behörden die Bewohner des Ankerzentrums nicht einfach nur verwalten, sondern sie aktiv einbeziehen würden. Mit einem runden Tisch, zum Beispiel.
"Man könnte von jeder Nationalität zwei, drei Leute nehmen und sich dann zusammensetzen und reden. Wir haben doch auch Ideen, das muss ja nicht alles von einer Stelle kommen. Dann arbeiten wir zusammen dran. Wir sind alles Menschen und können miteinander reden. Why not?"
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