Angela Krauß: "Der Strom"

Inneres Porträt einer Dichterin

Das blaue Cover von Angela Krauß' Buch befindet sich auf einem Hintergrund, auf dem eine Feder auf einem Buch zu sehen ist.
Die Sprache dieses schmalen Bandes ist licht und fein, voller Metaphern, Motive und Zitate aus der deutschen Romantik: © Unsplash
Von Sarah Elsing · 20.02.2019
Das neue Buch von Angela Krauß "Der Strom" soll Prosa sein. Es ist aber eher ein Gedicht in fließenden Sätzen. Eine Dichterin ist der Welt abhanden gekommen. Nun rauschen Erinnerungs- und Zukunftspartikel ineinander und torpedieren die Gegenwart.
Alles beginnt in einem französischen Restaurant. Die Ich-Erzählerin sitzt am "table de la poètesse", ihr Mäzen spielt Tennis im fernen Süden. Das Klavier, das diskrete An- und Abrauschen von "Monsieur", der mit leichter Hand die köstlichsten Speisen für sie wählt, der lustvolle Genuss der Oliven, schwarz, fest und scharf, geben ihrer ephemeren Erscheinung einen gewissen Halt.
Denn auch wenn sie sich glücklich gibt, es geht zu wie in Mahlers Rückert-Lied: Sie ist der Welt abhanden gekommen. Eines Nachts jedoch tritt an die spätromantische Entrückung ein wahres Stürmen und Drängen, "als solle sie unter hohem Druck aus ihrem Körper vertrieben werden". Der titelgebende "Strom". Nun rauschen Erinnerungs- und Zukunftspartikel ineinander und torpedieren die Gegenwart mit ihrem keuchenden Hermesboten und den "selbstbewussten, gedankenlosen" Schneeflocken.

Die Liebe als feinstoffliche Angelegenheit

"Der Strom" von Angela Krauß kommt äußerlich als Prosastück daher, als Erzählung von knapp einhundert Seiten. Die Sprache dieses schmalen Bandes ist aber so licht und fein, voller Metaphern, Motive und Zitate aus der deutschen Romantik, dass man eher von einem Gedicht in fließenden Sätzen sprechen möchte. Literarische Fundstücke wie Rilkes "Archaischer Torso Apollos" ("Du musst Dein Leben ändern") und Goethes "Alles fließt" funkeln im Erzählfluss.
Auch Motive aus ihren früheren Werken führt Krauß fort: Die früh gestorbene Schildkröte, dingliche Überbleibsel des Vaters, der Selbstmord beging, oder die Elefanten, die immer zur vollen Stunden trompeten. Sie reist dem ersten Kuss hinterher, ausgetauscht mit einem Pionier der kommunistischen Jugend Italiens "in jenem Jahr, in dem die Karbolfabrik explodierte". Liebe, diese feinstoffliche Angelegenheit, steht dann verloren in der Betonbanalität eines italienisches Badeorts Jahrzehnte später, ein Sandkorn zwischen den Zehen.

Gegensätze ins Lot bringen

Im Restaurant ringt das luftig-französisch Elegante der Gegenwart mit der zentnerschweren, nach Borschtsch riechenden Vergangenheit, als das Gebäude noch russische Kommandantura war und "Klawdija, die Schwere, Weißliche, Grütze aus dem Trog schöpfte". Die lichte Klause im obersten Stockwerk des denkmalgeschützten Altbaus kippt in die eisern-verrußte Gerätewelt des Bahnhofsgeländes hinterm Haus. Wie eine Seiltänzerin zwischen kosmischen Distanzen, aufgehängt zwischen den Planeten, versucht die Dichterin die Gegensätze ins Lot zu bringen.

Der Wunsch, zur Tat zu schreiten

Tatsächlich ist "Der Strom" mehr Sprachstrom als Erzählung, ein in poetische Kleinstpartikel zerstobener "Stream of Conciousness". Angela Krauß, 1950 in Chemnitz geboren und 1988 mit dem Ingeborg Bachmann-Preis ausgezeichnet, verdichtet ihn zu einem dräuenden Rauschen, als würden die Himmelssphären aneinander schaben. Es ist das innere Porträt einer Dichterin, die das Warten schier zerreißt. Warten auf den Polsprung, warten auf die Zukunft, warten auf das Gedicht. Wie in Rilkes "Torso"-Gedicht drängt es sie, die Siebensachen zu packen und vom unausgeschöpften Potenzial endlich zu den Dingen, zur Tat zu schreiten.
Am Ende geht dann doch Matthias Claudius' Mond auf, allerdings nicht als Beschwörung einer vormaligen Idylle wie im "Abendlied", sondern als Erlösung vom schier unerträglichen Tönen der Gegenwart. Endlich ist Ruhe. Das Gedicht ist da. Es ist schwer und leicht zugleich geworden.

Angela Krauß: "Der Strom"
Suhrkamp Verlag, Berlin 2019
93 Seiten, 20 Euro

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