Andrew Graham-Dixon: „Art“

Nie wieder Kunstbanause sein

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Die Illustration zeigt das Cover eines Buches über Kunstgeschichte mit dem Titel: "Art. Die visuelle Geschichte"
Bietet einen hervorragenden Überblick über die gesamte Kunstgeschichte: das neue Buch des Kunstkritikers Andrew Graham-Dixon. © Dorling Kindersley / Deutschlandradio
Von Eva Hepper  · 27.11.2019
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Mehr als nur ein schickes Coffee Table Book: „Art. Die visuelle Geschichte“ ist ein Mammutwerk, bietet Grundlagenwissen über die Kunst aller Epochen und will „tausend Türen" öffnen - "zu tausend verschiedenen Möglichkeiten, Kunst zu erfahren“. Das gelingt.
Was für eine verblüffende Zusammenschau! Da befindet sich van Goghs "Weizenfeld mit Zypressen" (1889) neben dem "Bauernhaus im Kornfeld" von John Constable (1817), da ist ein pompejanisches Fresko mit jagenden Pygmäen im Dschungel (um 50-79 n. Chr.) in direkter Nachbarschaft zu einem chinesischen Tuschebild mit Bergpanorama (um 1200) platziert, und dieses wiederum korrespondiert mit einem von Paul Cezannes Gemälden des Mont Sainte-Victoire (um 1900) und einer steinernen Linie (1987) des Landart-Künstlers Richard Long.
Augenfälliger als auf dieser Doppelseite lässt sich kaum zeigen, wie unterschiedlich sich Künstler über die Jahrhunderte hinweg mit Landschaft und ihrer Darstellung beschäftigt haben. Wenn sie es überhaupt taten! Denn was in römischer Zeit als Wanddekoration diente, war in Spätantike und Mittelalter kein Thema und wurde erst im 16. Jahrhundert zum eigenständigen Sujet. Nur in China gehörte die Landschaftsmalerei von je her zu den wichtigsten Kunstgattungen.

Basiswissen der Kunstgeschichte

Mit klug ausgewählten Schlüsselwerken und kurzen Begleittexten gelingt es Andrew Graham-Dixon, Basiswissen der Kunstgeschichte zu vermitteln; nicht nur zur Landschaftsmalerei. Gemeinsam mit zwölf Expertinnen und Experten legt der renommierte englische Kunstkritiker einen wuchtigen Bildband vor, der über 2500 Kunstwerke von der Frühzeit bis zur Gegenwart präsentiert.
Chronologisch sortiert und nach Epochen gegliedert, passieren so 30.000 Jahre Kunstgeschichte Revue. Dass eine solche Gesamtschau nur punktuell und selektiv funktionieren kann - und notgedrungen vieles unter den Tisch fallen muss - thematisiert der Herausgeber bereits im Vorwort. Tatsächlich geht es Andrew Graham-Dixon nicht um Vollständigkeit, vielmehr will er "tausend Türen zu tausend verschiedenen Möglichkeiten öffnen, Kunst zu erfahren".
Das gelingt hervorragend, zumal sämtliche Werke nicht nur in Bild und Text vorgestellt werden, sondern gemeinsam mit Künstlerbiografien und dem jeweiligen zeitgeschichtlichen Kontext auch eine Einordnung erfahren. Warum beispielsweise Théodore Géricaults Monumentalgemälde "Floß der Medusa" so revolutionär wirkte, wird ebenso beschrieben wie der politische Skandal, den das reale Schiffsunglück auslöste.

Vom Großen zum Kleinen

Highlights sind die Epoche übergreifenden Zusammenschauen, die sich etwa der Aktmalerei oder dem Stillleben widmen und einzelne, über mehrere Seiten hinweg präsentierte Hauptwerke mit umfänglicher Bildbeschreibung und flankierenden Detailabbildungen. Wie schonungslos sich etwa Rembrandt in seinen Selbstbildnissen zeigte, wird hier mit Vergrößerungen der Nasen- und Augenpartie beeindruckend vorgeführt.
Es macht Freude, in dieser großen Schau der Kunstgeschichte zu schmökern. Allerdings fehlt ihr – wie vielen ähnlich angelegten Werken – eine angemessene Darstellung außereuropäischer und nicht westlicher Kulturen, und auch hinsichtlich der Präsentation von Künstlerinnen vergangener Epochen besteht Nachholbedarf. Da ist die Kunstgeschichte mittlerweile weiter.

Andrew Graham-Dixon: "Art. Die visuelle Geschichte"
Übersetzt von Birgit Lamerz-Beckschäfer, Peter Friedrich und Christiane Wagler
Dorling Kindersley, München 2019
612 Seiten, 49,95 Euro

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