Eigene Grenzpolizei und sieben Anker-Zentren

Bayerns umstrittener Sonderweg

Ein Grenzpolizist kontrolliert an der deutsch/österreichischen Grenze einen LKW.
Deutschland stellt die Grenzkontrollen wieder her, um den Zustrom von Migranten zu verhindern. © Getty Images Europe / Sean Gallup
Von Michael Watzke · 13.02.2019
Für die Integration anerkannter Flüchtlinge gibt Bayern mehr Geld aus als andere Bundesländer. Zugleich schiebt es auch Flüchtlinge, die keine Straftat begangen haben, nach Afghanistan ab. Für die einen ist das erfolgreiche Asylpolitik, andere nennen es "unnötige Härten".
Für Bayerns Innenminister Joachim Herrmann ist die bayerische Asyl- und Flüchtlingspolitik die erfolgreichste in Deutschland:
"Ich bin sehr zufrieden, wie sich die Arbeit der Grenzpolizei entwickelt hat. Wir freuen uns, dass insgesamt die Flüchtlingszahlen massiv zurückgegangen sind. Und dass wir im letzten halben Jahr wesentlich weniger Flüchtlingsankünfte in unserem Land haben, als das noch vor zwei oder drei Jahren der Fall war."
Alexander Thal dagegen, der Sprecher des Bayerischen Flüchtlingsrates, beschreibt die Asylpolitik im Freistaat so:
"Bayern ist tatsächlich das härteste Pflaster. Und nachdem Flüchtlinge ja gar keinen Einfluss darauf haben, wo ihr Asylantrag bearbeitet wird, kann man nur sagen: Wen es nach Bayern verschlägt, der hat tatsächlich Pech gehabt."

Traum von einem Leben in Deutschland

Um herauszufinden, ob Alexander Thal oder Joachim Herrmann Recht hat – oder vielleicht sogar beide – muss man sich die Situation detailliert und vor Ort anschauen. Zum Beispiel in Heilsbronn bei Nürnberg. Dort lebt seit 13 Monaten die Syrerin Susan Hasan mit ihrer Familie im Kirchenasyl. Ihr Zuhause: ein kleines Zimmer im Erdgeschoss des evangelischen Gemeindezentrums.
"Seit dem 10. Januar 2018 wohnen wir hier, schlafen und essen. Wir haben auch eine Küche."
Vor einem Jahr versuchte der Freistaat Bayern, die Hasans dorthin zu bringen, wo sie ihren ersten Asylantrag gestellt hatten: nach Bulgarien. Dagegen wehrt sich Susan mit allen Mitteln.
"Ja, ich hoffe, dass wir in Deutschland bleiben dürfen. Ein ganz normales Leben haben. Einen Job finden – ich und mein Mann und meine Kinder."

Andere Bundesländer schieben mehr Dublin-Flüchtlinge ab

Familie Hasan ist ein sogenannter Dublin-Fall, das heißt nach dem Dublin-Abkommen ist nicht Deutschland für ihren Asylantrag zuständig, sondern Bulgarien. Die bulgarischen Behörden nehmen Dublin-Flüchtlinge zurück – anders als etwa Italien. Die bayerischen Behörden versuchen deshalb, nach Bulgarien und in andere kooperierende EU-Länder abzuschieben.
Im Vergleich mit anderen deutschen Bundesländern ist Bayern dabei aber nur mäßig erfolgreich. Der Freistaat kommt auf eine Überstellungsquote von 23 Prozent. Rheinland-Pfalz und Thüringen schieben prozentual doppelt so viele Dublin-Flüchtlinge ab. Sogar Berlin liegt noch vor Bayern. Obwohl die Bundeshauptstadt weder ein eigenes "Landesamt für Asyl" hat – das gibt es nur in Bayern – und keine bayerische Grenzpolizei. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann sagt:
"Die Grenzpolizei hat die Aufgabe, die Schleierfahndung und Kontrollen unmittelbar an der Grenze zu machen. Schleierfahndung haben sie bisher schon gemacht – und sehr erfolgreich. Deshalb gehört es eben auch zu unserem Konzept, dass wir das jetzt personell verstärken. Da kommt es nicht auf den Namen an, sondern darauf, dass wir mehr Ausstattung, moderne Geräte, neue Fahrzeuge und mehr Personal in die Fahndung geben."

