Angriffe auf die Hochkultur

Die Forschheit der anti-intellektuellen Spießer

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Anmut und Würde: Dafür stand Schiller ein. Zu seinen Zeiten ein "wahnsinniger Anspruch" - genau wie heute, meint Michael Schikowski. © picture alliance / dpa / Inga Kjer
Von Michael Schikowski · 18.07.2018
Hochkultur wollte nie hochmütig sein, sondern als Ressource des Humanen dienen. Doch wie alles Geistige ist sie inzwischen Hohn und Spott ausgesetzt. Michael Schikowksi interveniert daher: Zurück zu Schiller, zurück zu Anmut und Würde.
Es ist fast selbstverständlich geworden, schöngeistige Kultur mit Anführungszeichen zu versehen. Als sei schöngeistige Kultur ein Zitat aus Schillers Zeiten, das man nicht mehr ganz ernst zu nehmen braucht und darum mit erhobenen Augenbrauen ironisch kennzeichnet. Schiller schrieb ja bekanntlich so Sachen über "ästhetische Erziehung" und über "Anmut und Würde".
Auch die Selbstvermarktung eines TV-Literaturkritikers als "Verteidiger des Guten, Wahren und Schönen" ist kaum anders als unernst zu verstehen. Dass auf diesem Markt die Kultur, statt sich vom Alltag abzuheben, zur Ressource des Alltags verkommt, wird als Kulturpessimismus abgetan. Alles Geistige erntet Spott und wird als indirekte Abwertung des Sinnlichen, ja als Unfähigkeit zur Sinnlichkeit gewertet.

Komplizen im Kampf gegen den Geist

Diese Überzeugungen wirken schon einige Jahrzehnte und erweisen sich für die dringend notwendige Verteidigung unserer kulturellen Standards als enormes Hemmnis. Zusammen mit offenbar tief sitzenden antibürgerlichen Affekten in einer breiten Bevölkerungsschicht gewinnen die unverhohlenen Verächter der Hochkultur an Macht und Einfluss.
Wundert es da noch, dass die Monopolkommission – ein ökonomischer Sachverständigenrat – unlängst das Buchpreisbindungsgesetz genau darum kritisierte, weil es sich dem "Schutz des Kulturgutes Buch" verschreibt? Für die Wettbewerbshüter ist das "Kulturgut Buch ein nicht klar definiertes kulturelles Schutzziel".
Hätte man vor vierzig Jahren derart unverfroren gewagt, aus den Wirtschaftswissenschaften heraus in den Kernbestand der Geisteswissenschaft hinüberzugreifen?

Freche Angriffe

Diese Forschheit macht baff. Was Hochkultur nie sein wollte – nämlich hochmütig – zwingt sie nun, höflich auf jede freche Behauptung ernsthaft zu antworten, auf jede kaltblütige Lüge eine umständliche Richtigstellung zu versuchen – auch wenn schon keiner mehr zuhört.
Die kulturellen Standards wie Fairness, gefällige Umgänglichkeit und joviale Geselligkeit sind in einem schwindelerregenden Tempo außer Kurs geraten, und die überall anzutreffende Masche ist, die liberale Öffentlichkeit auf ihre Liberalität festzulegen, während man zugleich ihre Foren mit illiberalen Statements überflutet und unterminiert. Selbst Verteidiger dieser Liberalität verlieren dabei gelegentlich die Fassung.

Das Spießertum der Anti-Intellektuellen

Die Ambitionen der frühen DDR und späten BRD, unnötige Barrieren in einer "Kultur für alle" abzubauen und kulturferne Menschen für Kultur zu interessieren, hat den Eindruck entstehen lassen, dass es gewiss an der Kultur liege, wenn alle Bemühungen der Kulturfernen nichts fruchten.
Die zuweilen durchaus berechtigte Kritik an der Arroganz des Geistes hat aber nicht etwa nachdenkliche und kritische Zeitgenossen hervorgebracht, sondern antiintellektuelle Spießer und rücksichtslose Hedonisten. Sie deuten das Verstehen von Anspruchsvollem in einen Anspruch auf Verständnis um. Die Kultur solle gefälligst – ganz marktkonform – auf ihrer Bedürfnishöhe liefern.

Zurück zu Schiller

So bleibt uns heute kaum mehr als der Rückgriff auf Schiller. Zu seiner Zeit haben sich die führenden Kreise ‐ eine eitle, liederliche, reiche Clique - um den Dichter nicht geschert. Ihr Hedonismus war der der Körperfunktionen. Die allgemeine Alphabetisierungsrate lag bei 20 bis 30 Prozent.
Schiller war einfach wahnsinnig mit seinen Ansprüchen. Und er ist es noch heute, denn es scheint, als sei eine solch kulturferne Oberschicht in veränderter Form wieder da, unverschämt, brutal und erfolgreich von TV-Model-Gouvernanten über Fraktionsvorsitzende bis hin zu Präsidenten.
Um unsere Ansichten über sie zum Ausdruck zu bringen, müssen wir auf Schiller zurückgreifen, denn ihnen fehlt ganz ernsthaft und ohne Ironie – den Spott riskiere ich – Anmut und Würde.

Michael Schikowski ist für Verlage und Buchhandlungen tätig und Lehrbeauftragter an den Universitäten Bonn und Düsseldorf. Er publizierte zuletzt den Essay "Im Buchhaus: Wohnzimmer, Bücherei, Buchhandlung". Seit einigen Jahren stellt er die Erzähler des 19. und 20. Jahrhunderts in Leseabenden vor, die auf seiner Seite www.immerschoensachlich.de mit weiteren Rezensionen zu finden sind.

Publizist und Verlagsmanager Michael Schikowski lächelt freundlich in die Kamera
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