Anja Kampmanns Debütroman "Wie hoch die Wasser steigen"

Freunde auf einer Bohrinsel

Das Bild zeigt die Ölbohrplattform Brent Delta in der Nordsee.
Der Roman spielt unter anderem auf einer Bohrinsel im Atlantik. © dpa/ Ross Johnston ARPS/Shell
Anja Kampmann im Gespräch mit Frank Meyer · 31.01.2018
Anja Kampmanns Debütroman erzählt von einer Männerfreundschaft auf einer Bohrinsel - und wie der Ölbohrarbeiter Wenzel Groszak dort seinen einzigen Freund verliert. Vor dem Schreiben habe sie mit vielen Menschen gesprochen, die auf solchen Bohrplattformen gearbeitet haben, sagt Kampmann.
Frank Meyer: Ein Mann verliert seinen besten Freund oder vielleicht auch seinen Geliebten. Nachts verschwindet dieser Freund von einer Bohrinsel im Atlantik vor der marokkanischen Küste, und dieser Verlust setzt jede Menge in Gange in dem Roman "Wie hoch die Wasser steigen" von Anja Kampmann. Die Autorin ist Mitte 30, sie hat schon einen sehr gut besprochenen Gedichtband veröffentlicht. Das ist jetzt ihr erster Roman, in dieser Woche gerade erschienen. Und Anja Kampmann ist jetzt hier bei uns im Studio. Seien Sie herzlich willkommen!
Anja Kampmann: Dankeschön!
Meyer: Was Sie da erzählen vom Arbeiten am Bohrtisch, so heißt offenbar ein Teil der Bohrinsel oder vom fahlen Licht in den Innenräumen dieser Bohrplattform, oder von Ohrenschützern, von Überlebensanzügen, das klingt alles sehr plastisch, sehr realistisch. Man hat so den Eindruck, Sie haben vielleicht eine Vorgeschichte als Ölarbeiterin. Ich weiß es nicht. Woher kennen Sie das alles so gut?
Kampmann: Ich hab' natürlich schon jetzt mich da mehrere Jahre mit beschäftigt und sehr viel recherchiert und hab' dann auch sehr viele Leute gesprochen, die da eigentlich auf der ganzen Welt auf Bohrplattformen gearbeitet haben. Die haben mir ihre Kabinenvideos geschickt, die haben mir ihre Anekdoten erzählt. Ich hab' auch mit Leuten gesprochen, die auf so Gasbohrungen an Land waren und mir ihre alten Fotomaterialien gezeigt haben, also auch, wie sich diese Bohrtechnik verändert. Und dann war für den Roman, glaube ich, die Aufgabe, diese ganzen Recherchen wieder über Bord zu werfen und einfach die Details, die man dann noch gebrauchen kann, übrig zu lassen.

