Angst vor Verdrängung

Ein Haus im Widerstand

Plakat an einem Berliner Haus: "Markt oder Mensch?"
Soziale Erhaltungsgebiete sind nur bedingt ein Schutz vor der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen. © dpa/picture alliance/Paul Zinken
Von Tini von Poser · 12.03.2018
Mieterhöhungen oder Modernisierungen verändern das soziale Gefüge in vielen Stadtteilen. Die Kommunen versuchen diese Entwicklung durch Milieuschutzgebiete zu bremsen. Die Mieter schützt das aber nur bedingt – wie ein Beispiel in Berlin-Wedding zeigt.
An der bräunlichen, etwas heruntergekommenen Fassade eines Altbaus im Berliner Stadtteil Wedding hängen Protestfahnen von Fenstern und Balkonen. Sie tragen Aufschriften, wie: Unser Zuhause. Herz statt Profit. Oder: AmMa65. Die 40-jährige Französin Sandrine Woinzeck lebt hier mit ihrem gleichaltrigen Mann Thomas und ihren zwei Kindern.
"AmMa65, der Name steht für unser Haus, ist ein Eckhaus, das ist in die Malplaquetstraße und die Amsterdamer Straße, deshalb Am für Amsterdamer Straße, Ma für Malplaquetstraße und 65 ist die alte Postleitzahl von Wedding. Und das ist ein Verein, den wir gegründet haben, schon bevor das Haus im Verkauf war."
Im Erdgeschoss des Hauses sind zwei Gewerbe: ein gut besuchter Laden mit Gebrauchtwaren und eine Alt-Berliner Kneipe. Ansonsten wohnen 29 Mietparteien in dem stark sanierungsbedürftigen Haus. Inmitten eines sogenannten Milieuschutzgebietes. Als die AmMa65 im November 2017 plötzlich ihr Haus bei Immobilienscout inseriert sah, waren die Hausbewohner schon eine eingeschworene und gut informierte Gemeinschaft. Doch nun musste alles ganz schnell gehen, erzählt Thomas Woinzeck.
"Wir wussten, dass sobald der potentielle Hauskäufer den Grundbuchentrag ändern möchte beim Bezirksamt, wir nur noch acht Wochen Zeit haben. Solange dauert das Vorkaufsrecht an."

Das Kommunen in Milieuschutzgebieten haben. Seit 2013 kann die Stadt Berlin dabei auch für Dritte kaufen. Die Hausgemeinschaft setzte sich also mit Politik und Presse in Verbindung, schrieb Stiftungen an, mit deren Hilfe sie das Haus selbst kaufen wollte. Doch zu spät: im Januar unterschrieb Immobilien-Investor Jakob Mähren den Kaufvertrag.

"Und was ein bisschen bitter war in unserem Fall, dass an dem Tag, an dem wir erfahren haben, dass der Käufer diese Abwendungsvereinbarung unterschrieben hat, haben wir am Abend die Zusage der Stiftung erhalten, also wenn er nicht unterschrieben hätte, hätten wir unser Projekt durchführen können und wir hätten ein selbst verwaltetes Haus."

Grenzen beim Vorkaufsrecht der Kommunen

Dem Vorkaufsrecht der Kommune setzt das Baurecht Grenzen, wenn – wie im Fall der AmMa65 - der Käufer eine sogenannte Abwendungsvereinbarung unterschreibt. In dieser musste sich Jakob Mähren verpflichten, die Bedingungen des Milieuschutzgebietes einzuhalten: also weder teure Luxussanierung noch überhöhte Mieten. Für die Hausgemeinschaft AmMa65 ein begrenzter Erfolg.
Thomas: "Unser Haus ist verkauft, aber wir sind davon überzeugt, dass das Problem immer noch besteht, weil unser Käufer, Herr Mähren das Haus irgendwann weiter verkaufen wird. Selbst wenn Herr Mähren jetzt kein Interesse daran hat, unsere Mieten dermaßen zu erhöhen, das wir da nicht mehr wohnen könnten, entsteht aber ein höherer Druck beim nächsten Käufer, der muss ja auch sein Geld rein bekommen oder strebt Rendite an. Von daher ist für uns konkret vielleicht ein wenig Zeit gewonnen, aber gar kein Problem gelöst."
Milieuschutzgebiete sind soziale Erhaltungsgebiete, in denen man die bauliche Eigenart nach außen erhält, erklärt Ephraim Gothe, Stadtrat für Soziales, Gesundheit und Stadtentwicklung im Bezirk Mitte, wozu auch der Wedding gehört. Doch Milieuschutz bedeutet nur bedingt Mieterschutz.