Bisher kaum Flüchtlinge an der Grenze aufgegriffen

Allerdings hat die bayerische Grenzpolizei seit ihrer Gründung im vergangenen Jahr nur eine Handvoll Flüchtlinge aufgegriffen. Denn die meisten Schleuserrouten verlaufen über die Autobahnen – und dort kontrolliert die Bundespolizei.
"Ich werde manchmal gefragt: warum ist das so? Warum gehen die nicht über die Nebenstraßen?", sagt Joachim Herrmann. "Ich kann es mir auch nicht erklären. Wir stellen nur an den Kontrollen fest: Es ist so."

Für Bayerns Innenminister beruht die bayerische Asyl- und Flüchtlingspolitik auf drei Säulen: Abschreckung von Schleusern an der Grenze, gute Integration von anerkannten Flüchtlingen und hohe Abschiebequoten von abgelehnten Asylbewerbern. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) nennt das einen bayrischen Dreiklang:
"Es ist ein Gesamtkonzept: mit der Grenzpolizei auf der einen Seite, mit klarerer Anwendung [geltenden Rechts] durch das Landesamt für Asyl, wenn es um Abschiebungen geht. Und auch die Einführung mehrerer Anker-Zentren. Da setzt Bayern, wie ich finde, klare Signale. Für viel Integration, mit viel Geld. Aber auch für Konsequenz in der Einhaltung des Rechtsstaates."
Zentrale Rolle der Anker-Zentren
Der Bayerische Innenminister Joachim Herrmann mit einem Fahrzeug der Bayerischen Grenzpolizei in einer Ausstellung zu ihrer Ausrüstung und ihrer Fähigkeiten. Er hält einen Laptop in der Hand.
Der Bayerische Innenminister Joachim Herrmann mit einem Fahrzeug der Bayerischen Grenzpolizei in einer Ausstellung zu ihrer Ausrüstung und ihrer Fähigkeiten. © imago stock&people / Sachelle Babbar
Die von Söder erwähnten Anker-Zentren spielen eine zentrale Rolle in der bayerischen Asylpolitik. "Anker" steht für "Ankunft, Entscheidung und Rückführung". Jeder Asylbewerber, der nach Bayern kommt, landet zuerst in einer der sieben Anker-Einrichtungen im Freistaat. Ist sein oder ihr Asylantrag erfolgreich, darf der anerkannte Flüchtling aus dem Anker-Zentrum in eine dezentrale Unterkunft ziehen, er darf arbeiten, eine Ausbildung machen und kostenlose Sprachkurse belegen. Wer dagegen abgelehnt wird und auch in einem anschließenden Berufungsverfahren vor Gericht scheitert, muss seinen Wohnsitz weiter im Anker-Zentrum behalten. Denn das Wichtigste an diesen Zentren sei, so Innenminister Herrmann:
"Dass hier Zuständigkeiten verschiedener Behörden gebündelt werden. Dass von hier aus die Personen, die abgeschoben werden sollen und von den zentralen Ausländerbehörden gemeldet werden, ganz gezielt in den Verfahren beschleunigt werden. Einerseits nochmal angesprochen werden, dass sie freiwillig ausreisen und dafür auch gewisse Unterstützung bekommen. Dass aber umgekehrt, wenn jemand der freiwilligen Ausreise nicht nachkommt, dann gegebenenfalls auch nachgeholfen wird."

"Es gibt kein Vor und kein Zurück, keine Integration"

Sind die bayerischen Anker-Zentren tatsächlich erfolgreich? Nein, findet Alexander Thal vom Bayerischen Flüchtlingsrat, einer Lobby-Organisation zur Unterstützung von Asylbewerbern in Bayern.
"Nehmen wir das Beispiel Irak: Weniger als die Hälfte der Flüchtlinge aus dem Irak werden vom Bundesamt anerkannt. Ein großer Teil klagt gegen diese Ablehnung und bekommt dann vor Gericht Recht – etwa 50 Prozent. Alle anderen sitzen da. Es gibt aber keine Abschiebung in den Irak. Das heißt, die Menschen gelten als ausreisepflichtig. Weil die Situation im Irak aber so bescheiden ist, wie sie ist, gibt es keine Abschiebung. Und die Menschen bleiben dann mit einer Duldung in dem Anker-Zentrum stecken. Es gibt kein Vor und kein Zurück, keine Integration. Sondern sie bleiben in diesem Lager."
Zwar dürfen die Bewohner eines Anker-Zentrums die Einrichtung jederzeit verlassen – aber sie dürfen nicht ausziehen. Und sie leben häufig in Mehrbettzimmern.
"In so einem großen Lager hält man es mal zwei, drei Monate aus, auch mal ein halbes Jahr. Alles darüber ist einfach nur psychischer Druck zur Ausreise. Das macht die Menschen psychisch krank und fertig."