Ein vollkommen isolierter Ort

Meyer: Und was fanden Sie überhaupt interessant an diesem Schauplatz einer Bohrinsel, einer Bohrplattform?
Kampmann: Es ist natürlich ein Ort, der vollkommen isoliert ist. Die arbeiten zwölf Stunden am Tag, es ist eine total harte physische Arbeit. Man kann abends dem nicht entkommen, es ist extrem hierarchisch. Es ist so eine Männergesellschaft auch mit extremen Hierarchien, und ich glaube einfach, wenn man eine Figur hat und die in so einem Umfeld zeigt, dass man sehr viel schneller an quasi so einen Kern kommt und auch an die Schichten, die man sonst gar nicht sehen will. Also, wenn man sich nicht zurückziehen kann und nicht entspannen kann, kommt einfach sehr viel mehr hoch, und es ist eine andere Energie auch, glaube ich, in der Luft.
Meyer: Und ich dachte auch beim Lesen, es ist vielleicht auch eine Art Gleichnis für unsere moderne Arbeitswelt oder eine Seite unserer modernen Arbeitswelt, weil man erfährt aus ihrem Roman auch, dass diese Männer, diese Ölarbeiter praktisch um die ganze Welt geschickt werden. Mal bohren sie im Golf von Mexiko, mal irgendwo im Nordatlantik oder wie jetzt eben hier vor der afrikanischen Küste. Also das sind auch so moderne Arbeitsnomaden, diese Männer, oder?
Kampmann: Genau. Es wird auch erzählt, dass sie alle sehr jung aufbrechen eigentlich und schnell viel Geld machen wollen, viel rumreisen. Und sie sind aber eben nicht die klassischen Business-Class-Flieger, die dann ihren Laptop auspacken, sondern sind so in diesem Arbeitskorsett auch, was gar nicht so viel Freiraum für den Einzelnen lässt. Es gab mal von Musil so was, man ist immer mehr, als man tut, aber wenn man zwölf Stunden am Tag malocht und dann in diesen engen Kabinen ist und einfach so viel auf einen einprasselt, was ist dann noch übrig. Und es war für mich schon interessant, so eine Figur zu haben.
Meyer: Ihre Figur ist eben ein Mann aus dieser Männerwelt, Vaclav heißt er, ein Mann von Anfang 50. Wie gesagt, Sie sind Mitte 30. Warum haben Sie sich jetzt einen Mann dieses Alters ausgesucht als Hauptfigur für Ihren Roman?
Kampmann: Es ist ja eine Figur, die da jetzt schon seit irgendwie zwölf Jahren draußen auf den Wassern ist und auch immer wieder diese jungen Kerle sieht, die quasi rauskommen, also neu auf die Plattform kommen und für die das alles noch neu ist, und diese ganze Welt liegt irgendwie vor ihnen. Und bei dem Vaclav sind so ein paar Träume eigentlich auch schon ausgeträumt, und er kommt langsam an einen Punkt, wo man sich dann nicht mehr mit der Illusion von dem, was man einmal sein wird, zufrieden gibt.
Ich fand es einfach interessant, jemanden zu haben, der auch viel schon gesehen hat, der jetzt auch nicht quasi auf die Fallen am Anfang reinfällt, und den dann zu begleiten. Es ist auch kein selbstreflexiver Mann, der dann irgendwie anfängt, über sich nachzugrübeln. Er möchte eigentlich alles lieber als das. Und das ist, glaube ich, interessant, wenn man einfach auch schon eine Geschichte hat.
Meyer: Und eine besonders interessante Seite dieses Mannes, mit der man so nicht rechnen würde vielleicht in dieser rauen Welt der Männer, Hierarchie haben Sie gesagt, da draußen ausgesetzt unter lauter anderen Männern. Er hat eine sehr zarte Seite, die sich besonders auch zeigt in der Beziehung zu seinem Freund. Ich habe es vorhin schon einmal kurz angedeutet, sein Freund Matthias, das ist der, der da in dieser Nacht von der Bohrplattform verschwindet. Was für eine Art Beziehung die beiden haben, das lassen Sie ganz offen in Ihrem Roman.
Man erfährt, dass sie offenbar sehr nahe miteinander sind, dass sie ein Zimmer auf der Plattform teilen, dass sie an Land ein gemeinsames Zimmer haben, dass sie viel Zeit miteinander verbringen, dass sie sich auch körperlich berühren. Aber ob sie eigentlich ein Liebespaar sind, die beiden, das lassen Sie die ganze Zeit offen. Und mir ging es so beim Lesen, dass ich die ganze Zeit dachte, wann erfahre ich das denn jetzt mal endlich. Warum lassen Sie das so offen?
Die Autorin Anja Kampmann zu Gast bei Deutschlandfunk Kultur in Berlin im Januar 2018.
Die Autorin Anja Kampmann zu Gast bei Deutschlandfunk Kultur in Berlin im Januar 2018.© Deutschlandradio / Alexander Moritz
Kampmann: Ich glaube eben, weil das so eine Freundschaft ist, die so ganz viele Ebenen hat. Einerseits, die verlassen sich aufeinander, die ziehen rum, und andererseits gibt es eine Ebene, die das weit übersteigt. Und ich glaube, was der Roman eben macht, ist wirklich, die Bedeutung dieser Freundschaft zu erzählen. Und es gibt eben auch sehr viele Andeutungen, die dann darüber hinausgehen.
Aber ich glaube, das Wichtige ist eigentlich, zumal es ja den Matthias dann gar nicht mehr in der Geschichte außer in Rückblenden gibt, zu erzählen, was das mit Vaclav angestellt hat, diese Form von Freundschaft oder Liebe. Das ist, glaube ich, eine Sache, die, wenn man das jetzt literarisch am Schopfe packt, auch - ich glaube, man muss einfach aufpassen, dass es dann, wenn man es so sehr vereindeutigt, dann wird, glaube ich, der Roman auf eine ganz andere Art gelesen.
Und so ist es, glaube ich, hat es so ein bisschen was von dieser Zartheit. Es gibt viele Erinnerungen an den Anfang dieser Freundschaft, wo man einfach merkt, das hat eine ganz große Bedeutung, und es hat sich wirklich was verändert. Die beiden ziehen zusammen los, und es gibt so eine große Nähe, und das wollte ich jetzt nicht durch den …
Meyer: Durch eine eindeutige Zuschreibung dann ausschöpfen.
Kampmann: Genau.
Meyer: Und was das für eine Bedeutung hat für Vaclav, merkt man natürlich auch dann in dem Moment, wo er seinen Freund verliert, weil der eben verschwindet, wahrscheinlich tot ist. Vaclav begibt sich daraufhin – verlässt diese Plattform und geht auf eine Reise eigentlich, quer durch Europa, kommt aus Nordafrika, Malta, Italien, Deutschland, Polen sind Stationen. Was ist das für eine Reise, auf die er da geht, die ja den größten Teil des Buches ausmacht.
Kampmann: Es ist schwierig zu sagen. Ich glaube, es ist jetzt nicht so, dass er sich einfach auf den Weg zurück macht. Es ist so, dass er am Anfang einfach … Er ist da so in diesem schnellen Modus von Arbeiten. Und er will eigentlich weiter, sogar, nachdem der Freund verstorben ist und er in Ungarn mehrere Wochen war, geht er eigentlich zurück zur Arbeit. Und erst als er merkt, dass dieses Konzept wirklich nicht mehr funktioniert, taumelt er dann eigentlich zurück. Es ist nicht so, dass er zielgerichtet geht, sondern er besucht noch eine alte Geliebte und trifft eben verschiedene Figuren, die auch wichtig für ihn sind, aber er ist nicht jemand, der sich jetzt was vornimmt und der vielleicht auch ein bisschen Angst hat vor der Frage, was passiert, wenn ich zurück gehe.