"Vom Grundsatz ist die Umwandlung in Eigentumswohnungen verboten, allerdings gibt es dummerweise und das ist das Ergebnis harter Lobbyarbeit bei der Gesetzgebung im Bundestag gewesen, gibt es einen Ausnahmeparagraphen, der sagt, man darf doch umwandeln, wenn man sieben Jahre lang die umzuwandelnde Wohnung nur den Mietern anbietet. D.h. im Endeffekt wird wie wild umgewandelt. Das ist eine sogenannte Lücke oder ein Schlupfloch, und es ist der Wunsch aller Beteiligten, dass dieses Schlupfloch geschlossen wird."
Ephraim Gothe, Baustadtrat von Berlin-Mitte
Ephraim Gothe, Baustadtrat von Berlin-Mitte© imago / Tagesspiegel

'Share Deals' erschweren die Situation zusätzlich

Ein weiterer Pferdefuß seien Share Deals, die unter Immobilienhändlern immer populärer würden.
"Bei den Share Deals wird nicht das Grundstück gehandelt, sondern eine Gesellschaft, die über dieses Grundstück verfügt, und da gibt es eben eine Lücke in der Steuergesetzgebung, dass wenn so eine Gesellschaft eben nur zu 95 Prozent verkauft wird, dann kommen solche Kaufgeschichten eben nicht auf den Tisch unseres Amtes, sondern bleiben unter dem Radar."
Der Stadt Berlin sind durch Share Deals bereits hohe Summen an Steuereinnahmen entgangen. Darüber hinaus machen sie die Mietverhältnisse völlig unübersichtlich, was sich wiederum für den Mieterschutz negativ auswirken kann. Wie aber Jakob Mähren mit dem Weddinger Eckhaus Profit machen wolle, ist Stadtrat Ephraim Gothe schleierhaft.
"Er muss da investieren in das Haus und zwar relativ viel, weil das Haus wirklich marode ist, und wir haben tatsächlich miteinander gestaunt. Wir waren schon ein bisschen überrascht, dass er sich das eben vorstellen kann und uns garantiert hat, dass er diese Verordnungsmieten nicht überschreitet."

Die Mitglieder der AmMa65 stecken den Kopf nicht in den Sand. Sie haben inzwischen ein Netzwerk gebildet mit Mietern auch aus anderen Stadtteilen Berlins, die sich ebenso wie sie vor Verdrängung fürchten. Inzwischen haben sie sich zweimal getroffen. Einer Teilnehmerin geht es darum, ihren Kinderladen zu retten:
"Ich verstehe mich jetzt als Ameise. Du hast Dir so das Bild zurechtgelegt, dass Du eine Ameise bist, dem Investor ans Bein pinkelst. Und je mehr Ameisen zusammen kommen, desto mehr wird es sie jucken (lachen). Das find ich schön und da will ich mitpinkeln."
Sandrine: "Das Ziel des Vereins war sozialverträgliche Miete für die Hausbewohner zu sichern. Jetzt Wohnraum zu sichern oder sozialverträgliche Mieten zu sichern, ist eigentlich eine politische Frage. Es geht nicht nur um ein Individuum, das probiert, sein Zuhause zu retten, sondern das ist eine richtige politische Frage."
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