Angela Merkel in Griechenland

Politische Zuckerwatte hilft nicht gegen den Frust

Der griechische Regierungschef Tsipras und Bundeskanzlerin Merkel in Athen
Der griechische Regierungschef Alexis Tsipras und Bundeskanzlerin Merkel zeigten sich in Athen sehr harmonisch. © AP Photo/Thanassis Stavrakis
Andres Veiel im Gespräch mit Korbinian Frenzel  · 11.01.2019
Angesichts des Griechenland-Besuchs der Kanzlerin erinnert der Filmemacher Andres Veiel an die Rolle der EU-Troika in der griechischen Schuldenpolitik. Ihm selbst sei in Griechenland viel Unmut begegnet. Ist die europäische Idee beschädigt?
Zum Abschluss ihres zweitägigen Athen-Besuchs traf Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit Staatspräsident Prokopis Pavlopoulos und mit Oppositionsführer Kyriakos Mitsotakis zusammen. Zuvor hatte sie sich mit dem griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras ausgetauscht.
Andres Veiel im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur auf der Berlinale
Andres Veiel im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur. © Foto: Getty für Audi
Unser Studiogast, der Filmemacher Andres Veiel, war erst kürzlich in Griechenland und hat in vielen Gesprächen die tiefe Frustration vieler Griechen miterlebt. Das habe sehr viel mit der EU-Troika zu tun und den Bedingungen, die Griechenland aufgedrückt worden seien. Vor allem die Unter- und Mittelschicht habe damals bluten müssen. "Das heißt, es wurde ganz viel privatisiert und ausverkauft", sagte Veiel und zählte auf: Wasserwerke, Flughäfen, das Bahnnetz. So sei das Flughafengelände zu einem Schleuderpreis an einen griechischen Oligarchen verkauft worden.

Die Oligarchen kamen davon

Es sei bekannt, dass 250 Milliarden Euro Steuern von griechischen Oligarchen am griechischen Staat vorbei nach Deutschland in die Schweiz oder nach Lichtenberg geschleust worden seien. "Das alleine ist die Summe der Kredite", kritisierte Veiel. Ausgepresst worden seien die Rentner, Arbeitslosen und Besitzer kleinerer Grundstücke. Letztere seien plötzlich von den Behörden erfasst worden und mussten Steuern nachzahlen.

Der Kolonialismus-Vorwurf

Er habe deshalb in Griechenland Äußerungen gehört, die ihm wehgetan hätten. Sein eigener Vater habe als Soldat im Zweiten Weltkrieg in Griechenland gekämpft. "Bitter" sei es, wenn er jetzt höre, dass Troika, EU-Kommission und Internationaler Währungsfonds angeblich das geschafft hätten, was den deutschen Soldaten damals nicht gelungen sei – nämlich Griechenland zu kolonialisieren.
Auch wenn er den "Kolonialismus-Verdacht" nicht teile, verstehe er diesen Unmut vieler Griechen, sagte Veiel. "Da ist die europäische Idee beschädigt worden." Da nütze es auch nichts, wenn Merkel und Tsipras versuchten, "Zuckerwatte darüber zu streuen" und ankündigten, die Märkte kämen zurück. "Wem nützt das in erster Linie?" Es nütze vor allem der Oligarchie, die ihr Geld angelegt habe und daran werde sich wenig ändern.
(gem)

Der Filmemacher, Regisseur und Autor Andres Veiel wurde 1959 in Stuttgart geboren. Er studierte Psychologie und absolvierte parallel eine Ausbildung in Regie und Dramaturgie am Künstlerhaus Bethanien in Berlin, unter anderem bei dem polnischen Filmregisseur Krzysztof Kieślowski. Einem großen Publikum wurde Veiel 2001 durch den Dokumentarfilm "Black Box BRD" bekannt, der zahlreiche Preise bekam. 2011 folgte sein erster Spielfilm "Wer wenn nicht wir", dem andere Filme folgten. 2005 wurde sein Theaterstück "Der Kick" uraufgeführt und feierte große Erfolge. 2017 hatte der Dokumentarfilm "Beuys" auf der Berlinale Premiere. Zuletzt inszenierte Veiel am Deutschen Theater in Berlin das Stück "Let Them Eat Money. Welche Zukunft?!".

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