Andre Meister

Der Störenfried von Netzpolitik.org

Andre Meister, Autor beim Blog netzpolitik.org
Andre Meister, Autor beim Blog netzpolitik.org © picture alliance / dpa
Von Benjamin Hammer · 10.08.2015
Anfang 30, ostdeutsch, studierter Sozialwissenschaftler: Viel mehr will der Blogger und Aktivist Andre Meister nicht über sich preisgeben. Seine Arbeit für netzpolitik.org brachte ihm Ermittlungen wegen Landesverrats ein. Diese wurden mittlerweile wieder eingestellt. Ein Porträt.
Berlin-Prenzlauer Berg, ein Bürogebäude, Hinterhaus, fünfter Stock. Bei netzpolitik.org drängen sich schon optisch die Unterschiede zu klassischen Redaktionsräumen auf. "Fuck NSA" steht auf einem Sticker an der Wand, auch ein Plakat der Snowden-Dokumentation "Citizen Four" haben sie hier aufgehängt, im Hintergrund läuft Elektromusik.
Auch der Journalist Andre Meister passt auf den ersten Blick nicht zu seinen Kollegen von den klassischen Medien. An diesem heißen Tag in Berlin läuft er Barfuß rum, Piercing in der Lippe, T-Shirt, kurze Hose und auf dem Kopf der rote Hut, mit dem er die Tage zuvor auf vielen Titelseiten von Zeitungen zu sehen war. Meister sitzt vor zwei großen PC-Bildschirmen, als ich dahinter stehe, schaltet er sie blitzschnell aus. Es wird deutlich: Der Mann operiert mit sensiblen Informationen.
- "Sind Sie ein Störenfried, Herr Meister?"
- "Ja, das weiß ich nicht so ganz genau. Ich glaube der Verfassungsschutzchef und teilweise auch der Generalbundesanwalt sehen mich durchaus als Störenfried. Mir war klar, beim veröffentlichen meiner Berichte, dass der Verfassungsschutz wahrscheinlich nicht gerade Freudentänze aufführt. Das ist aber gar nicht unsere Aufgabe. Unsere Aufgabe als Journalisten ist, die Öffentlichkeit zu informieren über Sachen die öffentlich relevant sind. Das haben wir getan und das werden wir auch weiterhin tun. Und für die Öffentlichkeit sind wir glaube ich kein Störenfried bei allem Zuspruch, den wir in den letzten Tagen erfahren haben."
Mit Zuspruch meint Meister auch eine Demonstration in Berlin. Vor rund einer Woche gingen dort knapp 1500 Menschen auf die Straße. Sie demonstrierten für netzpolitik.org, für die Pressefreiheit und gegen den Generalbundesanwalt. Der Journalist André Meister stand auf einer Bühne und zeigte, was er außerdem ist: ein Aktivist.
"Was für uns auf alle Fälle nicht geht ist anlasslose Massenüberwachung von Tausenden Personen oder gar ganzer Bevölkerungen, wie es die NSA macht, die versucht eine Komplettüberwachung der digitalen Welt zu veranstalten."
Ein Aktivist und gleichzeitig ein Journalist sein. Geht das? Ja, sagt André Meister. Man glaube bei netzpolitik.org nicht an die vermeintliche Objektivität. Man mache klar, wo man inhaltlich stehe. Dann könnten das die Leser auch einordnen. Alle Journalisten seien politische Menschen.
Den Menschen Andre Meister kennenzulernen, das ist gar nicht so einfach.
- "Erzählen Sie mal was kurz über sich, wenn Sie mögen. Wo geboren, wo aufgewachsen?"
- "Nö, das möchte ich nicht unbedingt. Ich bin ganz froh keinen Wikipedia-Eintrag zu haben. Eigentlich geht es nicht um mich. Und ich wollte eigentlich nie Objekt des Medieninteresses sein."
Die Folgen der Digitalisierung treiben ihn um
Ein bisschen was erzählt er dann doch. Studium der Sozialwissenschaften in Berlin. Bachelorarbeit über die Vorratsdatenspeicherung, Masterarbeit über mögliche Internetzensur. Wie verändert Technik die Gesellschaft? Welche Regeln entwickelt die Gesellschaft um mit der Digitalisierung umzugehen? Diese Fragen treiben Meister um. Mit dem Internet ist er großgeworden.
"Ich bin jetzt Anfang 30, Ossi. Ich habe nach der Wende den ersten Rechner bekommen, das war schon faszinierend. Und so um 1996 rum Internet bekommen. Und das war schon eine geniale neue Welt. Dass man plötzlich mit jeder Person auf der Welt potentiell unmittelbar Kontakt haben kann. Ungefiltert. Dass jeder selbst seine Stimme erheben kann. Ohne Internet sähe unser Leben anders aus heute."

Andre Meister ist zu Hause in diesem "Internet". Viele Politiker, so sieht er das, sind dort nicht zu Hause. In dieser Lage will er aufklären, wachrütteln, informieren. Ihn ärgert es.
"Wie in den Lebensraum Internet durch technisch vollkommen unsachverständige Politiker eingegriffen wird und Regelungen getroffen werden, die bei weitem nicht so einfache Auswirkungen haben, wie man sich das auf den ersten Blick vorstellt."
Meister meint zum Beispiel die Vorratsdatenspeicherung.
"Sondern da immense Weichenstellungen für die Zukunft der digitalen Welt gestellt werden."
Ermittlungen wegen Landesverrates. Im Büro von netzpolitik.org haben sie den Brief des Generalbundesanwaltes an die Wand gehängt. Daneben hängt eine Urkunde, unterschrieben hat sie der Bundespräsident: netzpolitik.org sei ein "ausgezeichneter Ort im Land der Ideen" attestierte der, schaffe "Innovationen für die digitale Welt".

Die Auszeichnung bekamen Meister und Beckedahl in der vergangenen Woche. Das sei schon ein bisschen skurril gewesen, sagt Meister. Verdacht auf Landesverrat und gleichzeitig diese Ehrung. Wenig später sagt er: Wir müssen damit rechnen, dass wir von Geheimdiensten überwacht werden.

"Eigentlich will ich gar nicht auf Bühnen stehen oder auf Titelseiten abgedruckt werden. Ich will eigentlich nur meine Arbeit machen und berichten."

Hatte der Journalist Andre Meister auf der Demonstration in Berlin noch gesagt. Dann jedoch erhebt er seine Stimme und fordert mögliche Informanten auf, verschlüsselte E-Mails zu schicken. Auch eine Postadresse gebe es, für anonyme braune Umschläge.

"Wir wollen mehr Dokumente, mehr Whistleblower, mehr unbekannt."

Der Aktivist Andre Meister fand die Aufregung der vergangenen Tage wohl gar nicht so schlecht.
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