"Es ist so eine diffuse Suche"

Meyer: "Zurück" sagen Sie, weil er eben aus Deutschland ursprünglich kommt, er kommt aus einer Familie polnischer Einwanderer eigentlich, im Ruhrgebiet. Sein Vater hat dort gearbeitet, da ist er groß geworden, also in Deutschland als Kind einer polnischen Familie. Dorthin geht er zurück, eben auch nach Polen zurück. Und diese Reise zurück, ist das eine Suche dieses Mannes, dieses Arbeitsnomaden, dieses modernen, ortlosen Menschen, auch nach dem Ort, wo er vielleicht mal zu Hause war, vielleicht wieder zu Hause sein kann?
Kampmann: Ja, sicher. Es ist so eine diffuse Suche. Ich glaube, es gibt so ein Gefühl von so einer Sehnsucht nach dem Ort, wo er mal war, und gleichzeitig eben diese große Angst, danach zu fragen, was da noch ist. Und er nähert sich dem Ganzen ja erst mal geografisch und wird dann noch eben so halb dazu gezwungen, mit seiner Taube zurückzufahren. Und dann kommt er in eigentlich in die Situation, sich damit ein bisschen auseinandersetzen zu müssen. Aber ich fand es eben auch interessant, eine Figur zu haben, die jetzt nicht sich zurücklehnt und in erster Linie darüber nachdenken will, sondern einfach zu erleben, wie sie das erfährt, diese Reise.
Meyer: Ich frage mich da dann natürlich auch, wieso Sie zu so einem Thema kommen, warum Sie von so einer Ortlosigkeit erzählen, von so einer Suchbewegung nach einem Zuhausesein erzählen. Heimat, wo gehört man hin, ist ja sowieso gerade zurzeit ein sehr großes Thema. Und als ich auf Ihre Biografie geschaut habe, habe ich gesehen, Sie haben jetzt nicht auf Bohrinseln gearbeitet, aber Sie waren auch rund um die Welt unterwegs. Wie viele Autoren heute mit Autorenstipendien in den USA, in Polen, Österreich, Schweiz, an der Ostsee, viele Orte. Hat das auch damit was zu tun, dass auch diese modernen Autoren-Daseinsformen Sie auch in so eine Ortlosigkeit drängt?
Kampmann: Ja, sicher. Ich glaube, es sind auch nicht nur Autorenbiografien, sondern auch an Universitäten und im Hotelgewerbe. Es gibt so viele Arbeitswelten, in denen diese Ortswechsel quasi selbstverständlich verlangt werden. Im Roman ist halt immer auch die Frage, was ist man eigentlich bereit, dafür zu zahlen, oder was gibt man auf? Und das sind, glaube ich, Fragen, die sich jetzt der Vaclav ewig nicht gestellt hat und die jetzt auf einmal so reinbrechen. Und insofern ist es, glaube ich, eine – natürlich ist es bei ihm viel extremer, aber diese Erfahrung, dieses Unstete ist, glaube ich, auch bei Musikern eigentlich sehr präsent, auch in meinem Umfeld.
Meyer: Das sagt Anja Kampmann. "Wie hoch die Wasser steigen" heißt ihr Roman, im Hanser-Verlag erschienen, mit 350 Seiten, 23 Euro ist der Preis. Ich sage vielen Dank bis hierher, Sie bleiben noch bei uns, damit wir noch über andere Dinge reden können.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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