Maximal 24 Monate im Anker-Zentrum

Laut Bundesgesetz darf der Freistaat Bayern abgelehnte Asylbewerber bis zu 24 Monate lang in Ankerzentren unterbringen. Hans-Eckhard Sommer, der Präsident des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, kurz BAMF, sieht die bayerischen Anker-Zentren positiv.
"Ich denke, es ist zumindest für Flächenstaaten ein Muster, was Bayern hier macht. Aber das muss jedes Bundesland für sich selbst entscheiden, wie es seine Organisations-Struktur macht. Wir haben ganz unterschiedliche Ländergrößen und –Strukturen."

Andere Bundesländer gehen ähnlich vor

Außer in Bayern gibt es Anker-Zentren bisher nur in zwei weiteren Bundesländern: im Saarland und – probeweise – in Sachsen. Allerdings haben viele Bundesländer mittlerweile Einrichtungen geschaffen, die Anker-Zentren stark ähneln. Sie heißen nur anders – etwa "Landes-Gemeinschafts-Unterkunft" in Nordrhein-Westfalen. Auch hier versuchen die Behörden, abgelehnte Asylbewerber möglichst lange zentral unterzubringen, um sie leichter abschieben zu können.
Betrachtet man die Gesamtzahl der Abschiebungen in die Herkunftsländer von Asylbewerbern, dann liegt Bayern im Bundesvergleich tatsächlich an der Spitze. Auch wenn Bayerns Innenminister Herrmann in dieser Statistik keine Rangliste aufstellen will.
Ein Polizeiwagen und eine Gruppe von Migranten auf einem Feld vor einem bayrischen Dorf.
Die Bayrische Polizei begleitet eine Gruppe von Migranten von der österreichischen Grenze.© Getty Images Europe / Johannes Simon
"Wir führen da jetzt keine mathematischen Diskussionen. Der klare Anspruch ist, dass wir insgesamt die freiwillige Rückkehr, aber auch die Abschiebungen entsprechend verstärken, so dass das deutsche Recht konsequent umgesetzt wird. Parallel laufen die Maßnahmen zur noch besseren Integration derer, die hier bleiben dürfen. Und in der Gesamtheit ergibt das, glaube ich, ein überzeugendes Bild."Bayern schiebt Flüchtlinge auch nach Afghanistan ab
"Wir haben tatsächlich eine sehr eigene bayerische Asylpolitik. Bayern versucht, alles, was die Bundesgesetze hergeben, auszudehnen und rauszuholen, was geht", sagt Alexander Thal, der Sprecher des Bayerischen Flüchtlingsrates. "Und immer dann, wenn die Gesetze nicht mehr ausreichen, wird mal schnell eine bundesgesetzliche Neuregelung durchgesetzt. Und dann gibt’s die nächste Verschärfung auf Bundesebene. Und dann hat Bayern wieder Platz, um weiter zu experimentieren."

Integration und Härte

Ist das eine erfolgreiche oder eine überharte Asylpolitik? Die Antwort auf diese Frage fällt je nach politischem Standpunkt aus. Fakt ist: Bayern gibt mehr Geld für Integrations-Maßnahmen von anerkannten Flüchtlingen aus als jedes andere deutsche Bundesland. Gleichzeitig schiebt es als einziges Bundesland auch abgelehnte Flüchtlinge nach Afghanistan ab, die nicht straffällig geworden sind. Und der Freistaat gibt auch im Fall Susan Hasan im Kirchenasyl Heilsbronn nicht nach. Die Syrerin erinnert sich an die versuchte Abschiebung der bayerischen Behörden vor einem Jahr:
"Die Polizei hat uns im Auto mitgenommen zum Flughafen München. Ich habe immer geweint. Uns geht es so schlecht, auch den Kindern und meinem Mann. Der hatte auf dem Weg Herzschmerzen."

Bayern als Sackgasse

Damals gelang es den Hasans, ihre Abschiebung nach Bulgarien im letzten Augenblick zu verhindern. Nun wohnen sie seit mehr als einem Jahr im Kirchenasyl. Von Zeit zu Zeit bekommen sie Besuch von einer befreundeten syrischen Familie. Die ist in Deutschland anerkannt, hat schnell Arbeit gefunden und lebt ein glückliches und erfolgreiches Leben in Bayern. Susan dagegen lebt in Angst. Denn die Behörden könnten jederzeit wieder versuchen, die Hasans abzuschieben. Für die Familie aus Aleppo ist Bayern zur Sackgasse geworden.
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